Aber es gibt in den sozialen Medien, speziell bei Twitter, noch einen zusätzlichen Anreiz, selbst die absurdesten Meldungen so schnell wie möglich zu verbreiten: Reteets und damit das Anstoßen einer “Trending”-Meldung bringen Aufmerksamkeit und Sozial-Media-Ruhm. Das Ego der Retweeter wird durch die Tiefe der Kaskade erhöht – und wenn es nur für eine kurze Zeit ist. (Interessanter Weise sind es nicht die Twitter-User mit dem größten Folgschaften, die solche Falschmeldungen am eifrigsten verbreiten.)

Die Frage bleibt, wie sich solche Falschmeldungs-Kaskaden vermeiden ließen. Ein Weg wäre natürlich, verdächtige Retweet-Muster zu identifizieren (bei solch dramatischen Unterschieden sollte das ja mit einer relativ hoen Trefferquote möglich sein), und die damit verbundenen Kaskaden zu “entschleunigen” (zum Beispiel durch eine Warnung an die Retweeter, dass es Anzeichen dafür gibt, dass sie dabei sind, eine Falschmeldung zu verbreiten), oder solche Meldungen nach Verifizierungen – die entsprechenden Möglichkeiten gibt es ja schon, siehe oben (snopes etc.) – als “zuverlässig” oder “unzuverlässig” zu markieren. Allein das sollte schon dem eiligen Retweeten einen gewissen Hemmschuh anlegen…

*”Falschmeldungen” sind übrigens nicht einfach Meldungen, die falsch im Sinn von frei erfunden sind. Die gibt es natürlich, und sie können drastische Folgen haben, wie das Beispiel Pizzagate zeigt, oder die Falschmeldung, dass Barack Obama bei einem Anschlag aufs Weiße Haus verletzt wurde, die einen Börseneinbruch zur Folge hatte, der runde 130 Milliarden Dollar an Kursverlusten zur Folge hatte. Oft genügt es schon, eine alte Meldung (beispielsweise über einen Terroranschlag) als neu zu recyceln, oder eine Meldung, die in einem weit entfernten Land passiert, so umzuformulieren, dass sie klingt, als ob sie hier und heute passiert wäre (Beispiele habt Ihr sicher schon selbst gesehen). Oder Meldungen werden unvollständig wiedergegeben.

Ein anderes Beispiel geistert gerade wieder durch Facebook, angestoßen durch diese – zweifelhafte – Seite: Es ist zwar richtig, dass eine junge Frau in Saudiarabien, die von einer Gruppe von Männern vergewaltigt worden war, wegen unmoralischen Verhaltens zu sechs Monaten Haft und 200 Peitschenhieben verurteilt worden war – aber erstens liegt dieser Fall, der als Qatif Rape Case berüchtigt wurde, schon runde 12 Jahre zurück (was die “aktuelle” Meldung nicht mit einer Silbe erwähnt), zweitens wurde dieses himmelschreiende Urteil zwar tatsächlich gefällt, aber nie vollstreckt, im Gegenteil: Die junge Frau wurde vom damaligen saudischen König Abdullah ibn Abd al-Aziz Al Saʿud begnadigt – was zwar den Justizskandal an sich nicht eliminiert, aber dennoch nicht geeignet ist, die Story der unmenschlichen Moslems zu belegen. Und gar nicht erwähnt wird, dass die Vergewaltiger zu Strafen bis zu 1000 Peitschenhieben und zehn Jahren Gefängnis verurteilt wurde (auch das ist barbarisch, aber durch das Nicht-Erwähnen wird – absichtlich! – der Eindruck erweckt, dass nur das Vergewaltigungsopfer bestraft wurde. Verfälschung durch Weglassen ist eine der perfidesten Methoden der Nachrichtenmanupulation, und leider eine, die sich nicht auf soziale Medien beschränkt…

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Kommentare (6)

  1. #1 roel
    14. März 2018

    @Jürgen Schönstein Schade das der King of fake news in der Studie noch gar nicht erwähnt wird.

    “Der Artikel ist, soweit ich das von hier aus beurteilen kann, frei einsehbar” Das ist so!

    “mit Ausnahme der letzten Quelle, für die ich als Folge der Umbenennung in dotdash keinen Link mehr finde”

    Das müsste dieser hier sein:
    https://urbanlegendsonline.com/

  2. #3 anderer Michael
    17. März 2018

    Im deutschsprachigen Raum hilft mimikama.at bei der Wahrheitssuche.

  3. #4 Laie
    19. März 2018

    @anderer Michael
    Wirklich?
    Abgesehen vom wirklich sehr schlechten Deutsch ist inhaltlich bei den wenigen Artikeln die ich von dort las einiges zu bemängeln. Eine Satireseite? Der Postilion ist wenigstens unterhaltsamer, obwohl politisch leicht unausgeglichen… 🙂

  4. #5 Laie
    19. März 2018

    Mein Deutsch: nicht ganz soo schlecht: nur wurde das 2. EL in Postillon oben aufgetrennt und zum i verfälscht…

  5. #6 Bullet
    21. März 2018

    Was “Wirklich sehr schlechtes Deutsch”? Bei mimikama? Halte ich für ein Gerücht.