Die Frage bezieht sich eigentlich auf jede Art von schriftlichem Test, also jene Form der Leistungserhebung, in der innerhalb einer vorgegebenen (und typischer Weise knapp bemessenen) Zeit ein Katalog von zumeist fachspezifischen Aufgaben abzuarbeiten ist – ob in der Grundschule oder beim Einstellungsverfahren ist da eigentlich egal. Ich benutze den Begriff “Klausur” nur deshalb, weil ich vermute, das die meisten, die hier mitlesen, damit die akustesten Erfahrungen haben.
Und ehe ich meine Antwort – die, ganz unzweideutig, “ja” lautet – näher begründe, will ich erst mal in meine eigene Schul- und Studienzeit zurückgehen. In der Schule hatte ich mit diesen “Schulaufgaben” und “Kurzarbeiten” (wie die lange bzw. kurze Form dieser Tests zu meiner Zeit genannt wurden) eher keine Probleme; Tests fielen mir (abgesehen von Mathematik in der 6. Klasse, wofür ich den damaligen Lehrer hunderprozentig verantwortlich mache) generell leicht, und sie hatten den Vorteil, dass sie schneller absolviert waren als die oft langen Hausarbeiten/Hausaufgaben. Doch schon damals, und das ist nun ein paar Jahrzehnte her, hatte ich das Gefühl, dass das nicht die beste Art sein kann, die Fähigkeiten eines Menschen zu testen – zu viele meiner Freunde, die ich nie für intellektuell schlechter und oft sogar für intellektuell überlegen hielt, hatten mit diesen Test ihre Probleme und mit dementsprechend schlechten Noten zu kämpfen.
Das änderte sich zwar ein bisschen, zumindest von der Philosophie her, als bei uns in Bayern die ersten Versuche mit neuen Oberstufenformen getestet wurden, die zumindest an meiner Schule in Schweinfurt als “Kollegstufe” bezeichnet und in verschiedenen Ausprägungen über Jahre hinweg modifiziert wurden. Aber das Prinzip hier war zumindest schon mal, dass der Impakt der Abiturprüfung gemildert wurde – in die Abiturnote gingen auch alle Einzelleistungen im Verlauf der 12. und 13. Klasse (die so nicht mehr existierten, sondern in Semester 1, 2, 3 und 4 unterteilt waren) kumulativ ein, was dann mit den mündlichen und schriftlichen Prüfungen, deren Gewicht damit auf ein Drittel reduziert wurde, zu einer Gesamtpunktzahl (maximal 900, wenn ich mich richtig erinnere) addiert und dann nach einem Schlüssel, ganz am Ende des Prozesse (und auch am Ende des Zeugnisses, zur großen Verwirrung aller potenziellen Arbeitgeber, bei denen ich mich mit diesem Zeugnis bewarb) in den landesüblichen Notendurchschnitt von 1 bis 6 umgerechnet.
Schon damals schien also eine gewisse Einsicht zu bestehen, dass es besser ist, Schülerinnen und Schüler – und ich dehne das mal ganz generell auf alle Menschen aus – nach ihrem langfristigen Leistungspotential zu beurteilen, als Entscheidungen von einzelnen Tagesformen abhängig zu machen.
Doch diese Einsicht ging offenbar nicht so weit, diese ad-hoc-Ermittlung andgültig in die Mülltonne der Pädagogik zu treten. An der Uni musste ich damals noch Klausuren schreiben, und auch meine heutigen Studentinnen und Studenten – ebenso wie mein Sohn in der High School – müssen nach wie vor solche Tests gegen die Uhr schreiben. Und da frage ich mich nun: Warum eigentlich?
Und diese Frage ist wirklich sehr ernst gemeint. Was verrät das Testergebnis über die Person, die den Test absolviert? Wer jetzt irgend was von “Wissen” sagt, den/die frage ich: Welches Wissen? Lexikalisches Wissen ist sowieso ein Anachronismus, besser: ein Atavismus aus Zeiten, als es noch kein Internet, kein Google, kein Wikipedia, aber auch kein Jstor, kein Wolfram Alpha, oder auch keine Siri oder verwandte Dienste gab. Ich zitiere hier mal aus einem Interview, das ich kürzlich für BILANZ mit dem Wirtschaftsnobelpreisträger Robert Shiller geführt hatte und in dem er, zwar lachend, aber dennoch mit vollem Ernst sagte:
Da wächst man mit dem Ehrgeiz auf, eine gute Ausbildung zu kriegen, Wissen anzusammeln, das man weitergeben kann – und dann kommt Siri. Und man braucht all das Wissen gar nicht mehr, und man braucht auch nicht mehr mit anderen Menschen zu reden, um an deren Wissen ranzukommen. Frag Siri, und die weiß die Antwort.
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