Der Zeigefinger ist ein Solokünstler: Mit ihm können wir nicht nur deuten (wie der Name schon sagt), sondern auch alles Mögliche drücken, bohren, popeln, abziehen, usw. Der Ringfinger hat wenigstens eine tragende Funktion, für Verlobte und Verheiratete, jedenfalls. Ohne den Daumen hätten wir keine Greifhand, er ist also ganz elementar für unser Menschsein. Die Abwesenheit des kleinen Fingers würden, mit Ausnahme von Musikern, nur die wenigsten Menschen vermutlich bemerken, so lange sie nicht höher als bis vier zählen müssen. Doch der Mittelfinger, sonst für sich allein zu kaum etwas nütze, ist derzeit der Medienstar: Da soll doch tatsächlich der griechische Finanzminister Namens Yanis Varoufakis den Deutschen den Stinkefinger gezeigt haben, als es um Griechenlands Schulden ging!

Hat er natürlich nicht: Denn erstens war er zu jenem Zeitpunkt, als er die Rede auf dem Subversive Festival in Kroatien gehalten hat, kein Finanzminister, zweitens hat er, wie Anatol Stefanowitsch hier aufgedröselt hat, in seiner Rede nicht “Die Deutschen” oder den deutschen Staat angesprochen, sondern “Frankfurt” (und dann, zur geographischen Richtungsangabe, Deutschland) als Synekdoche für die Finanzwirtschaft verwendet. Wenn sich nun erst mal alle, die schon irgendwann mal als Ausdruck ihrer persönlichen Meinung “denen” (wer immer diese sein mögen) den Finger – wahlweise den Mittelfinger, oder auch in alter deutscher Tradition, den Zeigefinger an die Stirn – gezeigt haben, aus der empörten Diskussion verabschieden würden, wäre die Aufregung garantiert schon erheblich kleiner. In der Zwischenzeit könnten sie mal diskutieren, ob es Yanis Varoufakis überhaupt gibt – echt jetzt: Der Name muss doch erfunden sein, ist doch klar, sonst würden da nicht (phonetisch) “wahr” und im Schriftbild “fak(e)” und natürlich auch wieder phonetisch (nicht zu überhören!) fʌk drinstehen. Das muss doch eine Erfindung sein!

Ja, Fälschungen sind das wahre Stichwort der Debatte: Was ist eigentlich “gefälscht”? Nun, das Video an sich und die darin gezeigte Geste schon mal nicht. Das bestreitet wohl nicht mal Varoufakis selbst, denn er hat es hier selbst getweetet (so etwa ab der 40. Minute kommt’s). Und die angebliche Enttarnung der Fälschung durch den angeblichen Fälscher beim ZDF entpuppt sich damit natürlich ihrerseits als Fälschung, und die Medien sind entsprechend verwirrt. Habe ich vergessen zu erwähnen, dass der Mittelfinger auf Lateinisch digitus medius (!) heißt?

Ich erlaube mir hier mal die Bemerkung, dass Satire nur dann gut ist, wenn sie eine “Pointe” hat, also etwas aufspießt – und sich dem Betrachter der ZDF-Satire nicht wirklich erschließt, wer da nun aufgespießt werden soll. Ging’s nun gegen Jauch und alle anderen eilfertigen Medien, die sich über eine – echte – Geste aufregen? Oder gegen alle Kritiker, die diesen medien erst mal nicht so recht trauen wollen? Oder gegen Varoufakis, dessen Dementi ja zumindest dahingehend interpretiert werden könnte, dass er genau so eine digitale (auch in dem Wort steckt übrigens der Finger drin) Fälschung unterstellte, obwohl er wusste, dass dies nicht der Fall ist? Oder gegen die Zuschauer, denen man alles andrehen kann, so lange es im viereckigen (Fernseh-)Bildformat daherkommt? Die Spitze wird hier zum Reisigbesen…

Dabei wurden doch ein paar Skandalmöglichkeiten völlig übersehen: Zum Beispiel, dass Varoufakis hat die Idee des Stinkefingers einfach nur geklaut, abgekupfert, gestohlen hat, und das – für einen Akademiker untragbar – auch noch ohne Quellenangabe! Den Doktortitel sollten wir im dafür mindestens abziehen können. Beweis? Hier:
focustitel08-10
(Titel der Focus-Ausgabe vom 22. Februar 2010)

Ich persönlich finde es ja eher skandalös, dass wir uns als Deutsche in unserem Empörungseifer – der letztlich immer mit einer Variante von “mit unserem Geld!?!” zu umschreiben ist – nur allzu leicht mit den ausbeuterischen Kreditpraktiken der Finanzwirtschaft gemein machen, die in den USA als predatory lending, also das ausbeuterische Geldverleihen bezeichnet wird. Internationale Geldpolitik ist sicher komplizierter als Geringverdienern unrealistische Hypotheken anzudrehen, aber ich kann mir nicht helfen – mich erinnert das Ganze einfach zu sehr an die “Pusher”, die ihre Opfer auf Droge halten, weil sie an deren Elend besser verdienen können:
(Ich hoffe, das Video funktioniert…)

flattr this!

Kommentare (6)

  1. #1 Jürgen Schönstein
    19. März 2015

    Dieser Kommentar von @rolak wurde hier importiert, weil der ursprüngliche Text im falschen Verzeichnis gelandet war:

    rolak
    19/03/2015 Bearbeiten

    hoffe, funktionie

    Yeah, rides easily… Schöne Erinnerung, angemessener Tiefschlag Richtung Haie.

  2. #2 rolak
    20. März 2015

    im falschen Verzeichnis gelandet

    Weiß ja nicht, wo das Textlein vorher hin war, Jürgen, oder ob mangelnde Fingerfertigkeit meinerseits oder doch etwas anderes dies verursachte.
    Allerdings war gestern der clip groß eingebunden, wo jetzt nurmehr ein weißer Fleck ist — die Klammerung <iframe class=”hiddenSpellError”> klingt auch nach ganz etwas anderem…

  3. #3 Karl Mistelberger
    20. März 2015

    > Da soll doch tatsächlich der griechische Finanzminister Namens Yanis Varoufakis den Deutschen den Stinkefinger gezeigt haben, als es um Griechenlands Schulden ging!

    Lässt man die heiße Luft weg, die Varoufakis in diesem Zusammenhang abgelassen hat so bleiben im wesentlichen folgendes stehen.

    – Argentinien hat den Stinkefinger gezeigt und er findet das gut

    – Griechenland sollte das auch tun, aber wegen des Euros ist das nicht so einfach zu bewerkstelligen

    Griechenlands Stinkefinger

  4. #4 Jürgen Schönstein
    20. März 2015

    @rolak#2mangelnde Fingerfertigkeit meinerseitsAbsolut nicht – ich hatte es nur versehentlich nicht in meinen Geograffitico-Blog eingeordnet, sondern nur in der ScienceBlogs.de-Übersicht. Und das Video müsste jetzt auch wieder spielen…

  5. #5 rolak
    20. März 2015

    müsste .. wieder spielen

    Einwandfrei. Tat es zwar auch vorher, nur gab es nichts Sichtbares zum draufklicken.

    Es ist auch keine Rede mehr von Fehlern bei der Rechtschreibung (oder bei den Bannsprüchen).

  6. #6 Ein Mensch sitzt vor einem Bildschirm und denkt über das Leben nach
    21. März 2015

    Medien halt. Werft eure Fernseher weg, dann müsst Ihr Euch nicht über das Programm erregen. So einfach ist das.