Aber was hat dies nun mit der Politik zu tun, und vor allem: mit der aktuellen Politik? Nun, die Prospect Theory wurde in der Tat schon zur Analyse dazu eingesetzt, um scheinbar unnötige politischen Risiken zu beurteilen, die US-Präsidentschaftskandidaten (beispielsweise Jimmy Carter, Ronald Reagan und George H.W. Bush) eingegangen waren. Doch darum geht es mir heute nicht. Vielmehr greife ich einen Gedanken auf, den der Kolumnist James Surowiecki in der aktuellen Ausgabe des US-Magazins New Yorker durchspinnt: Darin geht es nicht um die Risikobereitschaft der Kandidierenden, sondern um die des Wahlvolks.
Die gängige Meinung ist ja, dass man Stimmen mit dem Versprechen auf positive Veränderung (= Gewinn) an sich zieht. Nicht zufällig reden wir ja meist von “Wahlversprechungen”, wenn wir die Rhetorik der Kandidierenden beschreiben. Ob das nun blühende Landschaften sind oder ein Huhn in jedem Topf; und selbst wenn es nur Blut, Schweiß und Tränen waren, enthielten sie doch das Versprechen auf einen Wende zum Guten.
Auch Donald Trump, um den es in der New-Yorker-Kolumne geht, macht allerlei “Versprechungen” – eine Mauer gegen Mexiko will er bauen, einen Handelskrieg mit China ausfechten und Apple zwingen, seine Computer in den USA zu produzieren; daneben will er im Prinzip alle internationalen Verpflichtungen der USA neu verhandeln, und sogar die Dürre in Kalifornien verspricht er zu bewältigen. Dass dies ziemlich unhaltbare, zum Teil einander widersprechende Versprechungen sind, weiß er vermutlich selbst. Aber das dürfte ihm egal sein, denn es geht bei dieser Strategie – und darin dürfte eine Parallele zu den Wutbürger-Kampagnen europäischer Parteien a la AfD liegen – nicht darum, was sich besser machen lässt. Sondern vor allem darum, den Leuten ins Bewusstsein zu hämmern, dass es ihnen schlecht geht – schlechter jedenfalls als “früher”, wann auch immer das gewesen sein mag. Davon, wie er seine “Versprechungen” einzulösen oder umzusetzen gedenkt, ist in Trumps Wahlkampfmonologen nicht viel (wenn überhaupt etwas) zu hören – dafür verwendet er umso mehr Atemluft darauf, immer genau von dem zu reden, worüber sein jeweiliges Publikum gerade am meisten frustriert ist. Selbst sein Slogan “Make America Great Again” dient diesem Ziel: das “again” soll vor allem suggerieren, dass diese amerikanische Großartigkeit (was immer das sein mag) abhanden gekommen ist.
Und damit baut er seine Strategie auf die Verlustaversion, genauer gesagt: die erhöhte Risikobereitschaft zum Verlustausgleich. Denn je mehr an Wohlstand, Sicherheit, Selbstgefühl etc. die Wählerinnen und Wähler glauben verloren zu haben, desto eher werden sie bereit sein, das größere Risiko zu wählen, um dieses wiederzugewinnen. Auf den Wahlkampf bezogen bedeutet das: sich für den entscheiden, der die größten Töne spuckt und am meisten provoziert. Doch sie übersehen, dass in Trumps Version des Ziegenproblems gar kein Auto hinter der Tür steht – alles, was er zu bieten hat, ist die Erklärung, jemand hätte es gestohlen. Und hinter den Türen, die er öffnet, warten statt Ziegen allerlei Sündenböcke, an denen sich die Verlierer dann abreagieren dürfen, im festen Glauben, dass sie sich dann auch besser fühlen werden. Denn auch das lernen wir aus der Neuen Erwartungstheorie: Am Ende entscheided oft das Gefühl, nicht der Verstand.
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