Gleich vorweg: Dass soziale Medien bei praktisch allen “sozialen” (oder antisozialen) Aktivitäten heute eine Rolle (mit)spielen, wird niemanden überraschen. Aber als heute ich den Beitrag Facebook Fueled Anti-Refugee Attacks in Germany, New Research Suggests in der Online-Ausgabe der New York Times las, wurde ich doch erst mal skeptisch. In diesem Beitrag wird ein direkter und durchaus kausal anmutender Zusammenhang zwischen spezifischen Gewalttaten gegen Flüchtlinge und Asylantenwohnheime einerseits und dem Engagement der Facebook-Nutzer hergestellt:
Wherever per-person Facebook use rose to one standard deviation above the national average, attacks on refugees increased by about 50 percent.
Quelle für diese Angabe(n) ist ein Paper, das von Carsten Müller und Carlo Schwarz, zwei Doktoranden an der University of Warwick im Mai 2018 auf der Wissenschafts-Plattform SSRN veröffentlicht wurde: Fanning the Flames of Hate: Social Media and Hate Crime (nach Anmeldung kann man sich den Text als pdf runterladen). Der Unterschied ist allerdings, dass das Paper – soweit ich es verstanden habe, aber manchmal überliest man ja Dinge – sich nicht mit Facebook per se, sondern vor allem mit dem AfD-Auftritt auf Facebook befasst. Um genauer zu sein: Aufgrund ihrer Datenanalyse fanden die beiden Autoren, dass Gewalt gegen Fremde in einem direkten Zusammenhang mit der “Thematisierung” (ich versuche hier mal, um ein weitgehend neutrales Wort zu finden) von Flüchtlingen auf der AfD-Facebookseite stehen. Aber ob die Posts dabei der Auslöser waren, ist zumindest fraglich: Diese Grafik aus dem Paper scheint eher darauf hinzudeuten, dass die Sache etwas komplizierter ist (manchmal scheint es, als ob die Beiträge nach den Gewaltakten zunehmen):
Wer sich für das Thema im Detail interessiert, kann sich ja die Zeit nehmen, die Warwick-Studie genau durchzulesen. Mir ging es primär darum, ob man es sich so einfach machen kann, alle Facebook-User als potenziell für Fremdenhass und -Gewalt verführbar einzustufen (wie der NYTimes-Beitrag, unter Berufung auf Wissenschaft) zu unterstellen schien – oder ob es eher so sein dürfte, dass Facebook als ein potenziell ultralokales, und dennoch anonymes Forum (im Sinn eines “virtuellen Raumes”) ein geeignetes Medium für all jene ist, die zu ebensolcher Gewalt neigen und sich durch die erwartete und erhoffte Zustimmung Gleichgesinnter (von deren Existenz sie andernfalls vielleicht gar nichts wüssten) motiviert fühlen, Ich denke, letzteres ist korrekter…
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