Von allen Metaphern und Klischees, die in der wissenschaftlichen Berichterstattung verwendet werden, geht mir die Tarnkappe wohl am meisten auf die Nerven. Nicht nur, weil der Begriff selbst schon einen Irrtum enthält – gemeint ist keine Kappe im Sinn eines Kleidungsstücks, das die obere Kopfpartie bedeckt, sondern ein Cape, ein Umhang. Aber noch mehr stört mich, dass dieses mystische Kleidungsstück, das seine TrägerInnen unsichbar macht und ein wesentliches Requisit der Harry-Potter-Storys ist, vor allem aus letzterem Grund stets bemüht wird, wenn es beispielsweise um Metamaterialien geht, oder wenn – wie in der aktuellen Ausgabe von Science beschrieben – ein Weg gefunden wurde, die optischen Spuren eines Objekts zu “tarnen” (An ultrathin invisibility skin cloak for visible light). Und jawohl, Bingo! die Tarnkappe geistert wieder durch die Medien, sowohl im englischen Sprachraum, als auf Deutsch Und wie ich hier schon mal versucht habe zu diskutieren, führt sie als schiefes Bild zu einem schiefen Verständnis dessen, was da präsentiert wurde.

Ohne mich allzu sehr in Details zu vertiefen, die ich sowieso mit Mühe kaum verstehe (hab’ zwar ein Semester lang in die Vorlesung über modern Optics reingehört, aber das reicht nur fürs Grobe), könnte ich die technische Leistung, die im Science-Paper beschrieben wird, am ehesten in ihrer Wirkung mit einer Art “adaptiver Optik” oder vielleicht auch mit der Antischall-Technik vergleichen, die in Kopfhörern beispielsweise zum Einsatz kommt. Um es kurz zu sagen, erlaubt es diese neue Technik, sehr kleine Gegenstände unter einer vergleichsweise dünnen Membran zu verbergen, die einfallendes Licht so manipuliert, dass es wie von einer Spiegelfläche reflektiert erscheint, anstatt jene charakteristischen Streuungen und Brechungen zu zeigen, durch die wir sonst die Form und Oberflächenbeschaffenheit eines Gegenstandes erahnen. Und im Gegensatz zu Metamaterialien ist diese “Metaoberfläche” nahezu zweidimensional (nur 80 Nanometer dick, um genau zu sein).
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Doch diese Technik ist weit davon entfernt, eine “Tarnkappe” zu sein, wie wir sie durch Assoziation mit Mythologie und Massenliteratur erwarten könnten: Nicht nur, weil sie derzeit nur für Gegenstände in der Größenordnung von 36 mal 36 Mikrometern funktioniert (das lässt sich bestimmt steigern), sondern weil dieser Gegenstand stationär sein muss (also nix mit getarnt den Kühlschrank plündern oder andere Streiche spielen). Vor allem aber, weil dieser Gegenstand nicht wirklich unsichtbar wird – vielmehr wird seine Form kaschiert, weil das Licht, wie gesagt, von ihm reflektiert wird als wäre er eine völlig ebene Oberfläche. Aber das Licht kann den Gegenstand nicht durchdringen oder um ihn herum gleiten – Schatten wären als Schatten erkennbar, was für eine Tarnung natürlich ein wichtiger Nachteil ist.

Aber trotzdem: die “Tarnkappe” scheint für Leute, die darüber schreiben müssen, als Sprachbild unwiderstehlich zu sein – das gilt übrigens auch für den “Science”-Autor Adrian Cho, der den redaktionellen Begleittext zum Paper verfasst hat. Sicher, im Englischen ist es umso verlockender, als – wohl basierend auf dem mythischen Umhang – das Wort für diese Form der umhüllenden Tarnung “cloaking” ist und jede Vorrichtung, die diese Tarnung bewirkt, als ein “cloak” bezeichnet wird – also genau so, wie der “invisibility cloak” in Harry Potter, und das ganz unabhängig davon, welche physische Form dieser “cloak” tatsächlich hat. Daher kann man den Autoren (alles Männer) des Paper nicht wirklich einen Vorwurf machen – sie kamen zwar sehr gut ohne Harry Potter aus, aber dennoch nicht um das Wort “cloak” herum.

Im Deutschen hingegen besteht dieses Dilemma jedoch nicht – wir brauchen keinen Mantel, kein Cape, keine Kappe, um etwas zu bezeichnen, das etwas anderes tarnt. Und darum wäre es endlich mal Zeit, dieses Klischee für lange Zeit unsichtbar zu machen.

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Kommentare (3)

  1. #1 dgbrt
    18. September 2015

    Och, man braucht doch ein schönes Wort für die Schlagzeilen.

    Am besten ist doch wohl der Tarnkappen-Bomber. Die F-117 oder die B-2 sind so gar nicht unsichtbar. Weder beim Radar noch bei Wärmebildern. Die Signaturen, die eine feindliche Bodenstation messen kann, sind nur etwas schwächer.

    So far: Scotty, beam me up. (Ein Raumschiff der Romulaner hatte sich gerade enttarnt.) 😉

  2. #2 BreitSide
    Beim Deich
    18. September 2015

    Hmm, interessant! Ich hatte – bis zu diesem Artikel – gar keine Mühe, die Tarn”kappe” mir auch als Umhang oder Schleier oder so vorzustellen. Aber bei den Nibelungen hatte ich mir natürlich tatsächlich sowas wie einen Pileolus (hab ich grad erst gelernt…) oder eine Baskenmütze vorgestellt.

    Es ist immer wieder erfrischend, wenn die eigenen Denkschemata aufgedeckt und in Frage gestellt werden 🙂

  3. #3 Hans
    23. September 2015

    Im deutschen Wikipediaartikel wird die Tarnkappe als Helm beschrieben, der so u.a. in der griechischen Mythologie vorkommt. Und das die Tarnkappe bei den Niebelungen tatsächlich ein Tarnumhang (à la Harry Potter) ist, wusste ich bis eben gerade auch nicht.