Schusswaffen im Allgemeinen, und im Besonderen an amerikanischen Hochschulen, haben mich ja schon früher beschäftigt (und da ich an einer US-Hochschule arbeite, ist dies ein Thema, das mich eventuell ganz persönlich betreffen könnte). In Texas ist seit Anfang des Jahres das – verdeckte, d.h. nicht offen sichtbare – Tragen von Handfeuerwaffen auf College- und Universitätsanlagen gesetzlich erlaubt, nach einer Übergangsphase werden Studentinnen und Studenten also selbst in Hörsälen und Seminarräumen ganz legal eine Knarre in der Tasche verbergen dürfen.
Ich glaube nicht, dass man sehr viel Phantasie braucht, um sich vorzustellen, wie sich das auf Diskussionen – auch akademische, und vor allem solche, die leidenschaftlich geführt werden – auswirken kann. Der Senat der University of Houston (erkennbar unzufrieden mit der neuen Rechtslage) hat daher ein paar Ratschläge für das Lehrpersonal zusammengestellt, die letzlich einer Kapitulation der akademischen Lehrfreiheit vor der (potenziellen und latenten) Gewalt gleichkommen:”Be careful discussing sensitive topics”, schlägt der Senat vor (Folie 15), warnt also schon mal generell davor, “sensitive” Themen zur Sprache zu bringen, oder besser gleich “Drop certain topics from your curriculum”, also bestimmte Themen gleich ganz vom Lehrplan zu streichen. Und wenn’s nach Unmut riecht, lieber gleich wegbleiben…
Davon, wie sich das Gesetz auf die Notengebung auswirkt, wird noch gar nicht geredet. Aber auch dazu braucht’s nicht viel Fantasie: Ich jedenfalls hätte keine Lust darauf, mir für eine Drei plus (“C+” im US-System, wird von ehrgeizigen MIT-Studenten wie eine Fünf empfunden) eine Ladung Blei einzufangen. Und da ich nicht weiß, wer potenziell gefährlich sein könnte – und außerdem aus Gründen der Gleichbehandlung die Gewaltfreien, Unbewaffneten nicht benachteiligen dürfte – käme dies einer Abschaffung des Notensystems gleich.
Gut, ich muss im Moment in Massachusetts nicht damit rechnen, dass so ein Gesetz eingeführt wird. Aber andererseits ist der zweite Zusatzartikel zur amerikanischen Verfassung ein Rechtsgut, das auch gegen den Willen der lokalen Politik durchgesetzt werden könnte. Aber amerikaweit ist es inzwischen normaler, dass Waffen an Hochschulen erlaubt sind und am Körper getragen werden dürfen: Nur in zehn US-Staaten ist das Waffentragen auf dem Gelände einer Hochschule explizit per Gesetz verboten; in allen anderen Staaten ist es entweder den Unis freigestellt oder zumindest auf das Mitbringen von Schusswaffen im Auto (wo man sie ja schnell holen kann) beschränkt; in vier Staaten (neben Texas noch Idaho, Utah und Colorado) hingegen ist das Waffentragen selbst während der Vorlesungen und Seminare ausdrücklich per Gesetz erlaubt. Welche Freiheit mit solchen Waffen verteidigt werden soll, erschließt sich mir nicht – die Freiheit der Lehre und Forschung ganz gewiss nicht.
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