Ich bin Ausländer, und zwar wirklich überall auf der Welt: In dem Land, in dem ich lebe, bin ich Ausländer, weil ich eine andere als die amerikanische Staatsbürgerschaft besitze; in Deutschland bin ich Ausländer, weil ich meinen ständigen Wohnsitz nicht hier, sondern in den USA habe – und zwar schon sehr, sehr lange. Und in den übrigen 191 Staaten der Welt bin ich sowieso in jedem Fall Ausländer, egal ob nach der ersten als auch nach der zweiten Definition. Und als kategorischer Nicht-Inländer bin ich, wie sicher begreiflich ist, entsprechend sensibel wenn irgendwo und in irgendeiner Form über “die” Ausländer, Einwanderer und (in gewissem Umfang sogar) Flüchtlinge in kategorischer Weise diskutiert wird.
Aber es geht hier diesmal nicht um Flüchtlingskrisen und die Diskussion um Obergrenzen, sondern wirklich nur darum, was einen Ausländer “anders” macht oder nicht. Oder besser: Ob dieses “anders” sein automatisch bedeutet, ein Problem zu sein. Auf das läuft die Diskussion, ob sie nun in Deutschland oder in den USA geführt wird, immer wieder hinaus: dass das Empfängerland diese Zuwanderung “verkraften” muss, dass der nationale Charakter durch den Zustrom anderes Seiender verändert und gar bedroht wird. Kurz: dass das Fremde eine Bedrohung ist. Nach dieser Logik bin ich auch eine Bedrohung. Immer. Überall. Auch wenn ich mich selbst nicht als bedrohlich verstehen will und, so weit ich das beurteilen kann, auch von den meisten Menschen nicht als eine Bedrohung angesehen werde (mit Ausnahme, eventuell, einiger Studentinnen und Studenten, die jede Lehrperson mit Notenkompetenz als bedrohlich empfinden).
Spulen wir unsere Geschichte mal um 16 oder 17 Jahrzehnte zurück: Damals war ein Bayer schon in Hessen oder Württemberg ein Ausländer, und die Vorurteile der jeweiligen “Nationalitäten” gegeneinander dürften auch nicht trivial gewesen sein. Noch ein paar Jahrzehnte früher hatten nicht wenige unsere Städte noch Mauern und Tore, um sich vor Fremden zu schützen. Der Gedanke, dass man einem größeren Ganzen angehören könnte, war damals subversiv – das “über Alles” in dem von mir bewusst in der Überschrift zitierten Lied der Deutschen war damals nicht (nur) als Ausdruck einer nationalen Überheblichkeit zu verstehen, sondern erst mal der Aufruf, sich als Teil eines etwas globaleren Ganzen zu verstehen. Auf unsere heutige Zeit übertragen wäre das die Anregung, dass wir uns dann erst mal – mindestens – als Europäer im Sinn der EU und nicht primär als Deutsche, Briten, Franzosen etc. begreifen sollten.
Ich würde sogar empfehlen, gleich noch ein bisschen größer zu denken und selbst den europäischen “Nationalismus” gleich gegen einen globalen Humanismus einzutauschen. Aber verlieren wir dann nicht das, was uns “deutsch” macht? Mal davon abgesehen, dass ich selbst sehr viele Eigenschaften an mir entdecke, die ich sowohl als “deutsch” (im Sinn von: durch meine Sozialisierung in Deutschland geprägt) als auch gleichzeitig als mich an mir selbst als störend empfinde: Was ist “deutsch”? Und was wäre davon unvereinbar mit dem, was dann konsequenter Weise “nicht-deutsch” ist?
An dieser Stelle kommt ja gerne das Argument von der “Kultur”, als ob diese so etwas wie eine DNA einer nationalen Identität ist. Doch wie auch die DNA ist halt auch die “Kultur” nicht geeignet, kategorische Grenzen zwischen Menschengruppen zu ziehen. Nicht nur, weil zu “unserer” Kultur sehr viel gehört, was wir mit Nachbarstaaten (und vermutlich sogar Ländern ganz am anderen Ende der Welt) teilen, sondern vor allem auch, weil “unsere” Kultur ohne diese “äußeren” Einflüsse – und zu einem nicht unerheblichen Teil auch ohne physische Zuwanderung – gar nicht erst entstanden wäre. Und “unvereinbar” mit Kultur ist eigentlich nur die Ideologie, dass Kultur von äußeren Einflüssen abgeschottet werden muss, um zu bestehen. Genau das lehrt uns übrigens unsere eigene Geschichte.
Kommentare (67)