Nun ist’s also offiziell: Eine Frau will sich um den vermutlich männlichsten Job der Welt – wenn man von dem des Papstes mal absieht – bewerben. Mit einem Videoclip hat Hillary Clinton nun angekündigt, worüber eh’ schon lange spekuliert wurde – sie will Präsidentin Amerikas werden. Zumindest wird sie, wenn sie den Job kriegt, keine Probleme mit dem Gender Pay Gap haben – wer als Boss ins Weiße Haus einzieht, wird dafür mit einem Jahressalär von 400.000 Dollar entlohnt, das ist gesetzlich festgelegt. Doch wenn ich mir die Logik einiger Kommentare anschaue, dann wäre das eigentlich ungerecht – weil sie die feste Überzeugung zum Ausdruck bringen, dass Frauen ja gar nicht die gleiche Leistung wie Männer bringen können. Irgendwie, so geht das “Argument”, hätten Männer einfach eine höhere Arbeitsmoral, die sich zum Beispiel in mehr Überstunden niederschlage.
Aha. Mehr statistisch nachweisbare Überstunden sollen also gleichbedeutend mit höherer Arbeitswilligkeit sein? Muss man erst mal darauf kommen – wenn ich täglich die langen Schlangen (von ausschließlich Männern) an der Stechuhr der Werkstatt des MIT sehe, die minutenlang darauf warten, das die Uhr endlich auf drei und damit das Schichtende vorspringt, und mich dabei erinnere, dass ich genau die gleiche Szene tagein, tagaus in all den Jobs, die ich als “Werkstudent” (klingt besser als Ferienjobber) in der Industrie hatte, dann kommen mir schon mal erste Zweifel. Aber solche Aussagen wie “Männer machen mehr Überstunden als Frauen” lassen sich doch bestimmt nachweisen. In der Tat:
Und erst mal sehen wir, dass die Gruppe derer, die keine Überstunden leisten, schon mal etwa zu gleichen Teilen aus Männern und Frauen besteht. Aber dann klafft die Schere schnell auf: In der Gruppe, die pro Tag eine bis zwei Stunden anhängt, besteht dann schon zu mehr als zwei Dritteln aus Männern, und je länger die zusätzlich geschobenen Zeiten sind, desto größer wird der Männeranteil. Also klar: Männer machen mehr Überstunden als Frauen.
Doch ist das wirklich signifikant? Schauen wir doch mal nach: Mehr als 90 Prozent aller Beschäftigten arbeiten maximal fünf bis zehn Überstunden pro Woche:
Mit anderen Worten: Auch die Mehrheit der Männer reißt sich nicht gerade darum, ihre Arbeitstage und -Wochen über Gebühr auszudehnen. Und dennoch werden Männer – vermutlich auch die, die keine Überstunden machen wollen – nicht kategorisch als weniger leistungsbereit abgewertet. (Über den Trugschluss, dass längere Arbeitszeit automatisch auch mehr Produktivität bedeutet, hatte ich hier ja schon geschrieben, das lasse ich einfach mal so stehen.) Und ein Hinweis, dass hier nicht unbedingt persönliche, sondern eher strukturelle Mechanismen am Werk sind, ist aus dieser Tabelle zu finden: Die Zahl der durchschnittlich geleisteten Überstunden steigt ganz eindeutig mit der Größe des Betriebes:
(Quelle aller Tabellen: www.gehalt.de)
Und das ist nun wirklich nicht leicht zu erklären: Wenn Beschäftigte in Betrieben mit mehr als 20.000 Mitarbeitern im Schnitt etwa 5 Stunden pro Woche mehr arbeiten, dann bedeutet das doch, dass diese Betriebe mindestens zweieinhalb Tausend Mitarbeiter zu wenig beschäftigen. Aber auch das deckt sich mit meiner – zugegebener Maßen anekdotischen – Beobachtung: Überstunden sind nicht primär eine Funktion des Arbeitspensums, sondern der Entlohnung – sie sind (verdeckte) Gehaltsanhebungen. Kleine Pointe nebenbei: Den Überstundenrekord des Jahres 2014 im Staat New York hält eine Frau…
Aber selbst wenn man mal die männliche Bereitschaft, länger zu arbeiten, ohne weitere statistische Kritik stehen lässt, beantwortet das nicht die Frage, warum das so ist. Könnte es sein, dass hier der Gender Pay Gap nicht das Resultat (wie gemeinhin behauptet), sondern die Ursache ist? Weil Frauen weniger verdienen, ist es im Entscheidungsfall zwischen Familie und Beruf in der Mehrheit der Fälle die Frau, die sich zu Gunsten der Familie entscheided. Das ist ökonomisch ziemlich rational, aber eben doch nur eine Folge der Rahmenbedingungen, nicht des Geschlechts.
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