Die Abstimmung über das britische Referendum zum Ausstieg aus der EU (kurz: den Brexit) zeigte, wie es schien, eine ziemlich klare – und dramatische – Altersdifferenzierung: Während Dreiviertel der unter 25-Jährigen für den Verbleib in der Europäischen Union gestimmt hatten, waren 61 Prozent der über 65-Jährigen dagegen. Und am Ende siegten, zur offenbar großen Enttäuschung der Jungen, die “alten Säcke”. Doch wer die Zahlen anschaut, ahnt schon, dass da noch mehr im Spiel sein musste: Damit die Jugend derart überstimmt werden konnte, musste ihre Gesamtzahl der Stimmen kleiner sein als die der Alten – und in der Tat zeigte sich, dass die Wahlbeteiligung unter den Jungen ziemlich miserabel war: Nur wenig mehr als ein Drittel (36 Prozent) der 18- bis 24-Jährigen hatte sich bequemt, eine Stimme abzugeben; die politische Beteiligung der Rentnerinnen und Rentner hingegen lag bei 83 Prozent. Ist die Wahlbeteiligung der Jungen wirklich so “unfassbar niedrig, wie die Welt schrieb? Haben sie selbst Schuld, weil sie ihren politischen Moment “verpennt” haben, wie Jan Fleischhauer (ein ehemaliger New-York-Korrespondentenkollege von mir, wenn auch bei einem anderen Blatt) hier twittert?
Kann man so sehen, sicher. Aber andererseits: Die britische Jugend – nein: die Jugend schlechthin! – neigt schon lange dazu, ihren ersten Wahleinsatz zu “verpennen”. Nicht erst seit dem Brexit, und eben nicht nur in Großbritannien. Ach bei deutschen Bundestagswahlen sind die 18- bis 24-Jährigen traditionell die Gruppe mit der niedrigsten Wahlbeteiligung. Bei der Wahl 2013 beispielsweise gingen nur 60,9 Prozent der Stimmberechtigen in dieser Altersgruppe zur Wahl, gegenüber 81,8 Prozent der 60- bis 69-Jährigen. Die Lücke ist vielleicht nicht so groß (und die Wahlbeteiligung an sich deutlich größer) als beim Brexit-Referendum – aber sie ist enorm. Wie sah den die altersspezifische Wahlbeteiligung bei den letzten britischen Parlamentswahlen im Jahr 2015 aus? Nun, die Beteiligung der unter 25-jährigen war zwar etwas größer als beim EU-Referendum, aber mit 44 Prozent nun auch wieder nicht drastisch besser. Von den über 65-Jährigen waren hingegen “nur” 78 Prozent zur Parlaments-Stimmabgabe angetreten.
Politische Partizipation ist ja nichts, womit man geboren wird – man muss sie lernen. Und lernen müssen sie halt vor allem die, denen man 18+ Jahre beigebracht hat, dass sie erst mal nichts zu sagen haben. Das mag bei einigen das Bedürfnis sogar steigern, ihr endlich erreichtes Wahlrecht so voll wie möglich auszuschöpfen – aber wer weiß, wie viele junge Leute noch glauben, dass ihre Stimme, ihre Meinung nichts zählt. Andererseits behaupten wir, also die Generation der Eltern, ja immer, dass es uns nur um das Wohlergehen unserer Kinder (meinetwegen auch Enkelkinder – so weit bin ich persönlich noch nicht) ginge. Wie kann es dann sein, dass deren Interessen so gar nicht im Stimmverhalten der Alten reflektiert scheinen?
Vielleicht wird es ja ein Wahlforschungsprojekt geben, das dieser Frage mal nachgeht. Ich will auch nicht bestreiten, dass die Jugend eine reale Chance gehabt hätte, ihre Stimme deutlicher hörbar zu machen. Aber man muss auch wissen, dass die Jugend sowieso eine Minderheit ist: Es gibt, wie ich hier beispielsweise gefunden habe, mehr als elf Millionen UK-Wahlberechtigte über 65 – aber nur etwas mehr als sechs Millionen im Alter von 18 bis 24 Jahren. Mit anderen Worten: Selbst wenn alle 18- bis 24-Jährigen zur Abstimmung angetreten wären und in der gleichen Proportion (also mit 75 Prozent für den Verbleib) gestimmt hätten, wären dies “nur” 4,5 Millionen Stimmen – gegenüber den potenziell 6,7 Millionen Austritts-BefürworterInnen im Rentenalter…
Mag sein, dass die britische Jugend selbst zu ihrer Niederlage beigetragen hat. Aber die Häme hat sie nicht verdient – sie hatten von Anfang an schon die schlechteren Karten. Und alle Spieler in dieser Politposse haben dies gewusst, oder hätten es wissen können. Die Generation der Eltern hat sich hier nicht als Sachwalter der Jungen erwiesen.
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