Ich bin zwar schon seit mehr als einem Jahrzehnt passionierter Nicht-Leser der Frankfurter Allgemeinen Zeitung, aber als gestern in meinem Facebook-Feed der Artikel Mein Abschied von Deutschland des Schriftstellers Matthias Politycki auftauchte und von einigen meiner Social-Media-Kontakte mit großem Beifall beklatscht wurde, konnte ich dann doch nicht widerstehen… (der Beitrag in der FAZ ist noch ein paar Tage lang ohne Abo zu lesen). Und war, um es mal vorsichtig auszudrücken, einigermaßen verwirrt. Nicht etwa, weil hier jemand seinen Beschluss begründete, aus Deutschland wegzuziehen – den Schritt kann ich nachvollziehen, da ich ihn selbst sogar schon zweimal gemacht habe. Sondern womit dieser Schritt begründet wurde:
Als Schriftsteller, der von der Freiheit des Gedankens und der Schönheit der Sprache als seinen täglichen Grundnahrungsmitteln lebt, sehe ich jedoch keine Möglichkeit zu bleiben, mag ich durch diesen Schritt auch als Mensch fast all meine Vertrautheiten und Geborgenheiten verlieren.
Mit anderen Worten (die er dann selbst nachreicht):
Was unterm Schlagwort der politischen Korrektheit zügig Terrain gewann, hatte auch ich zunächst begrüßt, vielleicht weil ich es für linkes Gedankengut hielt. Was inzwischen, zusammengefaßt unterm Begriff Wokeness, unseren gesellschaftlichen Diskurs dominiert, ist für mich nichts weniger als Pervertierung linken Denkens. Es ist die Herrschaftsform einer Minderheit, die sich anmaßt, gegen den Willen der Mehrheitsgesellschaft die Welt nach ihrem Bilde neu zu erschaffen.
Dieser Beschluss, den Politycki im Frühjahr 2021 mit einem Umzug nach Wien in die Tat umgesetzt hatte, sei – so schreibt er – durch einen Satz im Newsletter “Elbvertiefung” der Wochenzeitung Die Zeit angeregt worden, in dem von der “Rückkehr der Störchinnen und Störche” aus ihren Winterquartieren nach Hamburg die Rede war.
Wow! Dieser Satz erschien am 24. Februar 2021; der Umzug nach Wien musste demnach (wenn er tatsächlich im Frühjahr stattfand) geradezu fluchtartig geschehen sein; in der Tat benutzt Politycki genau diesen Begriff zur Beschreibung des Umzugs.
Jeder ist für sein eigenes Leben verantwortlich, und niemand muss gegenüber Fremden seine privaten Lebensentscheidungen rechtfertigen (sofern sie niemand anderem schaden). Doch da der Schriftsteller aus offenbar eigenem Antrieb beschlossen hat, seine Motive in der FAZ auszubreiten, erlaube ich mir dann auch, diese mal zu beleuchten. Nicht zuletzt, weil das Phänomen der “Beidnennung” etwas ist, worüber ich selbst schon immer wieder mal geschrieben habe (hier, zum Beispiel, oder auch hier). Im konkreten Beispiel des Zeit-Newsletters war die “Genderung” durchaus begründbar: Es ging im Kern darum, dass Storchenpaare (!) zum Nisten nach Hamburg zurückgekehrt waren – und dass manche der erwähnten Storchenweibchen in Tansania überwintert hatten, während ein Storchenmännchen aus Spanien eingeflogen kam. Packt schon jemand die Koffer, weil ich hier “Storchenweibchen” und “Storchenmännchen” geschrieben habe? Ist ja schließlich eine Form der Beidnennung, an der sich der Schriftsteller zu reiben scheint… “Und was ist mit Fröschinnen und Fröschen, Krötinnen und Kröten und all den andern Tierinnen und Tieren?” fragt Politycki hierzu noch, sicher auch stellvertretend für all die beifallnickenden Mitleserinnen und Mitleser. Tja, was ist mit denen? Nun, die “Fröschin” wird in der Tat oftmals als solche bezeichnet, und zwar schon seit Jahrzehnten, wie dieses Google-Ngram verrät:
Die Kröte ist allerdings schon generisch weiblich, selbst wenn’s ein Männchen ist – Polityckis “Krötin” ist also etwa so sinnvoll und argumentationskräftig wie die Formulierung “die Entin”. Und “das Tier” ist eh’ schon genderneutral… was jemand, der die “Schönheit der Sprache” als sein “tägliches Grundnahrungsmittel” bezeichnet, eigentlich wissen sollte. Aber vielleicht ist die “Störchin” dann doch ein Schritt zu weit? Vielleicht, aber dann ist es kein Schritt nach vorne, sondern zurück:
Der Begriff war Anfang des 19. Jahrhunderts sogar noch geläufiger als heute. Und steht auch genauso in der “Bibel” der deutschsprachigen Tierliteratur, “Brehm’s Tierleben“:
Meine Meinung dazu: Nicht die Beidnennung scheint mir neu – das Neue ist die Aufregung darüber. Und da sehe ich Politycki eher auf der Seite derer, die er in seinem Beitrag zu verurteilen scheint: Es passt ihm ganz offenbar nicht, dass andere diese Formulierungen benutzen. Und das Argument, dass er als Schriftsteller damit “gezwungen” würde, sich der politisch korrekten Sprache zu bedienen, ist selbst nach seiner eigenen Wertschätzung absurd:
Am heikelsten jedoch ist mein Arbeitsmaterial geworden. Kann man in der Sprache, wie sie der Zeitgeist fordert, überhaupt noch – aus dem Vollen schöpfend, nach Wahrhaftigkeit strebend – literarische Texte verfertigen? Nämlich als einer, der noch immer in alter Rechtschreibung schreibt, einfach weil sie klarer und schöner ist, und der aus denselben Gründen erst recht nicht vom generischen Maskulinum lassen will? (Hervorhebung von mir)
Aha, es ist also doch kein Problem für ihn, so zu schreiben, wie es ihm passt – selbst wenn es sich dabei einer veralteten Grammatik bedient. Warum dann die Aufregung?
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