Big Thunder Mountain Railroad, Disneyworld (Foto: SteamFan via Wikimedia Commons, CC-BY-2.5)

Da kann man als Journalist einfach nicht widerstehen: Eine Studie, die in der Oktoberausgabe des Journal of The American Osteopathic Association erschienen ist, fand heraus, dass Achterbahnfahrten generell helfen können, Nierensteine bis zu einem Durchmesser von einem halben Zentimeter ohne Operation loszuwerden – und dass es wesentlich effektiver ist, sich dafür hinten in die Achterbahn zu setzen, wo die Erfolgsrate fast viermal so hoch is wie vorne in der Achterbahn (24 von 36 Nierensteinen wurden erfolgreich auf den Rücksitzen rausgeschüttelt, aber nur 4 von 24 auf den Vordersitzen): Validation of a Functional Pyelocalyceal Renal Model for the Evaluation of Renal Calculi Passage While Riding a Roller Coaster (Validierung eines funktionalen Nierenbeckenmodells zur Evaluierung des Abgangs von Nierensteinen bei der Fahrt auf einer Achterbahn).

Das klingt zwar wie ein Brüller, aber zumindest wurde es ziemlich systematisch und mit erstaunlichem Aufwand getestet. Nicht an echten PatientInnen, sondern mit einer Nierenattrappe, die bisher eigentlich zu Simulationszwecken für Operationen verwendet wurde und die dazu speziell auf der Basis von Tomographiescans eines Patienten nachgebaut wurde; die drei Nierensteine (4,5 Kubikmillimeter, 13,5 Kubikmillimeter und 64,6 Kubikmillimeter), die für den Test verwendet wurden, stammten von dem gleichen Patienten/der gleichen Patientin, der/die auch die Vorlage für die “künstliche Niere” geliefert hatte. Getestet wurden diese echten Nierensteine in der – zumindest geometrisch realistischen – Niere, in Urin schwimmend, auf der Big-Thunder-Mountain-Achterbahn in Disneyworld. Bei jeder Fahrt wurden alle drei Steine in den Nierensiumulator geladen, allerdings immer an unterschiedlichen Stellen (wie sie auch in der Natur verteilt wären). Insgesamt 20 Fahrten wurden auf der Achterbahn gemacht, was also 60 Einzelfälle für die Auswertung ergab; in acht Fahrten saß die falsche Niere in den vorderen Reihen des vorderen Achterbahnwagens, in 12 Fällen in den hinteren Reihen des hinteren Wagens. Die Erfolgsquote (ca. 64 Prozent auf den hinteren Sitzen; ca. 17 Prozent auf den Vordersitzen) war dabei ziemlich unabhängig von der Größe des Nierensteins.

Wie gesagt, der Aufwand war vergleichsweise hoch, und ich will mir gar nicht erst vorstellen, wie die Buchhalter auf die Spesenabrechnungen für einen Trip nach Disney World zu Forschungszwecken reagiert haben. Und vielleicht bin ich sowieso nur wieder auf einen jener mysteriösen Wissenschafts-Streiche reingefallen, die sich nicht an den sonst üblichen Scherzkalender halten. Aber erstens sind Nierensteine in meinem Bekanntenkreis ein zunehmendes (und extrem schmerzhaftes) Übel, während Achterbahnen wiederum generell als ein Vergnügen gelten und es daher wirklich sensationell wäre, wenn man diese Übel auf solch eine vergnügliche Weise loswerden könne. Und zweitens ist wirklich nichts dagegen einzuwenden, wenn Forschung auch mal den ForscherInnen Spaß macht – was ich in diesem Fall wirklich hoffe.

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Kommentare (9)

  1. #1 Paddy
    Zurich
    5. Oktober 2016

    Wenn zwischen erster und letzter Sitzreihe diesbezüglich tatsächlich ein Unterschied besteht, dann würde das doch heissen, dass Adrenalinstösse gut gegen Nierensteine helfen. Rein von der Fahrtstrecke, Neigungen, G-Kräfte etc. macht es doch nach meinem Verständnis keinen Unterschied, in welcher Reihe man sitzt, man macht doch die gleichen Bewegungen und Fahrten durch. Oder?

  2. #2 manni66
    5. Oktober 2016

    @Paddy wenn ich so eine Achterbahn im Kopf modelliere, bremst der Kopf am Berganfang, während der Schwanz schon vor dem Tal langsamer wird. Der Kopf beschleunigt erst bergab, während der Schwanz schon kurz vor der Kuppe schneller wird.

  3. #3 Mars63
    5. Oktober 2016

    früher mussten die ‘stein-reichen’ nur die treppe rauf und runter hüpfen, war sicher billiger, und wenn dann eine Kolik kam, war man im KH gut aufgehoben.
    sowas in der achterbahn – selbst bei hohem adrenalinspiegel – wünsche ich dann doch keinem.
    oder muss der arzt dann immer neben einem sitzen??
    grüssle

  4. #4 Earonn
    5. Oktober 2016

    Ich meine auch, die hinteren Wagen würden mehr durchgerüttelt beim Anfahren, weil sie plötzlich “angezerrt” werden.
    Aber hey, meine letzte Achterbahnfahrt dürfte 20-30 Jahre her sein. 🙂

    Es wäre auf jeden Fall eine tolle Sache. Nur – so ein Nierensteinabgang ist doch extrem schmerzhaft, oder? Ich meine, wie gehen Leute damit um, mitten auf der Achterbahn plötzlich solche Schmerzen aushalten zu müssen?

    Trotzdem, klingt toll und ist hoffentlich kein Fake.

  5. #5 denyo
    5. Oktober 2016
  6. #6 Jürgen Schönstein
    5. Oktober 2016

    @Earonn
    Sicher kein “Fake” im eigentlichen Sinn – das waren echte Forscher, und sie haben diese Tests wohl auch wirklich durchgeführt. Aber andererseits ist das wohl auch nichts, was sich klinisch anwenden lässt, denn erstens ist es eine Sache, Nierensteine aus einem Plastikmodell loszurütteln, das ja kein Schmerzempfinden oder sonstige sensorische Wahrnehmungen hat – wie groß das “Vergnügen” ist, sich mit Nierensteinen in eine Achterbahn zu setzen, kann ich nicht mal ahnen. Und zweitens nochmal eine ganz andere Sache, ob man dazu wirklich die Achterbahn braucht (die hat ja auch nicht jeder vor der Haustür). Aber es wäre interessant herauszufinden, ob sich aus der Mechanik der Achterbahnfahrt vielleicht eine therapeutische Behandlung – eine Art “Rüttelstuhl”, vielleicht? – ableiten ließe, die dann tatsächlich klinisch getestet und vielleicht sogar angewendet werden kann.

  7. #7 Chemiker
    6. Oktober 2016

    Ich hatte mal einen Nierenstein. Er war klein aber schmerz­haft. Bei der Dia­gnose wurde mir erklärt, er sei so klein, daß er wahr­schein­lich im Lauf der nächsten Tage von selber ab­gehen würde.

    Zehn Tag später (die ich größtenteils im Bett verbracht hatte) war der Stein immer noch da. endlich moti­vier­te mich jemand zu einem Aus­flug, und nach ca. einer Stun­de Fahrt verlor ich den Stein an einem Schlag­loch (kurzes un­angeneh­mes Gefühl, danach augen­blick­liche, an­halten­de Er­leichte­rung).

    Das mit der Achterbahn glaube ich sofort. Aber ein Bus tut es auch, zumindest auf einer Rumpel­­piste im west­lichen Bangladesh.

  8. […] Jürgen weist auf eine durchaus aufwändige Studie hin, die behauptet man können Nierensteine durch Achterbahnfahren zertrümmern. Zumindest mit einer Modellnieren hat das funktioniert. […]

  9. #9 anderer Michael
    7. Oktober 2016

    Vorsichtig formuliert,ich bin kein Urologe und mein Englisch wird zwar besser , aber ist keinesfalls ausreichend.
    Nach Lesen der Links, auch dem Hinweis von Denyo:
    1. Verwendet wurde ein Nierenmodell
    2. Klinisch relevant für die Nierenkolik ist es, wenn sich ein Nierenstein aus dem Nierenbeckenkelchsystem (Calyx) löst und in den Harnleiter begibt. Die Passage durch den Harnleiter zur Harnblase kann außerordentlich schmerzhaft und komplikationsreich sein. Das wurde nicht überprüft! Eigentlich ist die klinische Wertigkeit für mich zweifelhaft.Ein US-amerikanischer Urologe sprach von” nuts”.
    3. Im Podcast (Kommentar bei #8)wird von ” zertrümmern” gesprochen. Das ist ein Missverständnis. Davon waren weder hier im Blog noch im Artikel die Rede.
    4. Ich will nicht zu viel hinein interpretieren.Geprochen wurde , dass man sich tausende von Dollar medizinischer Behandlung ersparen könne durch eine Achterbahnfahrt. Das ist für manche bestimmt von Bedeutung, angesichts fehlender oder eingeschränkter Krankenversicherung. Nur dann könnten falsche Hoffnungen geweckt werden.