Es ist sicher Zufall, dass mir heute gleich zweimal das Thema “Zahlen” über den Tisch gekrochen ist: In der Science-Beilage der New York Times erschien ein Artikel darüber, dass Zählen eine Fähigkeit ist, die nicht nur den Menschen zu eigen ist, im Gegenteil: Andere Lebewesen, von einfachen Fischen bis zu unseren nächsten biologischen Verwandten, verfügen über einen Zahlensinn, also über die Fähigkeit, Quantitäten zu vergleichen und eventuell sogar zu sortieren: Many Animals Can Count, Some Better Than You.
Das ist faszinierend und auch ein wenig ernüchternd; wobei ich es ja eigentlich eher beruhigend und wohltuend finde, wenn wir von unserer scheinbaren Überlegenheit – die ja oft mit der religiösen Gewissheit einhergeht, dass wir Menschen als etwas besonderes geschaffen wurden – entthront und uns in eine Reihe mit anderen Lebewesen stellen müssen (und nicht unbedingt an die Spitze dieser Reihe, wie man sieht). Die andere auf Zahlen bezogene Nachricht hingegen hat mich eher wieder die Haare raufen lassen, wenn auch erst nach kurzem Verdauen der Informationen: Es geht darum, seit wann wir Menschen eigentlich mit Zahlen politisch argumentieren: Der MIT-Professor William Deringer hat für sein Buch über “Calculated Values: Finance, Politics, and the Quantitative Age” nachgeforscht, wann es üblich wurde, politisches und gesellschaftliches Handeln (oder politische Forderungen) durch quantitative Belege zu motivieren oder zu rechtfertigen.
Zumindest für den englischsprachigen Raum fand Deringer heraus, dass sich dies auf das Jahr 1688 datieren lässt – also stolze drei Jahrhunderte und drei Jahrzehnte. Und mein Haareraufen liegt an der unerwarteten Einsicht meinerseits, dass zumindest im aktuellen politischen Diskurs der USA – und damit, die jene dem Rest der Welt durchaus einige Sichtweisen aufzwingen – der Welt diese 330-jährige Karriere der quantitativen Argumentation (und damit, in gewisser Weise, der evidenzbasierten Politik) ein jähes Ende gefunden hat.
Aber erst mal kurz zur Geschichte: Deringer sieht die Wurzeln in der Glorious Revolution, durch die das absolute Königtum abgeschafft und durch eine parlamentarische Monarchie ersetzt wurde. Aber “Parlament” bedeutet (wie der vom französischen “parler” = reden abgeleitete Name schon andeutet), dass hier geredet, genauer: debattiert wurde. Und Debatten brauchten Argumente – am besten solche, die nachprüfbar, belegbar und vergleichbar sind. Quantitative Evidenz kam da sehr zupass (Deringer nennt das “fighting with numbers”).
Und dieser Trend hat sich seitdem eher verstärkt, bis… ja, bis ein orangefarbener Autokrat names Donald John Trump (offenbar auch für ihn selbst überraschend) die Wahl zum US-Präsidenten gewann. Und in Trumps Welt gibt es nur ein quantitatives Argument: Was immer er tut, ist größer, besser, erfolgreicher als alles vor ihm. Und wenn diese “Erkenntnis” nicht durch Zahlen gestützt werden kann, dann müssen halt die Zahlen nachgeben. Dann wird aus der nachweislich spärlichen Zuschauermenge bei seiner Amtseinführung in der ersten Pressekonferenz seiner Administration die “größte Zuschauerzahl, die jemals einer Amtseinführung beigewohnt hat”. Da wird aus einem relativ knappen Wahlsieg im Electoral College (von der schweren Schlappe bezüglich der Gesamt-Stimmenzahl ganz abgesehen) ein “Erdrutsch-Sieg”. Da werden aus nachweislichen Haushalts-Defiziten sich selbst finanzierende Profite, da werden Steuererhöhungen für den Mittelstand zu Steuersenkungen umgedeutet, und generell alles, was sich auch nur marginal verbessert, zu Superlativen umgedeutet. Was Sinn machte, wird zum Unsinn erklärt und umgekehrt. Kurz: Evidenz spielt keine Rolle mehr, statt dessen ist es eine Rückkehr zum Dekret des Herrschers, wie in den Zeiten der absoluten Monarchie. Und wer Trump für seine imaginären Triumphe nicht mit unkritischem Beifall überschüttet, wird kurzerhand von ihm zum “Verräter”erklärt.
Schlechte Zeiten für die menschliche Vernunft, wenn selbst Dreistachlige Stichlinge – die beispielsweise den Unterschied zwischen sechs und sieben, oder auch zwischen 18 und 21 treffsicher erkennen können (was einer “Trennschärfe” von 0,86 entspricht) – besser rechnen als amerikanische Politiker…
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