Die Diskussion zu meinem Beitrag über die statistischen Probleme von Verschwörungstheorien ist zwar noch warm, aber ich lege gleich mal ein weiteres Scheit nach. Ist, wie ich gerne gestehe, so eine Art Steckenpferd von mir – ich finde die Idee der Verschwörungstheorie intellektuell extrem anregend. Aber wozu die Hervorhebung des Wortbestandtteils “-theorie”? Weil Verschwörungstheorien und Verschwörungen zwei ziemlich verschiedene Dinge sind, die sich nicht immer leicht auseinander halten lassen. Nehmen wir die von mir gewählte Überschrift als Beispiel: “Verschwörungstheorien haben ein statistisches Problem” hatte ich geschrieben – aber im Beitrag selbst geht es eigentlich nur um – angebliche – statistische Eigenschaften von Verschwörungen. Aber aus diesen statistischen Eigenschaften lassen sich dann Probleme für die Gültigkeit von Verschwörungstheorien ableiten lassen – sie sind jedoch keine Eigenschaften der Verschwörungstheorien.
Was ist denn eigentlich eine “Verschwörungstheorie”? Das ist ja nicht einfach nur die Annahme, dass sich irgendwo irgendwelche Gruppen zu irgend einem bestimmten Zweck “verschworen” haben (ich weise hier auch noch einmal auf meinen Beitrag Sind “conspiracy theories” Verschwörungstheorien? hin, in dem ich mich ein bisschen ausführlicher mit dem semantischen Problem, dass ja nicht hinter jeder Verschwörung auch ein im wörtlichen Sinn verschworener Personenkreis stecken muss) – ein wesentliches Merkmal der VT ist, dass sie aus der Existenz einer Verschwörung (oder manchmal auch nur aus der Tatsache, dass eine solche Verschwörung denkbar wäre) die Bestätigung ihrer Theorie herleitet. Die Argumentation folgt dabei dem Muster “weil die US-Regierung nicht alle Unterlagen offenlegt, ist bewiesen, dass 9/11 ein Insiderjob war”. Oder etwas allgemeiner: “Weil die (US-)Regierung (in der Vergangenheit) gelogen hat, lügt sie auch jetzt, und damit ist meine Theorie der XYZ-Verschwörung bewiesen.”
Der Haken an dieser Theorie ist, dass sie nicht falsifizierbar ist, da ja jeder Versuch zu beweisen, dass es diese Verschwörung gar nicht gibt, nur ein weiterer Beleg für die Existenz der Verschwörung (= Vertuschung, Geheimhaltung etc.) ist. Und genau deswegen ist es auch nicht möglich, einer solchen VT mit faktischen Belegen zu widersprechen. Es nützt daher auch nichts vorzurechnen – beispielsweise – wie lange eine Crew von Abbruchspezialisten brauchen würden, um die (im Sinne der VT) nötigen Sprengsätze in den Türmen des World Trade Center zu legen, und wie unwahrscheinlich es ist, dass dies in den zeitweise mit mehr als 50.000 Menschen gefüllten Räumen niemand bemerkt hätte. So lange nicht beweisbar ist, dass die Regierung hier nichts verheimlicht, muss diese VT nach ihrer eigenen Logik als bestätigt angesehen, q.e.d. Dieses Muster findet sich übrigens auch sehr oft in der Wahlkampf-Rhetorik des patentierte Überkämm-Techniken benutzenden Teilzeit-Immobilienbakrotteurs und VT-Veteranen Donald Trump, der mit dem vagen und nie klarer dargelegten Hinweis, dass irgendwo irgendwas nicht mit rechten Dingen zugehe, (“there is something going on” ist eine seiner Standard-Phrasen), auch noch die absurdesten Thesen seinerseits “belegt”.
Das ist, insgesamt gesehen, schon ziemlich verworren – allein schon deshalb, weil der gleiche “Beweis” (= “da ist eine Verschwörung im Gange, denn warum sonst würden alle behaupten, es sei nicht so”) für die widersprüchlichsten VT bemüht wird – wie hier beispielsweise schon nachzulesen war: Die gleichen Leute, die beispielsweise glauben, dass Prinzessin Diana vom britischen Geheimdienst ermordet wurde, glauben auch genauso bereitwillig, dass sie noch lebt.
Aber richtig verwirrend wird es, wenn man sich fragt, was den eigentlich mit “Verschwörung” gemeint ist? Ich hatte das in meinem Beitrag über die Unterschiede zwischen “conjuratio” (dem Begriff, den wir in einer modernen Form im Deutschen verwenden) und “conspiratio” (der in moderner Sprachform im Englischen gebräuchlich ist) schon mal einen Anlauf genommen, die verschiedenen Grade des Verschworenseins zu differenzieren; Kommentator Ingo hat sie hier noch einmal viel detaillierter aufgedröselt:
Kategorie 1
– tatsaechlich vorhandene Verschwoerung –
Eine Gruppe handelt zielgerichtet, laesst Aussenstehende aber ueber ihre Ziele im Unklaren.Kategorie 2
– Zielgerichtetes Handeln ohne Verschwoerung –
Bespiel: Die Pharmaindustrie und Lobbyismuss. Sie haben klare Ziele und handeln dementsprechend,- arbeiten aber idR nicht heimlich. Ihre Ziele sind klar erkennbar.Kategorie 3
– teilweise Scherzhaft gemeinte Verschwoerungstheorie –
Beispiel: Bielefeldverschwoerung. Sie wird im Scherz verbreitet. Die Authoren glauben selber nicht daran. Teilweise auch bei UFO-Touristen in Roswell zu beobachten (mitmachen fuer ein schoenes Photo). Vor allen im Internet faellt die Unterscheidung zwischen Scherz, Ironie und Ernsthaftigkeit oft schwer. -> (Meint der das mit den Chemtrails jetzt ernst, oder macht er sich Lustig?)Kategorie 4
– paranoider Verschwoerungstheorie –
Dies gefaehrliche Sorte von Verschwoerungstheoriene.
Der Rezipient glaubt sich einer Uebermacht ausgesetzt. Die Wahrheit wird angeblich unterdrueckt.
Interessannt finde ich auch, dass in solchen Theorien immer eine perfekte Oganisation existiert, wo die linke Hand weiss was die rechte tut. Jeder der schon einmal in einer Organisation > 50 Leute gearbeitet hat weiss, dass es soeine Organisation nicht gibt.Kategorie 5
– Eindruck einer Verschwoerungstheorie durch Missverstaendniss –
Eine an sich valide Meinung wird so ungluecklich formuliert, dass sie beim Rezipienten wie eine Verschwoerungstheorie aufgefasst wird.
Ist es eine Verschwörung, was die New Yorker Mafia tat? Was sie tat und wer dahinter steckte, war praktisch nie ein Geheimnis – doch Geheimhaltung ist eigentlich eine unbedingte Voraussetzung für eine echte Verschwörung. War es eine Verschwörung, dass die Kirche notfalls auch mit Gewalt am heliozentrischen Weltbild festhalten wollte, wo doch sowohl dieses Weltbild als auch ihre Position dazu nicht nur seit Jahrhunderten bekannt, sondern im Gegenteil sogar die offizielle Lehrmeinung war? Gibt es so etwas wie “offene” Verschwörungen?
Und ebenso verwirrend sind auch die potenziellen Verläufe solcher Verschwörungen (was auch immer man jetzt darunter verstehen will) – wie viele Mitverschwörer gibt es? Ist jeder Mithelfer auch ein Mitwisser, oder gibt es “unverschworene” Mitläufer? Was motiviert sie, mitzumachen – und was, auf der anderen Seite, motiviert zum Verrat? Gibt es externe Faktoren, die zur Entdeckung führen können – zum Beispiel, dass gegen die Verschwörer (eventuell aus ganz anderen Gründen) ermittelt wird? Welche Rolle spielt der Zufall dabei? Und dann natürlich: Was ist eine “echte” Verschwörung, und was nur eine (eingebildete) Verschwörungstheorie? Kann eine Verschwörungstheorie eine echte Verschwörung erklären? Verwirrend, verworren…
Und wie soll man sich da durchwursteln, wie den gordischen Knoten der Verschwörungslogik lösen? Hier fand ich den Ansatz des Papers, das die Grundlage meines eingangs erwähnten Postings über die statistischen Probleme von Verschwörungstheorien bildet, ziemlich erfrischend: Die simple Annahme ist, dass Verschwörungen von Menschen gebildet werden, und dass Menschen – das zeigt die Erfahrung – dazu neigen, Geheimisse zu verraten. Unabhängig davon, worum es in der Verschwörungstheorie geht und welche Beweise oder Gegenbeweise man bemühen könnte: Ohne Verschwörer keine Verschwörung. Und die meisten VT, über die wir hier diskutieren, leben geradezu davon, die Kreise der vermeintlichen Verschwörer weiter und weiter zu ziehen (Stichwort: Weltverschwörung). Aber wenn es Verschwörer geben muss, dann gibt es auch ein Risiko, dass sie plaudern. Und zwar selbst dann, wenn es keine erkennbaren äußeren Zwänge gibt – wenn sie beispielsweise nichts dadurch riskieren, ein Mitverschwörer zu sein, weil ihre Handlungen nicht strafbar sind. Wenn sie erst gar nicht mit Ermittlungen rechnen müssen, da sie selbst ja offiziell Ermittler sind. Oder wenn sie sich ganz offiziell hinter Geheimhaltungsvorschriften und Hinweisen auf “nationale Sicherheit” verstecken können. Kurz: Wenn ihr Risiko, das ihnen aus der Teilnahme an der Verschwörung entsteht (und damit der Anreiz, dieses Risiko zu reduzieren), minimal ist. All dies trifft auf die für das PLoS-ONE-Paper verwendeten Beispiele ziemlich gut zu. Andererseits sind die Kosten für den Verrat zumeist hoch und reichen vom Verlust sozialer Beziehungen bis hin zum Verlust des Lebens.
Wenn man nun ein gewisses Maß an Rationalität voraussetzt, kommt man zu dem plausiblen Schluss, dass unter solchen Bedingungen Anreiz zum Verrat minimal sein muss. Aber wenn ich eine statistische Wahrscheinlichkeit für diesen Verratsfall berechnen kann, dann kann ich auch davon ausgehen, damit einem Maximal- oder Minimalwert (je nachdem, ob ich es als Best-case- oder als Worst-case-Szenario, definiere) ziemlich nahe zu sein. Gäbe es noch andere Fälle, in denen diese Kosten-Nutzen-Verhältnis zwischen Mitmachen und Aussteigen noch extremer ist? Vermutlich, auch wenn mir gerade kein Beispiel einfiele. Aber für die meisten “handelsüblichen” Verschwörungsszenarien, von mafiösen Komplotten über illegale Absprachen und Manipulationen in der Wirtschaft bis hin zu Militärputsch- und Umsturzversuchen, sind die Risiken der Teilnahme (= die Strafbarkeit des Handelns) sicher größer, und die Kosten des Verrats werden durch mögliche Belohnungen, Beförderungen, Strafmilderungen oder einen Platz im Zeugenschutzprogramm aufgewogen – Verrat wird lohnender (und damit auch wahrscheinlicher).
Mehr als diese Argumentation würde ich an dem Paper, das ich zur Diskussion gestellt hatte, gar nicht verteidigen wollen. Und die Logik der Argumentation bleibt meiner Ansicht nach (mein Blog ist, wie ich nochmal betonen will, ein subjektives Medium, in dem ich eine Position vertreten darf und will) selbst dann noch plausibel, wenn die Zahlen und Formeln fehlerhaft sind. Aber letzteres wird sich belegen lassen – und dann würde ich mich freuen, diese Belege hier zu präsentieren.
P.S.: Wenn sich herausstellen sollte, dass das Paper von vornherein ein Scherz wie dieser hier war, dann stünde ich hier ziemlich im Regen. Doch das wäre noch einmal ein ganz anderes Problem, das ich ein andermal dann diskutieren würde.
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