Gut eine Woche habe ich es geschafft, nicht über den Fall Tim Hunt zu schreiben. Ich nehme an, dass jede/(r), der/die hier mitliest, im Großen und Ganzen weiß, worum es da ging, aber ich will den Satz, den er am 9. Juni auf einer Konferenz losgelassen hat und zu dem er offenbar auch weiterhin steht, noch einmal im Wortlaut wiedergeben, ehe ich mich weiter dazu auslasse:
Let me tell you about my trouble with girls … three things happen when they are in the lab … You fall in love with them, they fall in love with you and when you criticise them, they cry.
(Quelle: Guardian)
Das Problem beginnt schon damit, erwachsene und hoch gebildete Frauen als “girls”, als Mädchen zu bezeichnen. Doch selbst wenn ihn diese – vielleicht mit seinem Alter zu erklärende – Herablassung nicht entlarven würde: seine halbherzigen und in gewisser Weise sogar noch entlarvenderen Entschuldigungen tun es dann. Er bedauert offenbar nicht so sehr, was er gesagt hatte, sondern dass er es vor so vielen JounalistInnen gesagt hatte. Und dafür dass diese Frauen Mädels – wenn seine Beobachtungen stimmen – immer losheulen, hat er auch eine Erklärung, die ihm eigentlich selbst zu denken geben sollte:
“It’s terribly important that you can criticise people’s ideas without criticising them and if they burst into tears, it means that you tend to hold back from getting at the absolute truth.
Science is about nothing but getting at the truth and anything that gets in the way of that diminishes, in my experience, the science.”
Aha. Frauen können also nur die Wahrheit nicht ertragen, meint er… Auf die Idee, dass es vielleicht an seinem Ton liegen könnte (eventuell spielt dabei auch die Anrede “Mädchen” eine Rolle?), scheint er nicht einen Moment zu kommen. Na gut, er findet, das müsse man(n) aushalten können, wenn man Wissenschaft betreiben will. Aber warum ist er dann so weinerlich, wenn ihm der gleiche scharfe Ton entgegenbläst?
Ich gestehe, dass ich etwas übersensibilisiert bin, weil ich in den vergangenen zwei Tagen insgesamt etwa 70 Aufsätze zum Thema Frauen in der Wissenschaft lesen musste, und die Beweislage für Sexismus als Ursache des eklatanten Gender Gap ist ziemlich solide. Wie anders ließe sich beispielsweise erklären, dass ein PLoS ONE-Reviewer den beiden australischen Evolutionsbiologinnen Fiona Ingleby und Megan Head riet, ihren Artikel (oh, die Ironie!) über just diesen Gender Gap dadurch aufzubessern, dass sie “ein oder zwei männliche Biologen” als Co-Autoren finden? Oder warum hielt es die Science-Berufsratgeberin Dr. Alice Huang (Ask Alice) für notwendig, einer jungen Postdoc-Forscherin, die Probleme damit hatte, dass ihr Fachbetreuer immer versucht, ihr in die Bluse zu starren, den Rat zu geben, dies hinzunehmen und dazu auch noch gute Miene zu machen?
Ja, vielleicht wollte Hunt wirklich nur witzig sein, wie er es zu seiner Rechtfertigung reklamiert. Aber er ist, wie ich vermute, ein hochintelligenter Mensch. Und darum könnte ihm eigentlich schon aufgefallen sein, dass dieses Thema nun mal nicht witzig ist – jedenfalls nicht aus der Sicht der Frauen. Und dass es nicht die Pflicht der ZuhörerInnen ist, seinen missverständlichen (?) Worten den von ihm gewünschten Sinn und Bedeutung zu geben, sondern dass diese Verantwortung immer bei den Sprechenden liegt.
Kommentare (129)