Doch dafür gibt es ja, wie wir immer wieder auch in den ScienceBlogs betonen, den Prozess der Peer Review – da würden doch solche Schlampereien oder Betrügereien sicher schnell gefunden, oder? Schön wär’s (hier der Link für alle, denen das Wortspiel eben entgangen ist): Erst vor wenigen Tagen sorgte die Entlarvung einer Studie, in der es um die gezielte Änderung von Meinungspositionen zur Schwulenehe ging, für peinliche Schlagzeilen. (Der Artikel wurde gerade von Science zurückgezogen.)
Sicher, gegen vorsätzliche Betrüger sind auch Wissenschaftler nicht unbedingt gefeit; dass sich der als Co-Autor nun peinlich bloßgestellte Politikwissenschaftler Donald P. Green von einem ebenso ehrgeizigen wie offenbar skrupellos seine Daten fälschenden Doktoranden über den Tisch ziehen ließ, mag zwar verständlich sein – wer würde schon jemandem, der sich bis dahin offenbar recht erfolgreich im akademischen Apparat bewährt hat, solch eine plumpe Fälschung zutrauen? Aber, so frage ich jetzt mal vorsichtig: Wenn es selbst dem doch stets seine Peers reviewenden akademischen Apparat nicht aufzufallen scheint, dass da etwas nicht stimmt, und offenbar selbst das Flaggschiff aller wissenschaftlichen Publikationen, das ehrwürdige Science, sich reinlegen lässt, das sich mit der Peer Review und der Publikation ja eigentlich so viel Zeit lassen kann wie es nur will – warum soll dann ein Massen(käse)blatt, dass unter extremem Zeitdruck von wissenschaftlich nicht versierten Leuten produziert wird, plötzlich besser darin sein, solche Enten abzuschießen? Ich fürchte, dass dieser Stunt letztlich dem Vertrauen in die Wissenschaft mehr schaden wird als dem “Vertrauen” in solche Medien wie BILD, HuffPost oder FOCUS Online…
Aber die Schokoladenstudie wurde ja nicht in Science oder sonst einem unabhängigen Fachblatt veröffentlicht, sondern in einem “Journal”, das solche Studien gegen Bezahlung abdruckt. Und meist, trotz gegenteiliger Versicherung, ohne peer review. Wie oft diese vorgeblich als open access klassifizierten Journale dies praktizieren (kleiner Tipp: Es ist mehr als die Hälfte) hat niemand anderer als John Bohannon ausgerechnet in Science schon vor mehr als eineinhalb Jahren entlarvt. Doch warum existieren solche Journale überhaupt? Wo ist die Empörung gegen solche Publikationen wie die International Archives of Medicine, in dem diese windige Schokoladendiätstudie publiziert wurde? Wer veröffentlicht überhaupt in solchen Journalen, und warum? So weit ich das aus den Inhaltsverzeichnissen erkennen kann, handelt es sich durchaus um Menschen, die in akademischen Positionen arbeiten; also nicht nur um solche Phantome wie Johannes (!) Bohannon.
Das Motto des letztgenannten Journals verrät ja schon, was das Hauptproblem ist: “I publish therefore I AM” steht da (genau so, einschließlich der fehlerhaften Zeichensetzung). Und das stimmt nicht nur im Rahmen dieses Journals. Der wahre Missstand, über den wir uns aufregen sollten, ist nicht die Tatsache, dass die BILD oder vergleichbare Medien nicht selten Sch… veröffentlichen – das tun sie schon lange, und wer das nicht weiß, wird durch solche Stunts nicht wissender werden. Sondern dass dies der Auswuchs eines Systems ist, in dem die Quantität der Publikation mehr bedeutet als die Qualität der wissenschaftlichen Tätigkeit. Denn dadurch wird es immer Studien geben, die nur zu dem Zweck produziert wurden, eine Publikation zu erzeugen. Dass Publikation der Goldstandard ist, wissen selbst schon meine Undergrad-StudentInnen – und das ist, im Prinzip, die gleiche Mentalität, die den Boulevardjournalismus am Leben hält: Am Ende zählt nur die Auflage und der daraus erzielbare Profit.
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