Auf den ersten Blick erscheint das Fragezeichen in der Überschrift unnötig: Die Startup-Pharmafirma Turing Pharmazceuticals hat die Rechte an dem seit 1953 produzierten Toxoplasmose-Medikament Daraprim erworben – und prompt den Preis pro Tablette von 13,50 Dollar auf 750 Dollar angehoben. Die daraus folgende Empörung ist leicht nachvollziehbar – das Medikament wird vor allem von Personen mit geschwächtem Immunsystem (zum Beispiel weil sie an Krebs erkrankt oder HIV-positiv sind) benötigt, und es gibt derzeit keine brauchbare Alternative (Daraprim ist als einziges Medikament von der Medizin-Aufsichtsbehörde FDA genehmigt).
Dass der Turing-Chef Martin Shkreli sich bisher eher als Windhund in der Hedgefund-Branche hervorgetan hat, macht es natürlich noch leichter, die ganze Sache einfach widerlich zu finden. Und die Versprechen in der Turing-Stellungnahme dazu, dass sie “die Versorgung mit Daraprim” für alle sicherstellen würden, ändert erst mal nichts daran, dass diese Preistreiberei nach Abzocke riecht.
Und das ist sie vermutlich auch. Aber obwohl ich beim ersten Lesen auch gern die Fackeln und Mistgabeln aus dem Keller holen wollte, gibt es doch ein paar Fakten – hier in der New York Times leicht nachzulesen – zu bedenken, die zumindest den Blickwinkel ein bisschen korrigieren sollte:
– Dies ist nicht der erste und auch nicht der drastischste Fall von Preistreiberei, nicht mal für Daraprim selbst: Als beispielsweise 2010 die Rechte an dem Medikament, das seit Jahrzehnten von Glaxo Smith Kline hergestellt wurde, von der Firma CorePharma aufgekauft wurden, kletterte der Preis innerhalb kurzer Zeit von 1 Dollar auf 13,50 Dollar; der Preis für das Tuberkulose-Präparat Cycloserine stieg nach Übernahme durch Rodelis Therapeutics auf das 21-Fache, das Antibiotikum Doxocycline erfuhr eine Preissteigerung um 9100 Prozent; die Herzpräparate Nitropress und Insuprel wurden sogar um die Faktoren 212 beziehungsweise 525 teurer, nachdem der Konzern Valeant die Rechte daran übernommen hatte. Und auch wenn “die anderen tun’s doch auch” keine echte Rechtfertigung ist, wirft es doch die Frage auf, warum die Empörung nicht schon viel früher entsprechende Bremsmanöver gezogen wurden.
– Aber man darf auch nicht ignorieren, dass es offenbar ja Firmen/Hersteller gab, die diese Produkte abstoßen wollten. Dafür kann es viele Gründe geben, aber in jedem Fall dürften mangelnde Profite nicht unerheblich gewesen sein. Und das schließt ja auch die ganz reale Möglichkeit ein, dass ohne eine Übernahme die Herstellung der Produkte gefährdet gewesen wäre, da es nun mal keinen Zwang gibt, nicht profitable Erzeugnisse herzustellen.
Aber andererseits wurde der Vertrieb beispielsweise von Daraprim so organisiert, dass Anbieter von generischen Versionen keine Chance haben, in den Markt einzutreten. Das macht die scheinbare Wohltätigkeit der “Retter” des Produkts wieder zweifelhaft (weil es offenbar nicht primär darum ging, die Produktion des Präparats zu garantieren, sondern seine Profitabilität). Und auch die Tatsache, dass hinter dem Turing-Deal ein Hedgefonds steht, lässt nur wenig Hoffnung, dass die Erlöse der substanziellen Preissteigerung primär in die Forschung reinvestiert werden – Investoren in Hedgefonds erwarten schnelle und üppige Renditen, kein langfristiges humanitäres Engagement.
Unterm Strich bleibt, dass es die Firma Turing vermutlich ehrlich meint, wenn sie verspricht, dass alle Patienten, die Daraprim brauchen, versorgt werden – aber das macht sie trotzdem nicht zu einer Wohltäterin. Am Ende zahlt die Gemeinschaft der Versicherten (und, wenn staatlichen Beihilfen nötig werden, sogar der Nicht-Versicherten) die nunmehr enorm gesalzene Rechnung.
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