Im Rahmen meiner Tätigkeit in Forschung und Lehre am Institut für Rechtsmedizin begegne ich auch zahlreichen Medizin-Studierenden, die in unserem Haus arbeiten, lernen, famulieren, praktizieren etc. Als ich kürzlich ein Gespräch mit einer dieser Personen führte, erzählte sie mir mißmutig, daß sie sich gerade auf eine ihrer letzten Klausuren vorbereite. Ich fragte sie, was sie denn zu lernen habe und sie zeigte mir die Folien aus einer Vorlesung zum „Querschnittsbereich (QB) Rehabilitation, Physikalische Medizin und Naturheilverfahren“. Was ich da sah und las, verschlug mir für einen Augenblick die Sprache. Man hält das wirklich im Kopf nicht aus:
Neben der unvermeidlichen Akupunktur wurden auch andere teils haarsträubende esoterische Verfahren wie Tuina (wirkungslose Massagetechnik), Schröpfen und Moxibustion als Teile der TCM vorgestellt. Von Yin & Yang, und Meisterpunkten war da die Rede und die fünf Wandlungsphasen (= 5 Elemente) wurden vorgestellt:
Das Qi und sein Sitz in der Niere, die Meridiane, der „Yaotongdian-Punkt“ und „Wailaogong-Punkt“ wurden präsentiert und man sollte lernen, daß die „inneren pathogenen Faktoren“ Zorn, Freude, Sorge, Trauer und Übereifer mit den Organen Leber, Herz, Milz, Lunge bzw. Niere assoziiert sind.
Es wurden sogar medizinische Lehrfälle bearbeitet. Z.B. der einer 43-jährigen Frau, die verheiratet sei und zwei Kinder habe (eines davon mit einer Schreibleseschwäche). Die Frau grüble viel, leide unter Sorgen und trotz ausreichender Nachtruhe unter Müdigkeit, sowie einem Schweregefühl in den Beinen und Appetitlosigkeit. Für eine solche Patientin solle nach der TCM ein “Milz-Qi-Mangel” diagnostiziert und mit Umstellung der Ernährung auf „warme Nahrungsmittel“ und die „Mitte stärkende Nahrung“, sowie Akupunktur und Moxibustion therapiert werden… (wtf?!)
Ich habe die Person gefragt, wie der Stoff in den Vorlesungen und Seminaren präsentiert, ob ggf. Zweifel angemeldet oder eine distanzierte Sichtweise vermittelt wurde. Sie erzählte mir, daß man alles mit großem Ernst und voller Überzeugung vermittelt habe und daß man ihr, als sie, „schulmedizinische“ Grundlagen voraussetzend, nach bestimmten Zusammenhängen und Erklärungen für Behauptungen aus der TCM gefragt habe, mit Versatzstücken der Art „Die Chinesen haben einfach eine andere Sichtweise auf den menschlichen Körper“ oder „Ja, das darf man eben nicht so eng sehen“ begegnet sei.
Man muß sich wirklich einmal klar machen, daß das bedeutet, daß ein/e MedizinstudentIn an der Uni Bonn gezwungen wird, diesen Unsinn zu lernen, da man ohne die Klausur zu bestehen, in der auch diese Inhalte abgefragt werden, nicht zum Staatsexamen zugelassen wird. Dieser QB ist kein optionales Fach, die Teilnahme ist Pflicht und damit wird natürlich suggeriert, daß es sich bei dem oben beschriebenen Hokuspokus um anerkannte und wirksame medizinische Verfahren handelt, die gleichberechtigt neben echten und wichtigen Prinzipien wie Impfung, Behandlung mit Antibiotika oder Hygiene gelehrt werden sollten. Das ist, als wäre man im Biologiestudium gezwungen, eine Klausur über Intelligent Design oder in Chemie über alchemische Verfahren zu schreiben, um das Studium erfolgreich beenden zu können: ein glatter Skandal!
Es ist schon schlimm genug, daß immer mehr Universitäten esoterische Wahlfächer anbieten, oft genug gesponsert durch die einschlägigen Lobbys. Aber angehende Ärztinnen und Ärzte zu zwingen, ihre Zeit mit unwissenschaftlichem, teils gefährlichem und bis heute ohne Wirknachweis gebliebenem Folklore-Klimbim zu verschwenden und ihnen gleichzeitig eine fundierte wissenschaftliche und u.a. zur kritischen Lektüre klinischer Studien befähigende Ausbildung vorzuenthalten, ist leichtsinnig, fahrlässig und fast schon zynisch zu nennen.
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Bildquellen:
[a] Johannes Sense, unter Verwendung von [https://zh.wikipedia.org/wiki/Image:Glio_5elements.gif, https://creativecommons.org/licenses/by-sa/3.0/]
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