So, nun kenne ich also den Inhalt des Artikels in Sex Roles darüber, ob Männer in Machtpositionen nicht (nur) aus sexuellem Antrieb, sondern auch zur Kompensation ihrer eigenen Unsicherheiten zu sexuell aggressivem Verhalten neigen. Leider darf ich den Text hier nicht teilen, weil er noch nicht veröffentlicht ist.
Und wie erwartet, ist die Kernaussage in dieser Studie zwar duchaus mit Material belegbar – die Autorinnen haben drei verschiedene Tests mit drei verschiedenen Gruppen und einer Kombination von methodischen Kontrollen durchgeführt, was inm Vergleich zu vielen anderen psychologischen Studien schon mal eine hohe Sorgfalt demonstriert. Und sie sind auch ziemlich ehrlich darin, wo sie die Schwächen der Studien sehen: ein grundsätzliches Problem ist beispielsweise, dass zwei der drei Datenerhebungen auf der Amazon-Crowdsourcingplattform Mechanical Turk beruhen – die Partizipierenden (nur Männer im ersten Durchlauf, Männer und Frauen in einem späterne Durchlauf) wurden zwar nur geringfügig entlohnt, aber ihre Motivation, an solchen Erhebungen gegen Entgelt mitzumachen, wirft in jedem Fall die Frage auf, wie ehrlich (im Gegensatz zu kundengefällig) ihre Antworten ausgefallen sein könnten.
Ein weiteres Problem ist, dass diese beiden MTurk-Umfragen ein gänzich anderes Szenario und damit auch ein ganz anderes Verhalten durchspielten als eine dritte Studien, die von den Forscherinnen mit Studierenden im Labor durchgeführt wurden: Auf MTurk wurden die Teilnehmerinnen und Teilnehmer aufgefordert, sich in die Rolle eines/einer Vorgesetzten zu versetzen, die/der über die Anstellung von Personen zu entscheiden hatten, die sie persönlich als attraktiv empfinden. Die Frage war, ob sie sich vorstellen könnten, dafür eine sexuelle Gegenleistung zu akzeptieren: “Angenommen, dass Ihre berufliche Position sicher genug ist, dass sie keine nachteiligen Folgen für sich erwarten müssten, würden Sie die Stelle im Austausch für sexuelle Gefälligkeiten anbieten?”
Doch im Labortest wurde ein ganz anderes Verhalten untersucht: Teilnehmerinnen und Teilnehmer wurden aufgefordert, an eine Kollegin, die als “Anna K.” identifiziert wurde, eine Auswahl von Texten zu schicken, die diese lesen müsse. Die Häflte der Texte hatte eine sexuelle Konnotation, die andere Hälfte wurde als neutral eingeschätzt. Dieses Studiendesign hat gleich zwei Haken: Erstens, dass sowohl Männer als auch Frauen ihre Auswahl an eine Kollegin schicken mussten; zweitens ließe sich darüber diskutieren, ab welchem Punkt das Material als “sexuell belästigend” oder aggressiv eingestuft werden kann. Einer der Texte bezog sich beispielsweise auf die Frage, ob das Sexualleben in einer gleichberechtigten Ehe beeinträchtigt wird – das ist sehr weit von echtem explizit pornografischenm Material entfernt, als das es andeutungsweise charakterisiert wurde.
Ich denke zwar, dass die die Arbeitshypothese durchaus ernst zu nehmen und plausibel ist: Männer, die Macht haben, aber sich ihrer Kompetez nicht sicher sind, neigen dazu, dies mit aggressivem Verhalten zu kompensieren (ein besonders drastisches Beispiel dafür ist Donald Trump), und sexuelle Aggression ist da eine sehr naheliegende Möglichkeit, denn was immer man sonst über sein Opfer wissen müsste, um sich dominant fühlen zu können – das Geschlecht ist meistens auf Anhieb bekannt. Und es ist begrüßenswert, dass die Forscherinnen diesen Aspekt genauer betrachten – wir wissen ja inzwschen, dass direkte sexuelle Gewalt oft nur wenig mit Sex, dafür sehr viel mit Macht zu tun hat; warum sollte das bei “milderen” Ausprägungen dann anders sein? Aber es wäre wichtig, mehr als nur diese eine Studie als Beleg zu haben…
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