(Bitte den Hinweis am Schluss beachten)
Die Hominininen-Species Homo neanderthalensis ist ja vor einigen Tagen ganz unverschuldet wieder in die Schlagzeilen geraten, als der österreichische “Politiker” (ich setz’ das mal in Anführungszeichen, da ich mir nicht ganz sicher bin, ob diese Bezeichnung hier zutrifft, denn laut Wikipedia haben Politiker “das Ziel, durch ihr Denken Probleme der Gesellschaft zu lösen” – Hervorhebung von mir) Robert Lugar einen absolut unpassenden Vergleich zwischen diesen Urmenschen und Flüchtlingen gezogen hat.
Davon abgesehen, dass diese Unterstellung einer menschlichen Minderwertigkeit auf Neandertaler mit großer Wahrscheinlichkeit nicht den Tatsachen entspricht und dass wir es vermutlich noch nicht mal bemerken würden, wenn wir einem Neandertaler heute in moderner Kleidung begegneten (das Neanderthal Museum Mettman hat das ganz nett nachgestellt, siehe Abbildung rechts). So richtig verschwunden (das Wort “ausgerottet” ist einfach zu ekelhaft, als dass ich es hier verwenden möchte), wie Lugar behauptet hat, ist der Neandertaler ja nun auch nicht – er lebt, genetisch gesehen, immer noch ein bisschen in uns allen fort und hat uns, wie ich hier schon einmal beschrieben habe, sogar einige sehr typisch “europäische” Aussehensmerkmale (und auch einige sehr typische gesundheitliche Anfälligkeiten) hinterlassen. Diese genetische Verwandtschaft wurde bereits vor einigen Jahren bei der Sequenzierung des Neandertal-Genoms entdeckt. Auch wenn da eher verschämt nur vom Genfluss (gene flow) die Rede ist – als ob das Neandertaler-Erbgut irgendwie, fast wie eine Infektion, in unsere Chromosomen gekommen sei. Doch was das wirklich bedeutet ist: Der frühe Homo sapiens hatte Sex mit Neandertalern, und der dabei gezeugte Nachwuchs hat überlebt – und genau das sind unsere echten Vorfahren.
Warum drösele ich das alles noch einmal auf (stand ja schon zum größten Teil hier im Blog)? Nun, vor einigen Tagen ist in Science ein Paper veröffentlicht worden, das noch einmal diese genetische Verwandtschaft zwischen Neandertalern (und, wie wir inzwischen wissen, auch einer weiteren Gruppe – den Denisova-Menschen – und modernen Menschen bestätigt: Excavating Neandertal and Denisovan DNA from the genomes of Melanesian individuals.
Aber seitdem gibt noch eine kleine Überraschung, und zwar eine, die für Lugar sicher besonders ärgerlich ist: Streng genommen könnte man sagen, dass zumindest einige europäische Bevölkerungsgruppen, vor allem in höheren Lagen von Alpen- oder auch Kaukasustälern, nachweislich direkt von Neandertalern abstammen; dies hat eine genauere Analyse der sogenannten mitochondrialen DNA ergeben, die in einer der nächsten Ausgaben von PLoS One veröffentlicht wird.
Hintergrund ist, dass diese mitochondriale DNA (mtDNA) ausschließlich durch die Eizellen (die ja, wenn man es so sagen will, das körperliche Grundgerüst eines Embryos darstellt) über die mütterliche Linie weitergegeben wird; das heißt, sie wird nicht durch die bei der Befruchtung erfolgende Rekombination väterlicher und mütterlicher Gene (Allele, um präziser zu sein) vermischt und verändert, sondern grundsätzlich wie ein Familien-Kleinod von Generation zu Generation weitergereicht. Natürlich (im wörtlichen Sinn hier gemeint) kommt es dabei zu so genannten “spontanen Mutationen”, die sich mit einer vorhersagbaren Wahrscheinlichkeit ereignen und darum bestens zur Datierung abstammungshistorischer Ereignisse verwenden lassen, Gentiker sprechen gerne von der mitochondrialen Uhr. Und auch wenn man noch darüber streitet, mit exakt welchem Tempo diese Uhr tickt, lässt sich doch aus dem Vergleich zweier solcher “Uhren” plausibel ablesen, ob sie in der Vergangenheit vielleicht mal unterschiedlich gestellt worden waren.
Und genau aus diesem Vergleich wurde ja bisher immer gefolgert, dass Neandertaler nicht unsere direkten Vorfahren sein können: Es gebe, so schrieb dieses PLoS-Biology-Paper aus dem Jahr 2004, zu große Divergenzen zwischen der Neandertaler-mtDNA und der des modernen Menschen, dass “ein wesentlicher Beitrag der Neandertaler zu modernen Menschen” ausgeschlossen werden könne. Damit bestätigten sie eine bereits 1997 im Fachjournal Cell veröffentlichte Studie, laut der sich die mtDNA aller modernen Menschen untereinander gerade mal in um etwa 8 Punkten unterscheidet, liegt diese gentische Differenz zwischen modernen Menschen und Neandertalern bei etwa 27 bis 28 Punkten (zum Vergleich: die mtDNA von Menschen und Schimpansen divergiert in 55 Punkten).
So, nun also der kleine Knüller: Ein Team aus Genetikern und Biostatistikern der Universität Appenzell-Innerrhoden unter der Leitung von Ari Schiller-Patz analysierte die mtDNA spezifischer Bevölkerungsgruppen in Vals, einem noch bis ins frühe 18. Jahrhundert weitgehend isolierten Hochtal in Graubünden, und in den Hochlagen des Tiroler Stubaitals. Ausgewählt wurden dabei nur Bewohner, deren Familien nachweislich mindestens seit fünf Generationen (also ca. 200 Jahren) hier ansässig waren. Und dabei zeigte sich, dass zumindest in Einzelfällen mtDNA nachweisbar war, die deutlich geringere Unterschiede zur fossilen Neandertal-mtDNA zeigt – sie divergiert von der fossilen DNA in etwa 10 Punkten. Bedingt durch die kleine Grundgesamtheit von etwas über 30 Individuen und nur fünf Proben mit “Verdacht” auf Neandertal-mtDNA sei die statistische Aussagefähigkeit der Stichprobe marginal, räumt Schiller-Patz ein, doch er hofft, seine Studie auf andere isolierte Populationen (zum Beispiel im Kaukasus oder Hochtälern des Karakorum und des Himalaja) ausweiten zu können.
Plausibel seien die Ergebnisse jedenfalls selbst bei geringer statistischer Signifikanz, erklärt er. Eigentlich sei es sogar eher unwahrscheinlich, dass es keine Fälle von überlebender Neandertal-mtDNA geben sollte: “Das wäre nur plausibel, wenn es immer nur zu Paarungen zwischen Homo-sapiens-Frauen und Neandertal-Männern gekommen wäre” – selbst unter der Annahme, dass Männer in diesen frühen Gesellschaften mobiler und daher mit größerer Wahrscheinlichkeit in Kontakt mit “fremden” Populationen gekommen waren, sei dies nicht überzeugend. Doch was immer dies im statistischen Gesamtbild der europäischen Humangenetik bedeuten könnte – es gibt, wie die Studie fand, heute lebende Menschen, die mütterlicherseits in direkter Linie von einer Neandertalerin abstammen. Und offenbar sogar in Lugars Heimatregion Tirol.
Foto: “Steinzeit-Clooney”, Neanderthal Museum Mettman/H. Neumann
Nachtrag: Wie die meisten Leserinnen und Leser natürlich gemerkt haben handelt es sich hier um einen Aprilscherz – allerdings nur insoweit, wie es den Nachweis einer direkten mütterlichen Abstammungslinie heute lebender Personen von einer Neandertaler-Urmutter angeht. Alles andere, also auch die Tatsache, dass wir in der Tat auch Neandertaler-Erbgut in uns tragen, entspricht dem heutigen Stand der Wissenschaft. Und das macht Lugars Aussage nur umso absurder, wie auch einige Kommentare schon erwähnt haben.
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