Um es gleich vorweg zu sagen: Wer erwartet, dass ich hier die Fragen in der Überschrift beantworten werde, wird enttäuscht sein. Aber es sind Fragen, die sich mir geradezu aufdrängen, wenn ich am Morgen meine Zeitung aufschlage und mit beinahe jedem Artikel, den ich dort lese, in mir neue Zweifel am Zustand der Menschheit geweckt (oder verstärkt) werden. Muss ich das noch weiter ausführen? Ich erspar’s mir jetzt mal… Aber vielleicht ist es ja sowieso eine fehlgeleitete Hoffnung, dass es so etwas wie einen “Fortschritt” in unseren menschlichen Qualitäten gibt (die Betonung liegt auf “menschlichen Qualitäten” hier – dass es Fortschritte in Wissenschaft und Technik seit Generationen schon gab und täglich neu gibt, steht außer jedem Zweifel). Oder besser gesagt: eine unbegründete (und unbegründbare) Hoffnung. Unsere oft gepriesene (und von bestimmten Kreisen vereinnahmte) “abendländische und christliche Kultur” ist, was ihre Fähigkeit zu menschlicher Grausamkeit und Gewalt angeht, jedenfalls kein Vorbild (unter den zehn Ländern der Welt mit der geringsten Mordrate sind “wir” mit Luxemburg, Norwegen und der Schweiz nur eine Minderheit), und unsere Vorzeige-Errungenschaft, die Demokratie, wird allerorten gerade bei hellem Tageslicht verstümmelt oder gar gemeuchelt. Aber wenn wir auf andere deuten und sie als uns unterlegen oder gar als minderwertig abstempeln können; wenn es uns besser geht, wenn (oder auch gerade weil) es anderen schlechter geht, dann ist es mit unserer kulturellen Überlegenheit oder Vorbildlichkeit nicht weit her.
Wir wissen natürlich nicht, was in den Köpfen unserer steinzeitlichen Urahnen vorgegangen ist. Aber die paar Artefakte, die wir von ihnen haben, geben uns sicher genug Anlass, über unsere eigene Entwicklung nachzudenken. Die US-Wissenachaftsautorin Barbara Ehrenreich hat dies gerade in einem sehr lesenswerten Artikel für den britischen Guardian getan; es ist absolut kein Zufall, dass ihr diese Gedanken gerade in der aktuellen Zeit kommen. Ich selbst habe ja auch schon ab und zu darüber nachgedacht…
Und als visuellen Beleg dafür, dass wir diesen scheinbar primitiven Urahnen vermutlich weit weniger voraus haben, als wir uns selbst einreden wollen, nehme ich nur mal diese Skizze eines Nashorns, die eine steinzeitliche Künstlerin oder ein steinzeitliche Künstler vor mehr als 17.000 Jahren mit schwarzem Pigment an eine schwer zugängliche Wand in der Höhle von Lascaux gezeichnet hat:
.
Oder diese Gruppe von Pferden, die bereits vor rund 30 Jahrtausenden in eine Nische der Chauvet-Höhle gepinselt wurde:
Was immer wir auch nicht über die Schöpferinnen oder Schöpfer dieser Bilder wissen: sicher ist, dass sie Fähigkeiten hatten, die selbst in unserer Zeit nur wenige besitzen. Wir nennen es Kunst, und es ist mit Sicherheit etwas, von dem wir heute eher zu wenig als zu viel in uns haben…
Kommentare (5)