Es wird Zeit, meinen diversen Ankündigungen zu genügen und über meinen „Liebling” zu sprechen, also meinen Forschungsgegenstand. Die Vorarbeit ist insofern geleistet, als ich Basics-Beiträge über DNA und Genexpression geschrieben habe, deren Lektüre ich für die Erleichterung des Verständnisses des folgenden Beitrags sehr empfehlen möchte.
In diesem Beitrag stelle ich (endlich) die Micro-RNA vor. Später einmal erzähle ich dann von der Anwendbarkeit der Micro-RNA-Analytik in der forensischen Genetik.

Micro-RNA (miRNA) besteht aus Ribonukleinsäure, ist also eine RNA, übt aber in der Zelle ganz andere Funktionen aus, als die drei „berühmten” RNA-Klassen, die viele noch aus der Schule kennen werden: die messenger-RNA (mRNA, s. Genexpression), die transfer-RNA (tRNA), die die Aminosäuren, die in ein naszierendes Protein eingebaut werden, zum Ribosom transportieren und die ribosomale RNA (rRNA), die, zusammen mit bestimmten Proteinen, die Bausubstanz für die Ribsomen bildet.

Im Gegensatz zur DNA ist die Entdeckung der miRNA noch recht jung. Erst 1993 fanden Lee et al. (s.u.) die erste miRNA im Fadenwurm C.elegans, wo sie eine Rolle in dessen Entwicklung spielt und hielten sie zunächst für eine wurmspezifische Schrulle. Erst als in immer mehr Organismen kleine, nicht codierende (= die Information für die Herstellung eines Genprodukts tragende) RNAs mit regulativer Funktion entdeckt wurden, ahnte man, daß es sich dabei wohl um ein umfassenderes Phänomen handelte und es dauerte noch bis 2001, daß sich die Bezeichnung „micro-RNA” durchsetzte, die von der sehr geringen Größe dieser Moleküle herrührt, die sich meist gerade einmal zwischen 18 und 24 Nukleotiden Länge bewegt (eine „normale” mRNA kann viele Tausend Nukleotide lang sein).
Vergleichsweise schnell allerdings, nämlich bereits 2006, wurde die Entdeckung der Funktionsweise der micro-RNA, die „RNA interference” (RNAi), aus dem Jahr 1998 durch Fire & Mello, verdientermaßen mit dem Nobelpreis ausgezeichnet.

Aber was tut nun diese miRNA bzw. was ist so interessant daran?
Diese kleinen Moleküle spielen in allen Pflanzen- und Tierzellen, aber auch bei vielen Viren, eine bedeutende regulative Rolle bei allen wichtigen biologischen Prozessen. Wie zentral die Funktion der miRNAs ist, läßt sich daran ablesen, daß die miRNA-vermittelte Regulation universell in Tier- und Pflanzenzreich ist und daß die meisten miRNAs evolutiv hochgradig konserviert sind, d.h., ihre Sequenz, ihre Basenabfolge unterscheidet sich selbst bei nur sehr entfernt miteinander verwandten Spezies nicht oder kaum. Dennoch ist ihre Länge viel zu gering, um, wie es die mRNA tut, viel Information zu enthalten. Das braucht die miRNA für ihre regulativen Aufgaben aber auch nicht. Das Ziel einer miRNA ist immer eine mRNA: miRNAs sind in ihrer Basensequenz vollständig oder zu einem Teil komplementär zu einer mRNA und können sich an eine solche mRNA anlagern (wie das funktioniert, erkläre ich noch). Viele miRNAs können sich sogar an mehrere verschiedene mRNAs anlagern und, um es richtig kompliziert zu machen, an einer mRNA können sich wiederum meist gleich mehrere miRNAs anlagern. Diese molekulare Promiskuität führt dazu, daß z.B. beim Menschen, bei dem bislang über 900 verschiedene miRNAs entdeckt worden sind, die Expression von ca. 30-50% aller Gene durch miRNA mitreguliert wird!

Zur Herstellung/Biosynthese:

Die Biosynthese der miRNAs ist ziemlich kompliziert und es sind inzwischen sehr viele Details darüber bekannt. Ich begnüge mich hier mit einer vereinfachten Darstellung, die die wichtigsten Punkte des Prozesses zeigt (s. dazu die Abbildung):

i-7fb2dabc4fda6786c037e7f3db4813cc-mirna synthjpg.jpg

miRNAs werden, wie alle RNAs, zunächst von der DNA transkribiert. Zuerst liegen mehrere primäre miRNAs (pri-miRNAs) in einem großen Transkript vor. Aus diesem werden noch im Kern von einem Enzymkomplex (Drosha) die einzelnen Vorläufer-miRNAs (pre-miRNAs) herausgeschnitten. Pre-miRNAs können dann vermittels des Transportproteins „Exportin” aus dem Kern ins Zytoplasma befördert werden. Dort werden sie von einem weiteren, anderen Enzym getrimmt (Dicer), wodurch die reife, noch doppelsträngige miRNA entsteht (miRNA duplex). Einer dieser beiden miRNA-Stränge wird nun in den „RISC” (RNA-induced silencing complex) genannten Enzym-Komplex eingesetzt. Dieser so mit einer miRNA geladene RISC kann an eine zur mitgeführten miRNA (teil)komplementäre mRNA binden und schließlich einen von zwei möglichen Effekten hervorbringen (s.u.).

Zur Funktion:

miRNAs regulieren die Genexpression, d.h. sie steuern, wieviel eines bestimmten Genproduktes, z.B. eines Enzyms oder Hormons, gebildet und in der Zelle wirksam wird. Sie beeinflussen zu diesem Zweck jedoch nicht die Transkription oder das Splicing (s. hier), sondern sie wirken posttranskriptional, also nach der Herstellung der Zwischenprodukte der Genexpression, den mRNAs, indem sie verhindern, daß reife mRNAs, die schon aus dem Zellkern ins Cytoplasma transportiert worden sind, an den Ribosomen als Vorlage für die Herstellung von Proteinen (Translation) und anderen Genprodukten dienen (in der Abbildung oben symbolisiert durch ” —-| “).
Dies erfolgt entweder durch die Spaltung, also die Zerstörung der zur ins RISC geladenen miRNA komplementären mRNA oder durch die Verhinderung bzw. Hemmung des Vorgangs der Proteinherstellung von der mRNA-Vorlage (die nicht zerstört wird) am Ribosom, die zu der ins RISC geladenen miRNA komplementär ist (am genauen Mechanismus hierfür wird noch aktiv geforscht). Welcher der beiden Effekte eintritt, hängt vom Ausmaß der Komplementarität zwischen miRNA und mRNA ab: bei vollständiger Komplementarität kommt es zur Spaltung der mRNA, bei partieller Komplementarität tritt lediglich die Translationshemmung ein.

Wenn wir bei der im Beitrag zur Genexpression eingeführten Restaurantanalogie für die Genexpression bleiben, müsste ich diese nun um spezielle Mitarbeiter für Rezeptverwaltung (miRNAs) erweitern. Diese Mitarbeiter arbeiten in der Küche (Zytoplasma), nicht in der Bibliothek (Zellkern), fahren dort auf Segways (RISC) herum und kontrollieren nach einem sehr komplizierten System (manchmal müssen zwei oder mehr dieser Mitarbeiter zusammenkommen und sich einig werden), welche und wieviele Kopien bestimmter Rezepte in Umlauf sind und ziehen ggf. einige oder alle davon ein und zerreissen sie oder überzeugen irgendwie die Köche, bestimmte Rezepte nicht umzusetzen, damit in der Küche immer genau die richtige Anzahl von Gerichten (Genprodukte) gekocht (translatiert) wird.

Man darf sich die Funktion der miRNAs also nicht wie einen stupiden 0/1-Schalter vorstellen, der nur die Zustände “Genprodukt X wird hergestellt” (1) und “Genprodukt X wird überhaupt nicht hergestellt”(0) zulässt. MiRNAs funktionieren eher wie ein fast stufenloser Schiebewiderstand, wie ein Dimmer: sie ermöglichen wahrhaftig ein exaktes Feintuning der Proteindosis.

i-4a342cbec823a6d2222c0ed4e1df85e8-mirnaregul.jpg

Die Abbildung zeigt grobschematisch ein Beispiel für eine Abhängigkeit der “Dosis” also der Menge eines Proteins von der Menge der für die Expressionsregulation dieses Proteins “verantwortlichen” miRNA. Man sieht, daß, solange sich die Menge M der miRNA im Bereich x < M < y bewegt, eine für die Zelle optimale Proteindosis gewährleistet ist. Und man kann auch nachvollziehen, daß eine Falschregulation dieser miRNA (denn natürlich werden auch miRNAs reguliert) eine Fehldosierung (zu viel oder zu wenig) des von ihr gesteuerten Proteins zur Folge hätte. Das Vorkommen solcher miRNA-Falschregulationen hat man inzwischen auch schon bei diversen Krankheiten, z.B. Krebs, nachgewiesen und einige miRNAs stehen offenbar sogar direkt mit der Entstehung bestimmter Krebsarten in Zusammenhang. Die zellulären Einrichtungen der RNAi lassen sich aber auch zum Guten, nämlich für therapeutische Zwecke nutzen, denn man kann kleine, sogenannte siRNAs, die ganz ähnlich aussehen und funktionieren wie miRNAs, künstlich herstellen und von außen in Zellen einschleusen, wo sie dann, ganz analog zur Funktionsweise der miRNAs, einen erwünschten Effekt, z.B. die Herunterregulation eines schädlichen Proteins, bewirken können.

MiRNAs präsentieren sich uns also als eine relativ neu entdeckte Klasse subtiler Steuerungsmoleküle, die in fast allen Lebewesen eine wichtige Rolle spielen und
der ohnehin schon spannenden und schwer zu durchschauenden Regulation der Genexpression eine neue Dimension mit zuvor ungeahnter zusätzlicher Plastizität und Variabilität hinzufügen.

Man muß sie einfach liebhaben 🙂

Nachtrag:
Wer sich einen Überblick über die bereits entdeckten miRNAs und, sofern bekannt, deren Funktion machen möchte, kann das hier tun.

 

Nachtrag am 5.2.16:

Katharina Petsche hat im Rahmen ihrer Diplomarbeit eine 3D-Animation der miRNA-Entstehung und -Funktion hergestellt, die mir ganz gut gefallen hat. Hier ist sie:

 

_______

Literatur

  • R.C.Lee, R.L.Feinbaum, and V.Ambros, The C. elegans heterochronic gene lin-4 encodes small RNAs with antisense complementarity to lin-14. Cell 75 (1993) 843-854.
  • A.Fire, S.Xu, M.K.Montgomery, S.A.Kostas, S.E.Driver, and C.C.Mello, Potent and specific genetic interference by double-stranded RNA in Caenorhabditis elegans. Nature 391 (1998) 806-811.
  • S.Griffiths-Jones, The microRNA Registry. Nucleic Acids Res. 32 (2004) D109-D111.
  • D.P.Bartel and C.Z.Chen, Micromanagers of gene expression: the potentially widespread influence of metazoan microRNAs. Nat.Rev.Genet. 5 (2004) 396-400.
  • H.Guo, N.T.Ingolia, J.S.Weissman, and D.P.Bartel, Mammalian microRNAs predominantly act to decrease target mRNA levels. Nature 466 (2010) 835-840.

flattr this!

Kommentare (12)

  1. #1 Claudia
    16/09/2011

    Voll gut.
    Nicht das einfachste Thema, aber verständlich formuliert. 🙂 Und selbstverständlich hier nochmal meine Huldigung der Restaurant-Analogie: sie rockt!

  2. #2 Frenk
    16/09/2011

    Besten Dank Cornelius, jetzt habe ich als alternder Biologe doch noch was gelernt.
    miRNA hat also keinen direkten Einfluss auf RNA-editing, ausser vielleicht der Regulation des Verhältnis editiert/uneditiert? Ist eine Interferenz mit einem Editosom zu erwarten?

  3. #3 Cornelius Courts
    16/09/2011

    @Frenk: An der Steuerung des RNA-Editing, dessen Umfang bis vor kurzem unterschätzt wurde ( https://www.ncbi.nlm.nih.gov/pubmed/21596952 ) und woran ja derzeit sehr aktiv geforscht wird, sind (zumindest soweit man weiß) nicht die miRNAs, sondern eher (nämlich nicht in allen Fällen) die snoRNAs beteiligt.
    Von einer Interferenz mit dem Editosom ist mir nichts bekannt, aber es sollte mich nicht wundern, wenn auch dafür noch eine small-RNA entdeckt wird 😉

  4. #4 marco
    20/09/2011

    Ich habe da eine Frage (ein bischen Off-Topic): Wie werden eigentlich die “macroskopischen”, großräumigen Features von Lebewesen codiert? Ich meine damit alles was über Zellebene hinausgeht. Woher ‘weiß’ der Zellhaufen nun, wie z.B. die Lunge auszusehen hat?

  5. #5 Cornelius Courts
    21/09/2011

    @marco: “Woher ‘weiß’ der Zellhaufen nun, wie z.B. die Lunge auszusehen hat?”
    Oh, wow, das ist eine extrem weitreichende Frage und genau damit, also mit der Genregulation zur Zell- und Gewebedifferenzierung, beschäftigt sich u.a. eine ganze Disziplin der Biologie: die Entwicklungsbiologie.
    Eine ausführliche Antwort, die auch nur halbwegs dem aktuellen und durchaus lückenhaften Forschungsstand entspräche, würde hunderte Seiten füllen. Daher an dieser Stelle nur ganz kurz: die endgültige Gestalt eines Gewebes oder Organs oder auch nur einer Zelle ist nicht in der DNA codiert. Die DNA enthält ausschließlich Information für die Herstellung von Genprodukten. Die Entstehung von komplexen Strukturen bedarf einer hochspezialisierten Umgebung (weshalb solche Prozesse im Labor auch so schwer nachzumachen sind) und eines sehr genauen Timings der Genregulation (und gerade bei der Entwicklung spielen miRNAs dabei eine große Rolle!). Z.B. kann eine räumliche Orientierung durch einen Konzentrationsgradienten eines bestimmten Moleküls erreicht werden, so daß entlang dieses “Gefälles” Prozesse in Abhängigkeit von der Konzentration unterschiedlich stark verlaufen und so eine nicht symmetrische Struktur entstehen kann. Das ist nur eine von vielen Möglichkeiten, die in lebenden Systemen zur Differenzierung entdeckt wurde.
    Wenn Dich dieses äußerst faszinierende Thema weiterhin interessiert, kann ich Dir nur die Lektüre eines guten Buches über E-Bio empfehlen 🙂

  6. #6 Dirk
    18/04/2012

    Ich hätte da auch mal einen schon fast regelrechten Frage-Komplex, der vielleicht etwas weiter führt und für dessen Beantwortung ich sehr dankbar wäre:

    Ausgehend davon, dass, wenn die miRNA – ja etwa aus 21-24 Nukleotiden bestehend – an einer mRNA bindet, diese ja nachdem wie repitiv die jeweiligen Sequenzen sind, völlig “unschädlich” macht oder eben nur “hemmt”: Bei einer Folge von gut 20 Nukleotiden, ist es da nicht relativ wahrscheinlich, dass es da gehäuft zu ungewollten Bindungen/Unschädlichmachungen kommt, wenn die mRNA dafür umso länger ist und es ja quasi eh nur vier Werte(/Basen) gibt?
    Was genau heißt “gehemmt werden”? Wird dann bis zu der Base, an der die miRNA sitzt, codiert und die Translation dann abgebrochen oder nur der Teil mit der gebunden miRNA “übersprungen”?
    Und zuletzt die für mich bedeutendste, weil am widersinnigsten klingende Frage: Gelesen habe ich, dass die miRNA am 3′-UTR der mRNA dockt. Da diese ja aber nicht mehr translatiert wird, wie der Name schon sagt, und sie hinter der zu codierenden Sequenz liegt, dürfte das andocken der miRNA’s doch auf die Proteinbildung gar keinen Einfluss mehr haben, da an dem Punkt doch eh schon alles – Restaurant lässt grüßen! – gegessen ist, oder?

  7. #7 Cornelius Courts
    19/04/2012

    @Dirk: “Frage-Komplex, der vielleicht etwas weiter führt und für dessen Beantwortung ich sehr dankbar wäre:”

    ich werd’s versuchen 🙂

    “Ausgehend davon, dass, wenn die miRNA – ja etwa aus 21-24 Nukleotiden bestehend – an einer mRNA bindet, diese ja nachdem wie repitiv die jeweiligen Sequenzen sind, völlig “unschädlich” macht oder eben nur “hemmt”:”

    hierzu zunächst eine Klarstellung. Das Wort “repitiv” kenne ich nicht. Falls Du repetitiv (also “sich wiederholend”) meintest, ist das nicht ganz richtig. Denn ob eine mRNA nach miRNA Bindung gespalten wird oder nur die Proteinsynthese verhindert wird, hängt nicht von Repeats in der mRNA ab, sondern vom Ausmaß der Komplementarität zwischen miRNA und mRNA. Nur bei vollständiger oder fast vollständiger Komplementarität, wenn also die miRNA in voller Länge an die mRNA bindet, kommt es zu einer Spaltung.
    Für eine Translastionshemmung muß aber immer noch eine minimale Bindung in der sog. “Seed”-Region erfolgen, das sind die Nt 2-7 im 5′-Bereich der miRNA.

    “Bei einer Folge von gut 20 Nukleotiden, ist es da nicht relativ wahrscheinlich, dass es da gehäuft zu ungewollten Bindungen/Unschädlichmachungen kommt, wenn die mRNA dafür umso länger ist und es ja quasi eh nur vier Werte(/Basen) gibt?”

    Nein, die Gefahr besteht nicht. Erstens ist statistisch gesehen eine nichtrepetitive Sequenzlänge >16 nt nur einmal im Genom vorhanden. D.h. miRNAs, die in voller Länge binden, werden kaum unspezifische Bindestellen finden. Zweitens wird eine Translationshemmung (die ja auch bei weniger langen Bindesequenzen ausgelöst werden kann) nicht durch das Binden einer einzigen miRNA verursacht. Wie ich im Text oben darlege, binden mehrere miRNAs an einunddieselbe mRNA, um eine Wirkung zu erzielen. Wenn also mal zufällig eine (!) unspezifische miRNA:mRNA-Paarung entsteht, macht das nichts aus.

    “Was genau heißt “gehemmt werden”? Wird dann bis zu der Base, an der die miRNA sitzt, codiert und die Translation dann abgebrochen oder nur der Teil mit der gebunden miRNA “übersprungen”?”

    Tja, gute Frage. So genau weiß man das noch nicht. Es gibt derzeit mehrere Hypothesen, wie genau die Hemmung funktioniert. Ob sie also schon bei der Initiation der T. beginnt, oder für einen Zusammenbruch der T. sorgt etc. Die “Überspringen”-Idee ist aber sicher nicht richtig. Klar ist jedenfalls, daß miRNA-vermittelte Hemmung der T. zu einer sehr wirksamen Reduktion der entsp. Genproduktmenge führt.

    “Und zuletzt die für mich bedeutendste, weil am widersinnigsten klingende Frage: Gelesen habe ich, dass die miRNA am 3′-UTR der mRNA dockt. Da diese ja aber nicht mehr translatiert wird, wie der Name schon sagt, und sie hinter der zu codierenden Sequenz liegt, dürfte das andocken der miRNA’s doch auf die Proteinbildung gar keinen Einfluss mehr haben, da an dem Punkt doch eh schon alles – Restaurant lässt grüßen! – gegessen ist,”

    Naja, die mRNA wird ja nich sofort translatiert, sobald sie den Zellkern verlassen hat. Und selbst wenn sie schon translatiert wurde, könnte sie ja nochmal translatiert werden. Wo die miRNA an der mRNA bindet, ist letztlich egal (bei vielen Pflanzen binden miRNAs z.B. durchaus mitten im kodierenden Bereich), es reicht DASS sie bindet und so also die mRNA vom RISC (S.o.) erkannt, “eingefangen” und auf die eine oder andere Weise deaktiviert wird. Man darf sich die Genexpression nicht als einfachen, linearen Vorgang vorstellen. Es werden zu jedem Zeitpunkt Tausende mRNAs transkribiert, degradiert, neu gebildet, transportiert etc. Alle Regulation ist immer eine Frage des Gleichgewichtes, der Konzentration von Molekülen. Wenn also ausreichend hemmende miRNAs “unterwegs” sind, dann wird es insgesamt zu einer reduzierten Menge des entspr. Genproduktes kommen (und umgekehrt).

  8. #8 Dirk
    20/04/2012

    Vielen Dank für die schnelle Antwort, hat mir weiter geholfen. 🙂

    Eine Frage hat sich mir dann aber doch noch aufgetan:
    In der pre-miRNA gibt es ja sogenannte “Haarnadelschleifen” – zumindest kenn ich die nur als solche und das englische Fachwort ist mir nicht bekannt; ich hoffe, du weißt trotzdem, was ich meine.. Wodurch die entsehen / wie die zustande kommen, verstehe ich, aber haben die auch ne Funktion / dienen die irgendeinem Zweck oder sind das halt wirklich nur Struktur-was-auch-immer, die einfach nur da sind?

  9. #9 Cornelius Courts
    20/04/2012

    @Dirk: “In der pre-miRNA gibt es ja sogenannte “Haarnadelschleifen” – zumindest kenn ich die nur als solche und das englische Fachwort ist mir nicht bekannt; ich hoffe, du weißt trotzdem, was ich meine.. ”
    Ja, ich weiß was Du meinst. Man bezeichnet sie als “stem loop”

    “Wodurch die entsehen / wie die zustande kommen, verstehe ich, aber haben die auch ne Funktion / dienen die irgendeinem Zweck oder sind das halt wirklich nur Struktur-was-auch-immer, die einfach nur da sind?”

    Soweit ich weiß, sind diese stem loops typische RNA-Sekundärstrukturen, die nicht einem bestimmten Zweck dienen. Möglicherweise erleichtern sie die Aufteilung des pri-miRNA-Transkriptes in die einzelnen pre-miRNAs, die ja ebenfalls stem loops enthalten. Die stem loop-Struktur der pre-miRNA macht diese jedenfalls “handlicher”, kompakter, und ermöglicht eine effizientere Ausfuhr aus dem Nucleus

  10. #10 Maximilian Zimmermann
    Siegen
    19/07/2017

    Ich fange ab demnächst an Naturwissenschaftliche Forensik zu studieren. Beschäftige mich seit kleinauf dafür.
    Hätte aber ein paar ganz wichtige Fragen die ich mir schon länger stelle, dennoch keiner mir sie bisher beantworten konnte.
    Meine Fragen wären:
    – Wo befindet sich die miRNA bzw. wo tritt sie das erste mal auf? Während der RNA-Prozessierung? Jemand erklärte mir, dass die miRNA nichts anderes als die abgetrennten Introns ist, die während dem Splicing von den Exons abgetrennt werden.
    Oder wird die miRNA direkt bei der Transkription “hergestellt”?
    Über eine Antwort mit Erklärung würde ich mich tierisch freuen, da ich demnächst ein Training bei Herrn Benecke antreten darf.
    Vielen Dank und liebe Grüße!

  11. #11 Cornelius Courts
    20/07/2017

    @Maximilian: “Wo befindet sich die miRNA bzw. wo tritt sie das erste mal auf?”

    Also, die miRNA-Biogenese ist sehr komplex und man kann ganze Buchkapitel darüber schreiben, was ich hier defitiniv nicht tun kann/möchte. Abgesehen davon kann man sich diese Infos überall im Internet besorgen (https://de.wikipedia.org/wiki/MicroRNA#Biogenese)
    Ich selber habe den Prozess hier beschrieben: https://www.sciencedirect.com/science/article/pii/S0379073810003312?via%3Dihub

    Nur soviel (s. auch oben im Artikel): miRNAs werden im Kern transkribiert, so wie andere RNAs auch, prozessiert, aus dem Kern exportiert, weiter prozessiert und üben dann in ihrer reifen Form ihre biologische Funktion im Cytoplasma bei den Ribosomen aus, wo sie in den Vorgang der Translation eingreifen (auf verschiedene mögliche Weisen).

    “dass die miRNA nichts anderes als die abgetrennten Introns ist, die während dem Splicing von den Exons abgetrennt werden.”

    Das ist so nicht richtig. Es gibt zwar miRNAs, sog. mirtrons (https://en.wikipedia.org/wiki/Mirtron), die in Introns liegen, doch auch diese müssen noch prozessiert werden (als pre-miRNAs). Andere miRNAs liegen aber komplett außerhalb von Genen.

    “Oder wird die miRNA direkt bei der Transkription “hergestellt”?”

    Jein. Nach der Transkription von “miRNA-Genen” liegt ersteinmal die pri-miRNA vor, die dann, wie gesagt, weiter prozessiert werden muß

    ” da ich demnächst ein Training bei Herrn Benecke antreten darf.”

    Grüß mal den Mark von mir, ich bin aber ziemlich sicher, daß er Dich nicht nach miRNA fragen wird 🙂

    • #12 Max Zimmermann
      Siegen
      20/07/2017

      Ahhh. Ja werde ich sehr gerne machen! Und vielen lieben Dank für die super schnelle und informative Antwort.
      Ja ich arbeite momentan an deiner Arbeit zum Thema der Identifizierung von Schusswaffen durch Backspatter. Und da spielen die miRNA ja eine übergeordnete Rolle.

      Liebe Grüße