Ich habe den Astrophysiker und exemplarischen Wissenschaftskommunikator Neil DeGrasse Tyson – in seiner Rolle als Direktor des Hayden-Planetariums am American Museum of Natural History in New York – persönlich getroffen und schätzen gelernt. Das muss ich vorweg sagen, denn man könnte mir natürlich ganz berechtigt eine Befangenheit in all dem vorwerfen, was ich in den nachfolgenden Zeilen von mir geben werde.
In den vergangenen Tage wurden gegen Tyson Vorwürfe wegen sexuellen Fehlverhaltens erhoben, und da ich selbst ja konsequent die Meinung vertrete, dass man a) solche Vorwürfe grundsätzlich ernst nehmen muss und b) nicht danach gehen darf, mit welcher Seite man sympathisiert (und dann gegebenenfalls großzügige Entschuldigungen für das Verhalten findet, weil man sich nicht vorstellen kann, dass eine bewunderte Person “so etwas” tun würde). Und das heißt, konsequenter Weise, dass Tyson nicht automatisch eine Freikarte bekommt, nur weil er so eine wichtige Stimme für die Wissenschaft (und die Vernunft allgemein) ist. Aber es ist heißt auch nicht automatisch, dass jede(r) derart Beschuldigte automatisch zu verdammen ist; diese Schutzbehauptung, die ich leider viel zu oft höre (und für die ich “als Mann” – so die Begründung – nur allzu oft vereinnahmt werden soll), dass das Erheben von Vorwürfen einer Vorverurteilung, im Sinne von “schuldig bis zum Beweis des Gegenteils”, gleichzusetzen sein und die ganze #Aufschrei- und #MeToo--Bewegung nur die Rache der Feministinnen an den Männern sei.
Doch so einfach darf man es sich nicht machen, und so einfach macht es sich auch Tyson – wie ich finde, jedenfalls – nicht: In seiner Antwort, die er hier auf Facebook geschrieben hat bestreitet er nicht die Vorfälle oder bezeichnet sich als zu Unrecht beschuldigt: Er akzeptiert grundsätzlich die Verantwortung, und entschuldigt sich bei den Frauen, die diese Vorfälle berichtet haben. Und zwar nicht, wie viel zu oft, im Konditionalis (im Stil von “falls ich jemandes Gefühle verletzt haben sollte”, was ich ja hier dem ansonsten sicher zu Recht angesehen Nobelpreisträger Tim Hunt und seinen ApologetInnen hier vorgeworfen habe), sondern direkt, ohne wenn und aber. Und er gibt zu, dass er versteht, dass sich die Frauen dadurch verunsichert und eingeschüchtert fühlten – was, wie er sagt, nicht seine Absicht war. Dass kann man glauben (ich tu’s), muss man aber nicht – und auch diese Möglichkeit des Nicht-Glaubens räumt Tyson übrigens durchaus ein. Man sollte den Text also recht aufmerksam lesen und beispielsweise mit Hunts Nicht-Entschuldigung vergleichen.
Ich gestehe, dass ich nach dem ersten Schreck sehr schnell damit begann, mir Gedanken darüber zu machen, warum die Sache ausgerechnet jetzt zum Thema wurde. Und da hat natürlich #MeToo etwas damit zu tun – aber nicht mehr allein in dem Sinn, dass Frauen das ihnen absolut zustehende Recht nutzen, sich öffentlich gegen den nicht immer nur körperlichen Missbrauch durch Männer zur Wehr zu setzen. Sondern auch damit, dass diese berechtigte öffentliche Diskussion offenbar durch gezielten Whataboutism, durch das gezielte mediale Relativieren untergraben werden soll (und ja, dies ist primär eine Medienerscheinung, die sich dann gerne mal als “investigativer Journalismus” ausgibt, aber eben erst mal nur darauf aus ist, eine tu-quoque-Argumentation aufzubauen, die nicht etwa eine Verbesserung der Situation von Frauen zum Ziel hat, sondern das genaue Gegenteil).
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