Der Begriff “river piracy” erinnerte mich sofort an das Buch Die Flusspiraten des Mississippi, das ich in meiner Jugend gelesen hatte (obwohl ich die Handlung kaum noch ins Gedächtnis rufen kann). Doch mit Piraten (die es tatsächlich auch auf Flüssen gab und gibt) hat das Phänomen, um das es hier geht (und das zwar schon vor ein paar Monaten bekannt wurde – aber ich komme erst jetzt dazu, was darüber zuschreiben. Sorry!), nichts zu tun. Laut nature geoscience wird dieser Begriff auch verwendet, wenn – natürliche – Umstände den Oberlauf eines Flusses so ändern, dass dem Unterlauf sprichwörtlich “das Wasser abgegraben” wird. Und genau das ist offenbar am Kluane Lake geschehen, der laut Wikipedia mit einer durchschnittlichen Oberfläche von 405 Quadratkilometern fast so groß ist wie der Bodensee und als der größte See im Yukon-Territorium gilt. Oder vielleicht wird man bald sagen müssen: galt. Denn seit gut einem Jahr ist der Wasserspiegel des Kluane Lake um etwa drei Meter gefallen: Der Slims River, der Schmelzwasser des Kaskawulsh-Gletschers heranführte, ist praktisch versiegt. Was geschehen war, hatte eine Gruppe von Forschern unter der Leitung von Daniel Shugar im April 2017 in nature geocience veröffentlicht – mit dem Hinweis darauf, dass der Klimawandel dabei eine Rolle spielt: River piracy and drainage basin reorganization led by climate-driven glacier retreat. Der Gletscher hatte sich so weit und so schnell zurückgezogen, dass sein Schmelzwasser eine andere Aflussrinne gefunden hat: Statt in den Slims River und damit – via Yukon River – zur Beringsee fließt es nun vor allem in den Alsek River und damit in den Golf von Alaska.
Quelle: nature geoscience, Nature Geoscience 10, 370 – 375 (2017) Published online: 17 April 2017 doi:10.1038/ngeo2932
Damit es keine Missverständnisse gibt: Die Hydrologie von Gletschern ist natürlich stets wandelbar, und speziell der Kaskawulsh-Gletscher – einer der größten in Kanada – hat hierin eine bewegte Geschichte. Die Ursache für das “abgegrabene” Wasser liegt in der Morphologie der Landschaft und des Gletschers. Doch dass es so schnell passierte (innerhalb von Tagen fiel der Wasserspiegel des Sims River und damit dann auch des Kluane Lake), ist eine Folge des schnellen Klimawandels. Angebliche “Klimasekptiker” tun ja gerne so, als ob es keinen Anlass zur Sorge gäbe, weil es Klimaschwankungen und globale Warmzeiten schon mehrfach im Laufe der Erdgeschichte gegeben habe – das Tempo der Veränderung (etwa zehnmal so schnell wie im erdgeschichtlichen Vergleich) ist das Problem. Und wer nicht glaubt, das die Geschwindigkeit ein Problem drastisch verschärfen kann, dem empfehle ich folgenden Selbstversuch: Lauft mit normalem Spaziergänger-Tempo, also etwa 4 km/h, gegen eine Wand. Tut sicher ein bisschen weh und gibt auch ein paar Beulen, ist aber ansonsten zu überleben. Würdet Ihr das gleiche bei 40 km/h probieren wollen?
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