Foto: Flashmob gegen Männergewalt auf der Treppe vom Bahnhofsvorplatz Köln hoch zum Kölner Dom in Reaktion auf die sexuellen Übergriffen in der Silvesternacht (© Raimond Spekking / CC BY-SA 4.0 via Wikimedia Commons)
Damit ich mir nicht vorwerfen muss, eine Gelegenheit verpasst zu haben, meinen Senf zu bei mir so beliebten Themen wie (sexuelle) Gewalt und Ausländer abzugeben, mische ich mich nun auch mal in die Diskussion um die Silvesternacht in Köln und Hamburg ein. Das klingt vermutlich zynischer, als es gemeint ist, aber ich habe bis heute wirklich nicht ganz verstanden, was nun der eigentliche Skandal ist: dass es in Köln und Hamburg in der Silvesternacht zu sexuellen Angriffen auf Frauen kam, oder dass in den ersten Pressemitteilungen und -Berichten das Wort “Flüchtling” nicht vorkam? Ich würde ja denken, dass Ersteres das Problem ist, aber wenn ich versuche zu verfolgen, was ich via Facebook und “echte” Onlinemedien darüber finden kann, dann scheint der Hauptaufreger das Zweite zu sein. Woraus ich folgere, dass somit nicht die sexuellen Attacken auf Frauen an sich als das zentrale Problem angesehen werden, sondern dass sie von Flüchtlingen begangen wurden. (Wem dies hier zu lang wird: Am Schluss gibt’s ein zusammenfassendes tl;dr).
Genauer gesagt: von Tätern “nordafrikanischer und arabischer Herkunft”. Und dann wird darüber schwadroniert, wie unverantwortlich es doch von der Bundesregierung und natürlich auch allen Asylbefürwortern (in Ermangelung eines besseren Wortes) ist, junge – und natürlich sexuell sehr potente – Männer aus (sag ich’s: aus islamischen) Kulturen ins Land zu lassen, wo – wie doch jeder weiß – Frauen nur Freiwild sind. In der Tat sind, wenn ich solchen Angaben glauben darf, rund zwei Drittel der in Deutschland und Europa registrierten Flüchtlinge junge Männer unter 30 bzw. 34 Jahren.
Meine Phrasendreschmaschine ist gerade zur alljährlichen Überholung in der Werkstatt, deswegen muss ich vorerst mal damit leben nicht zu kapieren, was “Kulturrelativismus” – der Begriff taucht in den diesbezüglichen Diskussionen unausweichlich immer wieder auf – eigentlich ist. Aber wenn wir schon von Kultur reden, würde mich mal interessieren, was all jene, die dem Islam oder ganz generell der Levante (denn ganz offenbar sind nicht alle Flüchtlinge aus dieser Region Moslems) entstammenden Männern unterstellen, aus kulturellen Gründen potenzielle Vergewaltiger zu sein, von dieser Diskussion über den Begriff der Vergewaltigungskultur halten würden. Ich würde den Verdacht hegen, dass genau jene, die in der Flüchtlingsdebatte eindeutig die “kulturelle” Neigung jener Flüchtlinge zur Gewalt gegen Frauen heraufbeschwören, die kulturelle Komponente dieser Gewalt bei uns und anderswo im Westen kategorisch negieren würden. Aber ich gestehe, da spekuliere ich…
Zurück zur Frage, die ich auch in der Überschrift andeuten wollte: Ist das – uneingeschränkt als widerlich zu bezeichnende – Verhalten jener Männer auf dem Kölner Bahnhofsvorplatz oder der Hamburger Reeperbahn tatsächlich primär mit ihrer geographischen Herkunft zu erklären? Oder welche Rolle spielt dabei das Alter der Täter? (Von der immer wieder erwähnten Möglichkeit, dass es sich um organisierte Bandenkriminalität mit dem eigentlichen Ziel des Diebstahls handelt und die Taten in diesem Fall sowieso mit nochmal ganz anderen Mechanismen erklärt werden müsste, mal ganz abgesehen.) Letzteres ist nicht trivial: Die Altergsruppe der Heranwachsenden und jungen Erwachsenen ist eine besonders gefährdete Risikogruppe für sexuelle Belästigung, wobei die Rollen zwischen Täter und Opfer durchaus entlang der Genderdifferenzen festzumachen sind (junge Frauen sind häufiger Opfer, junge Männer wahrscheinlicher die Täter). Auch die meiner Ansicht nach absolut bestürzenden Zahlen hinsichtlich sexueller Gewalt an amerikanischen Colleges belegen, dass dieses Problem zumindest eine altersbedingte Komponente hat.
Vielleicht spielen dabei die postpubertären Hormone eine Rolle, vielleicht liegt es auch – und das ist meine Meinung – an der mangelnden Sexualaufklärung und sozialen Reife dieser jungen Menschen. Gruppenzwang kann ein wirksames soziales Korrektiv sein – aber er kann auch, wie uns die Erfahrung lehrt, unter bestimmten Umständen zu abwegigem, gefährlichem oder auch gewalttätigem Verhalten führen, das dem Individuum sonst nicht zugetraut würde. Ein anderer Faktor wäre zudem, dass sexuelle Gewalt nicht ausschließlich (wenn überhaupt) mit dem Bedürfnis nach sexueller Befriedigung zu erklären ist, sondern auch – und manchmal sogar ausschließlich – mit dem Bedürfnis nach Dominanz, nach Macht.
Entschuldigt das alles nun die sexuelle Gewalt in der Silvesternacht? Absolut nicht, im Gegenteil. Aber es wirft zumindest die Frage auf (wenn es sie nicht gar gleich beantwortet), ob der Hinweis auf die “nordafrikanisch und arabisch” aussehenden Männer wirklich so maßgeblich beziehungsweise dessen Nicht-Verbreitung gleichbedeutend mit Informationsunterdrückung war. Oder ob weniger die Herkunft, sondern vielmehr das Alter, die soziale Stellung, die Gruppen- wenn nicht sogar Bandenbildung durch soziale Abgrenzung (ja, auch eine selbst gewählte Abgrenzung ist hier mit eingeschlossen) die relevanten Faktoren waren?
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