Es gibt zurzeit (leider) wenige Themen, die in mir einen Publikationsdrang wecken, der die zurzeit arbeitsbedingte (Semesterendspurt!) Blogger-Lethargie überwinden kann. Aber Sexismus im Allgemeinen und die Frage im Besonderen, warum es in den MINT-Berufen einen so niedrigen Frauenanteil gibt, trotz vergleichsweise hoher Studentinnenzahlen in der Grundstudiumsphase dieser Fächer, sind da generell die Ausnahme – nicht zuletzt, weil dies ja eine direkte Auswirkung auf die Sinnhaftigkeit meiner Lehrtätigkeit hat: Wenn stellenweise mehr als die Hälfte der Plätze in meinen Klassen (in diesem Semester sind es Klassen in Computertechnik und Chemieingenieurwesen) von Frauen ausgefüllt werden, dann aber nur ein Bruchteil tatsächlich diese erlernte Tätigkeit als Beruf ausüben wird, ist mir das nicht egal.
Nach diesem Vorwort nun mein heutiger “Auslöser”: Ein Meinungsbeitrag von Lina Nilsson, Direktorin für Innovation am Blum Center for Developing Economies der University of California in Berkeley in der heutigen New York Times: How to Attract Female Engineers.
Ich kenne Lina Nilsson nicht, und entgegen dem, was sich aus der Überschrift rauslesen ließe, bezichtige ich sie auch nicht, eine Sexistin zu sein. Trotzdem lässt sich ein gewisser Sexismus aus ihrer These zu filtern, man müsse die Ingenieursberufe vor allem “sozial relevanter” machen, um mehr Frauen anzuziehen: Das impliziert irgendwie, das Frauen ein besseres ausgeprägteres soziales Bewusstsein hätten als Männer – und ist somit sexistisch, da es die Geschlechtszugehörigkeit dazu benutzt, eine Eigenschaft zu definieren, die erst mal nicht geschlechtlich (im biologischen Sinn) relevant ist.
Aber das allein ist es ja nicht, woran ich mich störe – ich empfinde auch das Argument der sozialen Relevanz eher als ein Scheinargument: Es basiert auf ihrer subjektiven Beobachtung, dass die Hälfte der Studierenden am Blum Center Frauen sind – woraus sie folgert, dass “Frauen sich zu Ingenieursprojekten hingezogen fühlen, die versuchen, sozial Gutes zu schaffen.” Aber die Gender-Zusammensetzung von College-Klassen kann auch ohne diesen plakativen sozialen Anreiz ziemlich gleichgewichtig sein: Am MIT, wo ich arbeite, sind 45 Prozent aller Undergraduate-Studierenden und immerhin noch knapp 44 Prozent aller eingeschriebenen Studierenden in den Ingenieursfächern weiblichen Geschlechts.
Trotzdem glaube ich Frau Nilsson gerne, dass Studienangebote, die eine sozial nützliche Komponente haben, von Frauen eher angenommen werden als von Männern – aber das muss nicht unbedingt Ausdruck einer geschlechtsspezifischen Präferenz sein, sondern kann genauso gut eine Ausweichreaktion darauf sein, dass in den traditionellen (und generell auch besser bezahlten) Industriepositionen nach wie vor ein ziemlich frauenfeindliches Klima herrscht, wie ich hier schon mal ge- und beschrieben habe. Und dagegen hilft es nicht zu sagen, dass wir einfach mehr soziale Relevanz in der Berufswelt brauchen, selbst wenn die Welt insgesamt dadurch eine bessere würde. Um die Situation von Frauen in technischen Berufen zu verbessern, muss man genau das tun: die Situation von Frauen in technischen Berufen verbessern.
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