Es gibt im Englischen eine ganze Reihe von idiomatischen Redewendungen, die etwas beschreiben, das zu einfach ist, um damit wirklich Eindruck machen zu können: “Easy as pie”, sagt man da beispielsweise, oder “like shooting fish in a barrel”. Oder “like stealing candy from a baby” – und letzteres scheint mir am passendsten für das, worum es hier gehen soll: Einige haben vielleicht schon von dem Coup mit der falschen Schokoladendiät gehört oder gelesen; wer’s noch nicht hat, nehme sich bitte die Zeit, die Hintergrundstory hier nachzulesen (ich warte so lange):
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Okay, weiter geht’s. Und zugegeben, das Adjektiv “einfach” würde ich hier eigentlich nicht ganz passend finden, denn die Vorbereitungen, die John Bohannon treffen musste, um die Medien mit der Nachricht reinzulegen, dass Bitterschokolade mit hohem Kakaoanteil – genauer gesagt: eine tägliche Dosis von 42 Gramm Schokolade mit einem Kakaoanteil von 81 Prozent – für eine Reduktionsdiät förderlich sein kann, waren schon ziemlich aufwändig: Es brauchte Geld, um eine Studie durchzuführen, einen echten Arzt als Studienleiter, echte Testpersonen, echte Testreihen, eine (glaubhaft?) gefakte Webseite, um ein real nicht existierendes Forschungsinstitut vorzutäuschen, einen passenden Facebook-Auftritt, und dann, als Meisterstück, eine – echte?- Publikation in einem Journal (dazu später mehr), mit der sich dann, dank der Hilfe einer PR-Expertin, die Pressemitteilung lancieren ließ, die zudem spezifischen Medien als “exklusiv” angeboten wurde.
Ist, nach all diesen Vorbereitungen, nun wirklich jemand überrascht, dass beispielsweise die BILD-Zeitung oder die Huffington Post auf das Thema angesprungen sind? Wohl kaum, denn dort gibt es nicht mal eine Wissenschaftsredaktion. Das ist es, was ich mit “like stealing candy from a baby” meinte. Dass die Meldung, wenn sie erst einmal losgetreten ist, dann in allerlei internationalen Medien einen Niederschlag fand, ist – wenn man weiß, wie Medien funktionieren – letztlich auch nicht mehr weiter überraschend.
Persönliche Anmerkung: In einem früheren Teil meiner Berufslaufbahn hatte ich einen Korrespondentenjob im Haus Springer, der auch die Zulieferung der BILD mit einschloss. Ich sage das nicht, um das Blatt in irgend einer Weise zu verteidigen oder irgendwelche latenten Sympathien auszudrücken: Ich weiß aus eigener Erfahrung, welch ein Drecksblatt das ist und wie Nachrichten dort verdreht und verfälscht werden. Ein besonders drastisches Beispiel war eine Meldung, die ich irgendwann in den 90-er Jahren verfasst hatte (leider habe ich keine Kopie des Textes mehr, und meine Erinnerung daran ist nicht mehr sehr präzise), in der es um die Bestattungsrituale der Neandertaler ging, vor allem dabei um die Spekulation, dass Blütenpollen in einer Neandertaler-Grabstätte in der Shanidar-Höhle ein Indiz für einen “ästhetischen” Bestattungskult sein könnten. Am nächsten Tag schrieb die BILD, mit großer Schlag- (und meiner Autoren-)zeile: “Der Neandertaler brachte seiner Frau Blumen”. Der größte Fortschritt in der Zusammenarbeit mit der Zeitung, den ich in der Folge erzielen konnte, war der, dass ich danach von den zuständigen Redakteuren immer erst gefragt wurde, wie weit sie meine Texte verbiegen könnten, ehe ich vor Qualen aufschreie (nicht, dass es etwas genutzt hätte)…
Aber ich schweife ab. Worum es mir hier geht ist die Feststellung, dass die aus dem Stunt resultierende Medienkritik zwar begreiflich ist, aber für den Nachweis, dass BILD und HuffPost keine Qualitätsmedien sind, hätte es dieses Aufwands nicht bedurft. Das wussten wir schon vorher. Das Problem, das dieser Stunt offenbart und auf das ich hier die Aufmerksamkeit richten will, ist aber erst mal keines der medialen Verarbeitung, sondern der wissenschaftlichen Aufbereitung: ich finde es eigentlich sogar positiv überraschend, dass trotz dieses erheblichen Täuschungsaufwands nicht mehr Medien auf den Coup reingefallen sind.
Denn der beunruhigendste Satz in John Bohannons Bericht ist meiner Ansicht nach der folgende:
It’s called p-hacking— fiddling with your experimental design and data to push p under 0.05—and it’s a big problem. Most scientists are honest and do it unconsciously. They get negative results, convince themselves they goofed, and repeat the experiment until it “works”. Or they drop “outlier” data points. (Hervorhebung von mir)
Die meisten WissenschaftlerInnen manipulieren ihre Daten, wenn auch ohne böse Absicht? Ich finde das eher erschütternd als Feststellung. Denn das impliziert schon mal, dass WissenschaftlerInnen nicht zu trauen ist – egal nun, ob sie absichtlich schummeln oder ihre eigenen Fehler nicht bemerken. (Und dass es Probleme mit dem Verständnis solcher statistischer Indikatoren wie beispielsweise dem P-Wert bei extrem kleinen Fallzahlen auch bei aktiv forschenden AkademikerInnen gibt, erlebe ich nicht selten in meinem MIT-Lehralltag: wenn ich zum Beispiel in einem Bericht über ein studentisches Forschungsprojekt genau solche Schwächen – ein andere Klassiker ist die Verwendung von sinnfreien und auf viele Kommastellen ausgerechneten Mittelwerten für Messungen, die letzlich nur “Pi mal Daumen” vorgenommen wurden – entdecke und in meinen Kommentaren darauf hinweise, nur um dann zu sehen, dass der/die FachbetreuerIn dieses methodische Vorgehen widerspruchslos abgenickt hat…)
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