Von der Freiheit ist in diesen Tagen ja viel die Rede: von der Meinungsfreiheit, die sich im “Das-wird-man-ja-wohl-noch-sagen-Dürfen” der Pe- und sonstigen -gida-Wutbürger manifestiert, beispielsweise, oder von der Religions- und natürlich der Pressefreiheit. Freiheit gilt spätestens ab dem 21. Jahrhundert als das grundlegendste aller Menschenrechte – auch wenn nicht jeder davon überzeugt ist, dass es sie überhaupt gibt (wer sich mit diesem Punkt etwas mehr auseinander setzen will, kann ja hier mal reinlesen). Und das Massaker in den Redaktionsräumen des französischen Satireblattes Charlie Hebdo zeigt auf erschreckend drastische Weise, dass diese Freiheit(en) permanent bedroht sind.
Aber ich erinnere mich in diesen Tagen auch an die Mahnung zum Wesen der Freiheit, die Rosa Luxemburg – die übrigens auf den Tag genau heute vor 95 Jahren von Mitgliedern der reaktionären Garde-Kavallerie-Schützen-Division ermordet wurde – in ihrem Aufsatz über die russische Revolution so intelligent wie klar geschrieben hatte: Freiheit ist immer nur Freiheit des anders Denkenden. Oder, um es moderner auszudrücken: Das Maß des Kampfes um Freiheit ist nicht, welche und wie viele wir uns dabei nehmen, sondern welche wir schaffen und gewähren.
Welche Freiheit “erkämpfen” also beispielsweise jene erz-orthodoxen Rabbiner in New York, die darauf bestehen, dass ihr Recht auf Religionsfreiheit zwingend einschließt, dass frisch beschnittene Knaben durch das Belutschen ihres blutenden Penis durch die Mohalim (diese Praxis nennt sich Metzitza B’peh) ein um das Vielfache höhere Risiko einer gefährlichen Infektion erdulden müssen? So zwingend, dass die Stadt nicht mal vorschreiben darf, dass Rabbiner die Eltern aufklären und deren Zustimmung zu diesem bizarren Ritual schriftlich einholen müssen, oder dass sich die praktizierenden Mohalim einer regelmäßigen Gesundheitsprüfung unterziehen müssen? Welche Freiheit wird dadurch für andere geschaffen?
Und mit der gleichen, eigentlich ziemlich klaren Logik muss ich dann auch fragen, welche Freiheit dadurch erkämpft wurde, dass Charlie Hebdo auf der Titelseite der ersten Ausgabe nach dem Blutbad trotzig eine Karikatur des Propheten Mohammed druckt? Damit wir uns nicht falsch verstehen: Unbestreitbar besitzt Charlie Hebdo das Recht und die Freiheit, solche Zeichnungen zu drucken, auch wenn sie wissen, dass selbst eine respektvolle Abbildung des Propheten wenn auch nicht unbedingt mit den Vorschriften des Koran, so aber doch mit den Traditionen selbst eher moderater Moslems kollidiert – aber erkämpft wird dieses Recht damit nicht. Erkämpft, oder besser gesagt: verteidigt haben es eher solche Menschen wie der Polizist Ahmed Merabet, selbst ein französischer Muslim, der zur Bewachung der Charlie-Hebdo-Redaktion bereit stand und dafür von den Attentätern hingerichtet wurde.
Sicher, wenn Rechte nie ausgeübt werden, dann merken wir vielleicht gar nicht, wenn sie uns genommen werden. Aber das ist letztlich die gleiche (neurotische?) Logik, mit der so genannte “Open-Carry”-Verfechter in den USA darauf bestehen, Waffen in Starbucks-Cafés provozierend offen zu tragen. Oder mit der ich auf deutschen Autobahnen von Tempofanatikern selbst noch mit 160 km/h beim Überholen eines Lastzuges wütend angeblinkt werde, weil sie sich auf diesem Weg ihres Rechts auf unbegrenzte Raserei vergewissern wollen.
Aber wahrscheinlich ist diese Idee sowieso nur ein Phantom meines mit tragischen Nachrichten überfrachteten Hirn: dass Freiheiten und Freiräume für andere schaffen das Ideal eines Freiheitskämpfers sein sollte, und nicht etwa nur das Beanspruchen, Besetzen, Erobern, Verjagen, das doch so viele Freiheitskämpfer – mit Waffen ebenso wie mit Worten – zum Zweck ihres Kampfes machen. Aber ich fürchte, dass deren Freiheit etwa so absurd ist wie jene, die Luis Buñuel in seinem Film über das Gespenst der Freiheit karikiert hat:
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