Ein Meinungsbeitrag meines ehemaligen Kollegen Dankwart Guratzsch in der WELT darüber, Wie die Natur verraten und verkauft wird*, hat mich an eine Diskussion erinnert, die uns vor einigen Jahren schon bei Christian Reinboths Frischem Wind beschäftigt hat und in der es darum geht, was schwerer wiegt: der Landschaftsschutz oder der Umweltschutz, letzterer in der Form erneuerbarer Energiequellen = Windkraftanlagen. Als jemand, der mal Raumordnung als Teil seiner Ausbildung studiert hat und sogar auf dem Gebiet ursprünglich arbeiten wollte, stößt mir bei dieser Diskussion immer wieder auf, dass dabei Grundsatzfragen und Standortfragen zu einem falschen Dilemma verquickt werden. Dazu gleich noch ein bisschen mehr, aber erst mal kurz die Erklärung des Sterns hinter dem WELT-Artikellink:

* Der Beitrag ist, zu einem nicht unerheblichen Teil, eine Abrechnung mit der (oder auch eine Polemik gegen die) Politik der Grünen, namentlich einer Position, die hier den Grünen unterstellt wird und die Landschaftsverschandelung durch Windräder zugunsten der Energiesicherung in Kauf nehme. Als Beleg bringt mein Kollege hier die “Arbeitsgruppe Energiekonzept Südpfalz, die sich für die Verspargelung des Biosphärenreservats Pfälzerwald/Nordvogesen einsetzt” und in der “neben Lobbyisten von Energieerzeugern und Solarfirmen auch zwei Funktionäre des BUND (agieren), als habe es einen Kampf des Bundes für Umwelt und Naturschutz Deutschland gegen das Waldsterben nie gegeben.” Vielleicht hat er nur übersehen, dass es sich beim von konservativen Naturschützern gegründeten Bund für Umwelt und Naturschutz und den als der linksalternativen Szene entsprungenen Grünen um sehr verschiedene Organisationen handelt, die gerade in dieser Frage sehr gegensätzliche Positionen vertreten.

Zurück zum Thema Standort vs. Grundsatz: Das Argument “wenn Du für X bist, dann musst Du X auch vor Deiner Nase haben wollen” bzw. dessen Umkehrschluss “Wenn Du gegen X vor Deiner Haustür bist, dann bist Du gegen X ganz allgemein” ist eines der klassischen Totschlagargumente in der Raumordnungspolitik – eigentlich in jeder Politik (es ist dort eine Variante von “wer nicht für uns ist, ist gegen uns“). Und es schafft ein klassisches falsches Dilemma, in dem ein Entweder-Oder konstruiert wird, das es so gar nicht gibt. Denn man kann im Grundsatz durchaus für etwas sein, aber über die Ausführung streiten.

Sicher, die Anti-Kernkraft-Bewegung der 70-er Jahre, aus denen sich zumindest ein Teil der heutigen Grünen konstituiert hat, war in weiten Teilen eine Grundsatz-Bewegung: Kernkraftwerke wurden abgelehnt, egal wo sie geplant wurden. Aber auch zu diesem Thema gab es damals schon einen “bürgerlichen” Widerstand (mangels eines besseren Begriffes wähle ich mal dieses Adjektiv zur Beschreibung jener Bevölkerungsschichten, die generell eher NICHT an Demonstrationszügen teilnahmen), der Atomkraft nicht kategorisch ablehnen wollte, aber gegen die individuelle Standortplanung war.Und ebenso ist es möglich, dass Personen heute zwar für mehr erneuerbare Energien in der Stromversorgung sind, aber dennoch Probleme mit der Standortwahl einzelner Windanlagen haben.

“Ja, wo soll man die dann hinbauen, wenn keiner sie haben will?” Das ist dann die automatisch folgende Frage. Und die Antwort darauf ist ein politischer Prozess, in dem alle Beteiligten und Betroffenen zu Wort kommen können – und der idealer Weise in einer Form abläuft, die ohne persönliche Attacken und Diffamierungen auf allen Seiten funktioniert. Das ist zwar pures Wunschdenken (wieviel Spaß hätte man schon an einer politischen Diskussion ohne jegliche Injurien und Verbalattacken), aber dennoch eine Messlatte, die man nicht aus den Augen verlieren darf. Denn Meinungsfreiheit ist halt immer die Meinungsfreiheit der Andersdenkenden – was nicht heißen muss, dass die dann am Ende obsiegen müssen. Aber wenn schon die Äußerung der Meinung abqualifiziert wird, ist eine Diskussion und damit eine politische Willensbildung nicht mehr möglich.

Und darum hat auch Dankwart Guratzsch ein Recht auf seine Meinung. Selbst wenn ich sie nicht unbedingt teile; vor allem, weil ich bei der Konfabulation von Grünen und BUND (was ich persönlich von beiden Gruppierungen halte, spielt dabei keine Rolle), die hier vorgenommen wird, nicht einfach nur an ein Versehen glauben will. Und wir haben das Recht, seine Meinung zu teilen, ihr zu widersprechen, uns zu widersprechen etc. – mal sehen, ob das ohne ad hominems geht …

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Kommentare (11)

  1. #1 A_Steroid
    12. August 2014

    ich habe die “Verspargelung” zweimal erlebt – einmal im Sauerland, meiner alten Heimat (zu Besuch nach Jahren) und aktuell in der Nähe meines Wohnorts, wo man eine Anlage bauen will.
    Ich habe kein Problem mit den Dingern – denn irgendwoher muss der Strom ja kommen (solange wir nichts besseres finden – sinds eben Windräder). Aber das Floriansprinzip ist nun mal subjektiv gerade in der “grünen” Welt ein beliebtes Argument. Selber nutzt man die Wohltaten der Zivilisation, ist aber nicht bereit, dafür Opfer zu bringen (es könnte die heile Welt ruinieren). Daher gehe ich nie zu derartigen “Diskussionen” – ich stehe immer allein da und gefühlt besteht mein Wohnort aus 5% “keine Windräder”, 1% “aus mir” und 94% “ist mir wurscht und ich sage nix”. Damit haben die “Antis” eine zu deutliche “akustische” Mehrheit – in der Sache eher nicht…

  2. #2 Stefan Wagner
    https://demystifikation.wordpress.com/2014/08/12/gesundbeten/
    12. August 2014

    Schön war in den 70ern auch die Argumentationszange: Den AKW-Gegnern vor Ort wurde das St.-Florians-Prinzip vorgeworfen; den Gegnern aus der Ferne Demonstrationstourismus. Da galt, wer nicht betroffen war (tatsächlich betroffen – nicht sich betroffen fühlte, was dann rasch in Mode kam) als weniger authentisch.

    Gegen einen Betroffenen hat man keine Chance – der hat immer Recht. Widersprich mal einem Betroffenen – man darf gar nicht mitreden. Früher gab es in den Talkrunden viele Psychologen, Pädagogen und Soziologen – die sind lange verdrängt; nur noch Betroffene allenthalben.

  3. #3 jochen
    12. August 2014

    Verspagelung

    Bis zu diesem Wort habe ich den Welt-Artikel gelesen. Schade das man (gefühlt) nirgendwo mehr sachliche Meinungen zur Energiewende lesen kann. Meine Erfahrung ist, dass sobald das Wort “Verspagelung” fällt, man sicher sein kann, mit dem Gegenüber nicht diskutieren zu können. Dessen Meinung steht fest und lässt sich nicht ändern.

    Auch ich habe eine feste Meinung, hoffe aber, dass ich in der Lage bin, diese basierend auf Faktenlage zu ändern.* Daher ist es mir sehr wichtig, in Diskussionen wertende Schlagwörter zu meiden und neutrale Beschreibungen zu verwenden. “Verspargelung” ist nunmal eine Beschreibung der Landschaft mit negativer Wertung.

    Hier im Norden ist der Anblick der Windkraftanlagen normal und die “Ästhetik” der Landschaft nicht großartig beeinträchtig. Im Gegenteil mir gefällts sogar besser. Die “Verspagelung” ist hier also nicht negativ. Anderseits habe ich in Mitteldeutschland auf einem Hügel zwei einsame Windkraftanalgen gesehen, die eine Kirche einrahmten. Da musste ich auch erstmal Schlucken und dachte mir, warum wurden dort die beiden Anlagen genau dort hingebaut. Der Anblick auf die schicke Kirche und Umgebung leidet doch arg. Nur verspageln zwei Anlagen nicht die Landschaft.

    Fazit: Ich bin absolut für Windkraft. Ich bin den Anblick von Windkraftanlagen gewohnt und wenn ich Abends auf der Autobahn nach Hause fahre weiß ich immer Anhand der Blinklichter der Anlagen bei uns in Dorfnähe das ich fast zu Hause bin. Dennoch gibt es auch Orte, an denen keine Gebaut werden sollten, auch wenn sie wirtschaftlich betreibbar sind. Nur das wo die Aufgebaut werden sollen und wo nicht bedarf einer sachlichen und nicht wertenden Diskussion. Über Geschmack und dazu gehört auch der Landschaftsanblick, lässt sich nicht streiten. Es müssen sachlich Kompromisse gefunden werden.

    *Z.B.: Derzeit versuche ich mir klar zu machen, wie ich zu gentechnisch veränderte Nahrung stehe. Früher war klar ich dagegen. Das hat sich nun geändert.

  4. #4 Hobbes
    12. August 2014

    Also zum Text an sich (den bei der Welt) muss ich sagen, dass ich den zwar dämlich finde und Inhaltlich nicht zustimme, ihn jedoch vom Ton nicht unbedingt schlimmer finde als das was man sonst so in Umweltdebatten liest.

    Das Argument das wenn man ein NIMN (Not in my neighbourhood) wirklich nicht neben an haben will man somit gegen etwas im allgemeinen seien muss ist natürlich dämlich. Um mal bei der Anti-AKW Bewegung zu bleiben: Hier wurde und wird dann oft verlangt den radioaktiven Abfall doch im eigenen Garten zu lagern.

    Wenn man jedoch gegen ein solches falsches Dilemma ist muss man auch erklären können warum es ein falsches Dilemma ist. Das mit dem Müll ist da natürlich einfach. Der ist nicht so Platzraubend als das dafür nun Vorgärten benötigt werden würden.

    Bei der Energiewende an sich sieht das schon wieder etwas anders aus. Der Platz für WKAs ist begrenzt und geht mit Wertverlusten für Anlieger einher. Wer also gegen WKAs in einen Bestimmten Gebiet ist muss also begründen können warum das Aufstellen in diesen Gebiet unzumutbarer ist als der allgemein akzeptierte Wertverlust der Anlieger.

    Gerade die Grünen blenden bei Umweltfragen gerne jegliche wirtschaftliche Betrachtung aus wenn es um ideologische Fragen geht. Und diese Ideologischen Fragen stehen bei den Ortsverbänden gerne mal im genauen Gegensatz zu den Bundesgrünen. Die “Verspargelung der Landschaft” wird in Großstädten oft mal als Meinung der bösen Konservativen vom Lande wahr genommen aber gleichzeitig wird sich massiv dafür eingesetzt das auch bei absurden Konstellationen der Denkmalschutz erhalten bleibt weil sich ein Stadtbild nicht verändern darf. Auch Gentrifizierung wird in diesen Kreisen als Werk des Teufels gesehen anstatt zu akzeptieren das eine energetische Sanierung, guter ÖPNV Anschluss und Innenstadtlage zu einem Preis führen der für soziale Randgruppen nicht zu halten ist.

  5. #5 Alderamin
    12. August 2014

    Was mir nicht einleuchtet ist, warum man oft drei Räder hier und vier Räder da aufstellt, und nicht auf einer großen Fläche einige dutzend, wie das bei den Offshore-Parks der Fall ist. Bei uns in der Eifel stehen viele kleine Gruppen von Windrädern ziemlich unmotiviert auf jedem dritten höheren Hügel im Wald herum, das sieht natürlich blöde aus. Man sollte gewisse Flächen für Windkraft reservieren, ein wenig abseits von Wohngebieten, und die Windräder dort konzentrieren. Dann hält sich die Verspargelung in Grenzen.

    Ansonsten: Windräder verschandeln ja sooo die Landschaft… Ich kann von zu Hause aus fast bis zu dem Ding spucken!

  6. #6 Hobbes
    12. August 2014

    Ups, gerade im Text gelesen das es nicht um den Tonfall von Dankwart Guratzsch ging sondern auf die Reaktionen darauf. Der erste Absatz von meinem vorigen Kommentar passt also nicht.

    Ansonsten ist mir aber noch der Fall in Dörpen (West Niedersachsen) eingefallen. Dort sollte ein Kohlekraftwerk geplant werden was nach massiven widerstand seitens der Anwohner, der Grünen und einiger Windkrafthersteller gescheitert ist (bis hin zur Drohung keine Windkraftinvestitionen im Emsland mehr durch zu führen, wenn dieses Kraftwerk kommt)
    Was jedoch in der Diskussion berücksichtigt werden muss ist das aktuell in dieser Region ein modernes Gaskraftwerk vom Netz geht und ein Kernkraftwerk ebenfalls. In dieser Region ist aktuell somit ein enormes Grundlast und Regelungspotential vorhanden, welches ja zumindest ansatzweise ersetzt werden muss. Womit allerdings wenn neben Gas und Kernkraft jetzt auch Kohle tabu ist?

    Das Hauptargument der Anwohner war das die Landschaft verschandelt wird und der beliebte Tourismusradweg darunter leidet. Welcher zwar wirklich sehr schön ist, allerdings aktuell in der nähe von 2 Akws (eins Stillgelegt) 3 Gaskraftwerken, 2 Chemiewerken, und einer relativ großen Erdölraffinerie (natürlich mit eigenen Kraftwerk) vorbei geht.

  7. #7 jochen
    12. August 2014

    @Hobbes

    Gerade weil man in Umweltthemen kaum noch vernünftig diskutieren kann, mache ich das kaum noch. Auf der einen Seite wird aus jedem kleinen Unfall in einem Atomkraftwerk ein Super-Gau auf der anderen Seite verursacht jede Windkraft Augenkrebs. In Foren können die gerne so Argumentieren, ich finds immer schade, wenn auf großen Nachrichtenseiten solchen Leuten viel Platz gegeben wird.

    @Alderamin

    das geht nicht. Aus so einem Tagebau wird doch ein Naherholungsgebiet. Und wie soll man sich erhohlen können, wenn man immer auf Windräder schaut.

  8. #8 Hobbes
    12. August 2014

    @Aldermain:
    Das hat relativ viel mit Abständen in Windrichtung zu tun. Solche Anlagen “schatten sich untereinander ab” das heißt klauen sich gegenseitig den Wind. Außerdem ist es oft nicht sinnvoll so viel Strom an einen Ort zu erzeugen wenn dieser nicht Grundlastfähig ist.
    Aber auch die Tatsache das die Hersteller und Betreiber von WKAs ein Finanzierungskonzept haben welches sich weniger auf einzelne Großprojekte richtet sondern auf viele kleine.

  9. #9 Jakob B.
    13. August 2014

    @Hobbes: “Auch Gentrifizierung wird in diesen Kreisen als Werk des Teufels gesehen anstatt zu akzeptieren das eine energetische Sanierung, guter ÖPNV Anschluss und Innenstadtlage zu einem Preis führen der für soziale Randgruppen nicht zu halten ist.”

    Sehr vereinfachte Darstellung des Problems. Es ist doch so, dass die “sozialen Randgruppen” auch aus Studenten, Künstlern, etc. bestehen. Diese ziehen dort hin wo es billig ist und werten den dortigen Bezirk massiv auf . Es entsteht eine Szene; kleine Cafes, hübsche alternative Läden, Clubs, Gallerien, Hinterhoftheater, etc. werden eröffnet; in den Parks spielen Bands, …

    DAS erst macht den vorher gemiedenen Bezirk zum attraktiven Wohnort für Wohlhabende, die dann die Szene schritt für schritt in einen anderen Stadtteil verdrängen, bis dieser dann “hip” ist und sie hinterherziehen. Der alte Stadtteil ist dann mehr oder weniger verbrannt, weil langweilig, keine Szene mehr aber zu teuer sanierte Wohnungen um ärmere Schichten anzuziehen.

    So geschehen in Berlin mit Mitte, Friedrichshain, Kreuzberg, die jeweils in verschiedenen Stadien des verbrennens sind. Es folgen Neukölln, Pankow und Tempelhof. Es ist also durchaus ganz objektiv ein Problem für die Stadtentwicklung. Auch der Teil der Wohlhabenden, der die Ärmeren verdrängt, leidet darunter, da dieser ja anscheinend ein Bedürftnis hat in der Nähe von Teilen der ärmeren Schichten zu leben.

  10. #10 Stefan Wagner
    https://demystifikation.wordpress.com/2014/08/12/gesundbeten/
    13. August 2014

    @Jakob B.:
    Oft sind ja nach ein paar Jahren die Studenten in Arbeit und können sich das teuer gewordene Pflaster leisten. Dass das Café im Erdgeschoss bis 4:00 Uhr Lärm verbreitet stört jetzt – früher war es cool.

    Wenn dieser Zirkus reihum zieht gibt es immer Stadtteile die früher hip waren, aber jetzt langsam veralten.

  11. #11 Hobbes
    14. August 2014

    @Jakob B.
    Eben.
    Die hippen Bezirke werden durch reiche bezogen. Diese Haben das Geld die Gebäude entsprechend zu sanieren.
    Der Zirkus geht immer weiter reihum und so erneuert sich eine Stadt. Das ist kein modernes Problem sondern war schon immer so.
    Die Frage ist was man mit den “verbrannten Bezirk” anfängt. Man hat so ein enormes Potential Häuser aufzuwerten. Aber das darf natürlich nicht genutzt werden, weil ja die arme Randgruppe verdrängt wird. Deshalb wird dieser “natürliche” Effekt mit allen Mitteln bekämpft anstatt ihn zu Nutzen.

    Auf dem Land hat man evtl. das Recht sein Leben im selben Haus zu verbringen. In einer Stadt nicht, dafür ist diese viel zu schnelllebig.

    Das ist es ja eben was den Grünen immer vor geworfen wird. Anstatt den Kapitalismus zu nutzen wird er lieber strikt abgelehnt. Denn gutes muss ja mit “guten Mitteln” erreicht werden. Die Grünen wollen das alles anders ist, aber das sich ja nichts ändert. Zumindest wollen sie diese beiden Punkte zu oft zusammen verkaufen.