Dass es so etwas wie wissenschaftlichen Betrug gibt, ist an sich schon schlimm genug: Gemeint sind damit nicht all jene Paper, die wegen irgendwelcher Formfehler (unzureichende Attribution könnte man da noch mit einschließen) zurück gezogen werden mussten – das scheint nur etwa die Hälfte aller widerrufenen Publikationen auszumachen (dazu gleich mehr) – sondern Arbeiten, in denen die zu Grunde liegenden Daten entweder eklatant falsch oder, schlimmer noch, vorsätzlich gefälscht waren. Doch solche im wörtlichen Sinn unhaltbaren Paper schaden nicht nur dem Ansehen der jeweiligen AutorInnen, und auch nicht nur ganz pauschal dem Ansehen der Wissenschaft insgesamt: Sie haben auch sehr konkrete, negative Folgen für die Reputation der Arbeiten, die in den zurückgezogenen Publikationen zitiert wurden.
Für eine Analyse mit dem prägnanten Ein-Wort-Titel “Retractions”, die demnächst in der Review of Economics and Statistics erscheinen soll, haben Pierre Azulay, Fiona Murray, Joshua Krieger und Jeffrey Furman einmal nachverfolgt, wie sich der Impact für jene Paper ändert, die in zurückgezogenen Arbeiten zitiert wurden. Und da nicht jeder Rückruf die gleichen Ursachen hat, haben sie die 1.104 zurückgezogenen Paper, die sie zwischen 1973 und 2007 laut PubMed erschienen und bis spätestens 2009 zurückgezogen wurden, in drei Kategorien eingeteilt (wobei sie ein wenig Spaß mit dem Gleichnis von den Schultern der Riesen zu haben schienen):
– Als “starke Schultern” bezeichneten sie Artikel, die wegen irgendwelcher verlegerischer Irrtümer oder anderer Formfehler (zum Beispiel, wenn versäumt wurde, eine Freigabe für die Daten zur Veröffentlichung zu erhalten) zurückgenommen werden mussten; dies traf auf 202 der betrachteten Artikel zu – und, soviel sei schon vorweg verraten: Wer auch immer in so einem Paper zitiert wurde, muss sich um seine Reputation keine Sorgen machen; verglichen mit der Kontrollgruppe vergleichbarer Studien (gleiches Journal, gleiche Ausgabe etc.) blieb die Zahl der Zitate nach dem Widerruf etwa auf dem gleichen Niveau.
– Als “wackelige Schultern” (“shaky shoulders”) wurden 289 Artikel eingestuft, die beispielsweise Fragen zu ihrer Validität nicht beantworten konnten, oder zumindest bei einigen Resultaten Zweifel auftauchten. Sehr oft konnten diese Resultate auch schlichtweg nicht reproduziert werden. Paper, die im Quellennachweis solcher Arbeiten auftauchten, wurden nach dem Widerruf fast neun Prozent seltener zitiert als vergleichbare, aber nicht in den widerrufenen Papern zitierte Arbeiten.
– Wenn die Daten vorsätzlich gefälscht waren oder nachweislich auf Fehlern beruhten, dann gibt es keine Schultern, auf denen jemand stehen sollte (“absent shoulders”). Dies war übrigens in mehr als der Hälfte (589, also 53 Prozent) der widerrufenen Publikationen der Fall. Der “Begleitschaden” dieser Widerrufe führte zu einer relativen Minderung der Zitate für die als Quellen genannten Paper um 6 Prozent.
Das ist natürlich nur ein kleiner Teil dessen, was die zurückgezogenen Paper selbst an Impact-Verlust erfahren, der in der Größenordnung von 60 Prozent liegt und dabei sogar vermutlich in seiner Wirkung unterschätzt wird – denn diese Paper werden später vermutlich, wie ja auch im Retractions-Artikel selbst, mit dem ausdrücklichen Hinweis auf ihren unhaltbaren Status zitiert, was für die betroffenen AutorInnen schädlicher ist als wenn ihre “Arbeit” einfach ignoriert würde. Aber es geht ja nicht nur um den Status der WissenschaftlerInnen, die ganz ohne eigenes Zutun un und allein durch die Unlauterkeit ihrer KollegInnen weniger beachtet werden. Es geht dabei um den Verlust von Wissen, denn diese Arbeiten werden nicht nur weniger zitiert, sondern – das ist ja die Natur des akademischen Quellennachweises – auch weniger als Grundlage für weitere Forschung heran gezogen. Und das ist ein Verlust für die Forschung an sich.
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