Nach einer längeren, arbeitsbedingten (Zwangs-)Pause habe ich mit meinem Sohn heute mal wieder das American Museum of Natural History besucht. Über dieses Museum habe ich in meinem Blog ja schon häufiger mal geschrieben; es ist eines der am meisten besuchten Museen der Welt und momentan vermutlich der einzige Ort, den mein nun bald 15-jähriger Sohn noch gemeinsam mit seinem grauhaarigen Vater besuchen will. Ein Ort, der Wissenschaft begreifbar machen will. Doch man “begreift” hier nicht nur mit den Händen, sondern in erster Linie mit den Füßen – nicht nur wegen der insgesamt rund 1,5 Kilometer langen Museumshallen auf fünf Stockwerken, sondern vor allem, weil viele Ausstellungen ganz gezielt darauf angelegt sind, erlaufen zu werden.
So wie beispielsweise der Cosmic Pathway, der am Ausgang des Big Bang Theater beginnt – eine rund 110 Meter lange, spiralförmige Rampe, auf der man im wörtlichen Sinn Schritt für Schritt der Entstehung des Universums, der ersten Galaxien, unseres Sonnensystems und so weiter folgen kann – jeder Schritt (also alle 80 Zentimeter) entspricht dabei 100 Millionen Jahren – doch wer am Ende der Rampe nach dem Erscheinen des Menschen sucht, muss schon sehr genau hinsehen: Ein einzelnes Haar markiert mit seiner Dicke die Spanne, die das Zeitalter der Menschen in diesem Maßstab einnimmt…
Ein anderer, absolut faszinierender Weg beginnt in der Halle der frühen Wirbeltiere, im vierten Stock des Museums: Ausgehend von einer simplen Darstellung des ersten Chordatierchens, markieren die schwarzen Linien eines langgezogenen Kladogramms diesen Weg durch die Hallen, vorbei an den kolossalen Skeletten von Dunklosteus, ersten Fischen, Quastenflossern, Amphibien, Schildkröten und Fischsauriern bis hin zu den Flugsauriern und Krokodilvorfahren, bis hin zu den Hallen der Dinosaurier (die, einer älteren Tradition des Museums folgend, aber nicht rein chronologisch sortiert sind, sondern die Echsenbeckensaurier (Saurischia) und Vogelbeckensaurier (Ornithischia) getrennt präsentiert. Doch in der sich daran anschließenden Halle der frühen Säugetiere wird dieser Faden der evolutionären Ordnung wieder aufgegriffen, der sich dann in der Halle der höheren Säugetiere fortsetzt, an deren Ende nicht etwa die Primaten stehen – die haben wir gleich zu Beginn der Säugetierhalle rechts liegen gelassen: Am Ende dieses kladographischen Wanderwegs begegnen wir den Proboscidae – Mastodons und Mammuts, also den ausgestorbenen Verwandten der Elefanten. (Soviel zu der Idee, der Mensch sei so etwas wie die “Krone der Schöpfung”.)
Doch entgegen aller Tradition bin ich heute keinen dieser Pfade gegangen – die Menschenmassen, die sich zwischen den Jahren in New York und damit auch im AMNH drängeln, waren ein Grund, eine hartnäckige Plantarfasciitis ein weiterer. Vielleicht war es dieses entgangene Vergnügen, das mich mal ein bisschen mehr über den Wert der Fortbewegung an sich nachdenken ließ. Speziell darüber, wie essentiell die Fähigkeit zur Fortbewegung mit der Befähigung zur Intelligenz zusammenhängt. Wir assoziieren das Verständnis von Dingen und Konzepten ja typischer Weise mit unseren Händen – wir “be-greifen” etwas. Aber wie sähe unsere Welt aus, wenn wir so stationär wären wie ein Baum? Wenn wir sie nicht “erfahren” könnten? Wenn jede Veränderung im Raum einer Veränderung des Raums gleichkäme, weil Bewegung an sich nicht für uns nicht existieren würde? Ich gestehe, dass ich mir das nicht so recht ausmalen kann, aber ich bin mir sicher, dass zumindest zur Entwicklung von Intelligenz eine gewisse Mobilität unverzichtbar war.
Bewegung ist nicht nur für den Kreislauf und den Metabolismus gut, sie vermittelt uns auch stets wechselnde (und hoffentlich auch immer wieder mal neue) Perspektiven sowie Ein- und Ausblicke. Als notorisch Vergesslicher, seien es Schlüssel, Handys oder auch die Begleitmaterialien für die nächste Unterrichtsstunde, bin ich mit dem Spruch “was man nicht im Kopf hat, muss man in den Beinen haben” leider nur allzu vertraut. Aber vielleicht ist ja auch das Gegenteil wahr: Wenn wir nichts in den Beinen hätten, sähe es auch in unseren Köpfen ganz anders aus.
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