“Postfaktisch” ist ja sooo 2016: Dank Donald Trumps Beraterin Kellyanne Conway wissen wir nun, dass platte und durchsichtige Lügen lediglich “alternative Tatsachen” sind – und sind damit nun definitiv in der Twilight Zone der Irrealität angekommen:
Doch fehlt es Trump und seinen Anhängern wirklich am Sinn für Realität? Glauben sie wirklich selbst, was sie da sagen? Vor allem, wenn sie ganz leicht und wirklich unzweideutig widerlegbar sind – wie im Fall der Zuschauerzahlen bei Trumps Amtseinführung, die Trumps Regierungssprecher Sean Spicer als die größten aller Zeiten bezeichnet hatte:
Der Beleg liegt in Luftaufnahmen, die überall einsehbar waren und aus denen klar hervorgeht, dass Trumps Publikum deutlich kleiner war als bei Barack Obamas erster Amtseinführung im Jahr 2009; auch die gemeldeten Fernseh-Einschaltquoten für Trump sind weit von Rekordhöhe entfernt. Doch was sehen die Trump-Anhänger eigentlich, wenn man ihnen diese Bilder zeigt? Ist es das gleiche, was andere Menschen sehen? Die Washington Post hat’s mal ausprobiert. Via YouGov.com wurden zwischen dem 22. und 23. Januar 1388 Amerikanerinnen und Amerikanern die folgenden Bilder (die sicher auch in Deutschland überall zu sehen waren) vorgelegt:
Eine Hälfte der Testpersonen wurde dann gefragt, welches der beiden Fotos die Amtseinführungszeremonie Trumps zeigte, und welche die von Obama im Jahr 2009. Und obwohl man, wie schon gesagt, die vergangenen Tage in einer fensterlosen Kammer hinter dem Mond hätte verbringen müssen, um diese beiden Fotos nicht schon in ihrem Zusammenhang gesehen zu haben, gaben 41 Prozent der RepublikanerInnen die falsche (aber ihnen sicher genehmere) Anwort:
Ein ähnliches Ergebnis wäre natürlich auch denkbar, wenn diese Bilder bis dahin tatsächlich noch niemand gesehen hätte. (Das ist wohl in etwa das, was mein SB.de-Kollege Marcus Anhäuser mit seinem Beitrag über den “Tunnelblick” sagen wollte.) Aber darüber, auf welchem der beiden Bilder mehr Zuschauer zu sehen sind, dürfte doch wohl kaum Uneinigkeit bestehen? Schau’n wir mal:
Immerhin also fast jede(r) siebte RepublikanerIn sieht auf den jeweiligen Fotos etwas, was ganz klar nicht zu sehen ist: eine größere Menschenmenge in Bild A als in Bild B. Selbst wenn man davon ausginge, dass absolute Zahlen aus solchen Aufnahmen nur schwer abzulesen wären (wenn das wahr wäre, gäbe es zum Beispiel auch keine Hämozytometer) – die relativen Mengenverhältnisse sind nicht zu übersehen! Und da auch nicht nach einer sonstigen Bewertung gefragt wird, ist die Antwort eigentlich absolut klar. Und das heißt auch, dass diese 15 Prozent ganz klar und eindeutig falsch geantwortet haben. Aber warum?
Dazu bietet der Washington-Post-Artikel, der von dem Politologen Brian Schaffer und der YouGov-Meinungsforscherin Samantha Luks verfasst wurde, eine Hypothese an: Expressive responding, mit anderen Worten – die Antwort hat nicht den Zweck, den wahren/erkannten Sachverhalt auszudrücken, sondern dient nur dazu, die Position der eigenen Partei zu stärken. Mit anderen Worten: sie wissen zwar, dass sie die falsche Antwort geben, aber letztere passt einfach besser in ihr Weltbild, und das wollen sie mit ihrer Antwort ausdrücklich bestärken. (Die Arbeit, auf die Schaffer und Luks sich dabei bezogen, konnte diese Diskrepanz zwischen tatsächlichem und vorgegebenem Wissen dadurch aufspüren, dass sie einen finanziellen Anreiz für korrekte Antworten anbot – durch diesen Anreiz hatten die bewussten Falschantworten plötzlich einen Preis, und siehe da, sie wurden seltener.
Und diese Bestärkung des eigenen Weltbildes scheint zu funktionieren. Schlimmer noch: Selbst der Versuch, solche Irrtümer/Falschheiten zu korrigieren, kann überzeugte Parteianhänger nicht nur nicht eines Besseren belehren, sondern erhöht sogar unter Umständen die Durchschlagskraft der Unwahrheit, weil dies ihre “Fluency” – sprich: die gebräuchliche Leichtigkeit, mit der sie ausgesprochen und weitergegeben wird – erhöht, wie mein MIT-Kollege Adam Berinsky in einer Studie herausgefunden hat.
Das ist also ein klassischer “Catch 22“, also eine Zwickmühle: Die Lügen unwidersprochen hinnehmen bedeutet, sich von vornherein geschlagen zu geben – doch den Lügen zu widersprechen gibt denen nur noch mehr Kraft. Willkommen in der Twilight Zone!
TV Intro – Twilight Zone – Unwahrscheinliche… by VergiePemberton
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