Deutschland hat ja gerade selbst viel um die Ohren, was das politisch unerfreuliche Tagesgeschehen angeht. Trotzdem will ich auch einen Blick auf etwas lenken, was in den USA beinahe stündlich für neue Aufregung sorgt: Männer müssen sich – man staune – für sexuell aggressives Verhalten verantworten. Und anders als der Theaterdonner, der den deutschen #Aufschrei vor gut vier Jahren begleitete, schlagen hier die Blitze tatsächlich ein und fällen den einen oder anderen, der gestern noch fest verwurzelt und sturmresistent schien: mit dem Filmproduzenten Harvey Weinstein fing es an, dessen Prominenz – und die Prominenz seiner Opfer – eine Lawine von Enthüllungen und den Twitter-Hashtag #metoo (gewissermaßen der #Aufschrei hoch drei) nach sich zog, deren Schockwellen beinahe im Studenrhythmus durchschlugen: Der Film- und Fernsehstar (House of Cards) Kevin Spacey* wurde ebenso weg gespült wie der Disney-Chefanimator John Lasseter; bis dahin respektierte Mediengrößen wie beispielsweise der Fernsehjournalist Charlie Rose wurde ebenso als gieriger Grapscher entlarvt wie der Mann hinter den Comic-Heldinnen Wonder Woman und Supergirl; die Liste derer, die für ihr “übergriffiges” Verhalten zur Rechenschaft gezogen werden, wird täglich länger…
*Dass an einen fiktiven US-Präsidenten dabei strengere moralische Maßstäbe angelegt werden als an den amtierenden, dem nicht nur mehr als ein Dutzend Frauen bereits der sexuellen Belästigung beschuldigt haben, sondern der damit sogar lauthals geprahlt hat, ist nur eine der abgrundtiefen Absurditäten des neuen amerikanischen Politik-Alltags. Seine Sichtweise ist ja nun bekannt: Wer’s zugibt, ist selbst schuld – und so lange Mann es nicht zugibt, kann einem auch niemand etwas anhaben…
Doch wie die Überschrift andeutet, geht es hier nicht in erster Linie um diese männlichen Beutegrapscher. Was mich zum Schreiben angestoßen hat war ein kurzer Dialog mit einer Frau, die mir sehr nahe steht und die sich ganz ehrliche Sorgen darum machte, wie diese scheinbar unaufhörlichen Vorwürfe junge Männer wie ihren Sohn im sowieso erst noch zu erlernenden Umgang mit Frauen verunsichern könnten. Dass er sich beispielsweise “nichts mehr trauen” würde und seine Chancen, eine Partnerin (oder einen Partner, das war im Detail nicht diskutiert worden) zu finden, damit von vornherein zerstört würden.
Darüber musste ich einen Augenblick nachdenken – nicht etwa, weil ich diese Sorge teilen würde (ich bin ja auch Vater eines herangewachsenen Sohnes), sondern weil ich eine Zeitlang brauchte, um das Missverständnis zu erkennen, das in der Frage steckt: dass Männer aggressiv (um nichts anderes als um Aggression handelt es sich in jedem einzelnen der oben genannten und angedeuteten Fälle) sein müssen, dass sie Frauen “erobern” und sich dabei gegen Rivalen durchsetzen müssen. Das klingt zwar biologisch irgendwie plausibel (wir denken da ja schnell an brünftige Hirsche und balzende Auerhähne) – aber sind wir das wirklich? Oder genauer gesagt: brauchen wir (Männer wie Frauen) das wirklich? Männer, die dieses Verhalten als natürlich oder unvermeidbar entschuldigen wollen, sollten dabei immer daran denken, dass diese (sexuelle) Aggression sich ja nicht nur gegen Frauen richtet, sondern immer auch gegen Männer, die als Rivalen empfunden werden. Das mag in Zeiten, als Aggression und Kampfbereitschaft irgendwie als notwendig fürs Überleben angesehen wurden, tatsächlich auch eine Bedeutung gehabt haben, aber wir leben nicht mehr in diesen Zeiten. Und genauso, wie wir als moderne Menschen damit umgehen, dass wir die emotionalen Aspekte unseres Steinzeit-Metabolismus (will heißen: der Appetit auf Fettes und Süßes) unter Kontrolle halten müssen und können, werden wir damit umgehen können und müssen, dass Aggression – bei der Partnerwahl wie auch sonst im Leben – in einer Gesellschaft, die auf Kooperation** angewiesen ist, die falsche Strategie ist.
**(die ohne Respekt übrigens nicht denkbar wäre – und genau an dem fehlt’s ja in dem Frauenbild, das Weinstein und all die anderen Aggressoren pflegen)
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