Mein ScienceBlogs-Kollege Martin Bäker hat das Thema zwar schon aufgegriffen, aber das Problem Prügelstrafe für Kinder ist mir zu wichtig, als dass ich mich da zurückhalten möchte (was auch daran liegen mag, dass eine Ohrfeige von einer geifernden Nonne zu meinen frühesten Kindheitserinnerungen gehört): Der amtierende Papst vertrat in seiner Generalaudienz am 4. Februar die Position, dass es völlig in Ordnung sei, wenn Eltern ihre Kinder schlagen – so lange sie ihnen dabei nicht ins Gesicht hauen, denn das würde ihre Würde verletzen:
Una volta ho sentito in una riunione di matrimonio un papà dire: “Io alcune volte devo picchiare un po’ i figli … ma mai in faccia per non avvilirli”. Che bello! Ha senso della dignità. Deve punire, lo fa in modo giusto, e va avanti.
(Meine Italienischkenntnisse beschränken sich zwar auf das Vokabular einer typischen Speisekarte,aber mit ein paar Google-Translate- und LEO-Hilfestellungen gehe ich davon aus, dass der Papst etwa Folgendes hier gesagt hat: “Ich habe mal auf einem Familientreffen (?) gehört wie ein Vater sagte: “Manchmal musste ich die Kinder ein bisschen verhauen – aber nicht ins Gesicht, um sie nicht zu demütigen.” Wie schön! Er hat einen Sinn für Würde. Er muss bestrafen, tut es in gerechter Weise, und das war’s dann.”
Davon abgesehen, dass exakt dieses Argument – man habe es ja nur aus Fürsorge für die Kinder getan – schon früher aus klerikalem Mund gehört hat – das war’s dann? Wohl kaum. Wie ich hier schon mal geschrieben habe, führen auch scheinbar “gerechte” (also nicht als Kindesmisshandlung, in der Gewalt zum Selbstzweck wird, einzustufende) Körperstrafen in einem nicht zu vernachlässigenden Teil der Betroffenen zu bleibenden psychischen Schäden: Physical Punishment and Mental Disorders: Results From a Nationally Representative US Sample. Und ja, ich kenne das “Argument”: “Ich habe auch Schläge bekommen, und es hat mir nicht geschadet” – was eigentlich schon alles erklärt, denn wer kleine Kinder züchtigt = systematisch schlägt, hat einen Schaden. Über die Schwere mag man streiten, aber wem regelmäßig “die Hand ausrutscht” (und dann nur dies lahme Entschuldigung einfällt), sollte sich wirklich mal mehr Gedanken über die eigene Stressresistenz und psychische Konstitution machen…
Aber zurück zum Papst. Für mich als apostatischen Katholiken ist er zwar keine moralische Autorität, und daher sollte es mir eigentlich völlig egal sein, was er von sich gibt – egal, ob er damit mal vielleicht sogar richtig liegt oder zumindest diese Interpretation erlaubt, oder ob er mit der Rechtfertigung von physischer Gewalt kokettiert. Aber erstens ist er für einen signifikanten Teil der Weltbevölkerung eine moralische Instanz, und zweitens neigen auch Menschen, die sich sonst einen Dreck um Kirche und Co. scheren, durchaus zu dem Argument “Wenn der Papst schon sagt, das ist in Ordnung, dann brauch’ ich mich ja nicht zurückzuhalten…”
Nochmal: Wer schlägt, richtet Schaden an. Ganz einfach. Und wer sich einredet, dass man würdevoll prügeln kann, unterliegt einer gewaltigen Täuschung: Der Zweck der Gewalt ist die Erniedrigung im wörtlichen Sinn – der Ausdruck einer ranghöheren Machtposition für die Schlagenden gegenüber den Geschlagenen. Ob ins Gesicht oder sonstwohin spielt nur insofern eine Rolle, als die Spuren der Schläge im einen Fall sichtbarer, im anderen besser versteckt sind. Die Würde des Opfers scheint der Papst da weniger im Sinn zu haben als die Würde des schlagenden Vaters…
Eigentlich wollte ich ja wissen, ob die Hauszeitung des Heiligen Stuhls, der Osservatore Romano, zu dem Thema etwas zu sagen hätte, aber die Anekdote taucht in dem deutschsprachigen Bericht über die Generalaudienz (“Die Präsenz der Väter“) mit keiner Silbe auf – dafür aber in der englischen Version … in der ich dann wiederum auf diesen Artikel zur Evolutionstheorie gestoßen bin, der mit dem Titel Warum gibt es am Nordpol keine Pinguine schon ahnen lässt, was kommt (und auf ihre Weise ebenfalls meine Vorurteile gegen die “katholische Weltsicht” leider wieder bestätigt). Und meine Erwartung wird nicht enttäuscht, denn hinter scheinbar ausgwogenem Vokabular verbirgt sich dann doch nur die alte Intelligent-Design-Idee, die sich als “Wissenschaftskritik” an der Evolutionstheorie tarnt:
“This is not the place to debate the validity of their propositions, but it is impossible not to note that there exists in the academic world a certain reluctance to subject Darwin’s theory to the “logic of falsification” introduced by Karl Popper (1902-1994)”
liest man da, oder
The same Darwinist position, however, implies that in the Arctic zones, similar in many ways to those of the Antarctic, species similar to the penguin might have been expected. Instead, there are none.
(Was schon für, oder besser: gegen sich selbst spricht.) Und dieser Artikel schließt dann, ganz kirchlich-selbstbewusst, mit der Feststellung
“…it is rather paradoxical that proponents of scientific independence from the interference of religion — atheistic vehemence is manifest in Dawkins’ pamphlet The God Delusion (2006) — refuse to submit their thesis to a strictly scientific examination. Hence, merit goes to the Pontifical Academy of Sciences for having rigorously investigated, in 2008, the scientific basis of the evolution of life. The main threat to the scientific integrity of the theory of evolution, in fact, does not come from an alleged invasion of the field by theology, but rather from the incapacity of a certain self-referential science to recognize when it is time for a paradigmatic change,…”
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