Wer erinnert sich noch an den Kleinen Leberegel (Dicrocoelium dendriticum) aus dem Bio-Unterricht? An diese fast unglaubliche, gruselige Geschichte von einem kleinen Wurm, der über zwei Zwischenwirte, Schnecke und Ameise, von Endwirt zu Endwirt (z.B. Kühe oder Schafe) reist, unter anderem, indem er in das „Hirn“ der Ameise eindringt und deren Verhalten kontrolliert, so daß sie sich an der Spitze eines Grashalms festbeißt, dort ausharrt, unbeirrbar wie ein Zombie, um sich zuletzt vom grasenden Endwirt fressen zu lassen.
Ich fand das damals ungeheuer faszinierend und auch in der Uni, im Grundstudium der Biologie, gehörte das Fach Parasitologie zu meinen liebsten (auch in den Scienceblogs gab es schon mal etwas dazu). Ich erinnere mich noch, wie wir alle bei den Schilderungen und Bildern in der Vorlesung zugleich vor Ekel, Grusel und Faszination erschauderten, wenn wir lernten, wie erfolgreich und fundamental das evolutionäre Konzept des Parasitismus ist und auf wie vielfältige und in unseren Augen eklige und grausame Weise Lebewesen an anderen Lebewesen parasitieren und sie dabei nicht selten auf beunruhigend farbenfrohe Weise umbringen.
Da gab es z.B. diesen charmanten kleinen Krebs, der ins Maul von Fischen schwimmt, sich dort wohnlich einrichtet, d.h. festhakt und am arteriellen Blut labt und nachdem die dadurch unterversorgte Zunge des Wirtsfisches abgestorben ist, fortan deren Platz und Funktion einnimmt und sich von der vorbeiziehenden Nahrung des Fisches miternährt (letztes Jahr in Australien habe ich sowas (s. links) mal in Formalin gesehen – geschüttelt hat’s mich, mehr die Vorstellung, als der Anblick). Oder man denke an all die zahlreichen Wurmparasiten, die auch den Menschen befallen, und unter anderem Elephantiasis, Billharziose, Dracontiasis und Loiasis auslösen können, von dem, was die Milbe Sarcoptes scabiei unter der Haut anrichtet, ganz zu kratzen schweigen… Besonders heimtückisch und überaus gefährlich sind natürlich auch die einzelligen Parasiten, darunter Trypanosomen, Amöben, Leishmanien (diesen hatte übrigens Sir David Lindsay bei Karl May seine „Aleppo Beule“ zu verdanken) und natürlich das in seiner Wandelbarkeit fast an einen teuflischen Designer denken lassende P. falciparum, der Erreger der Malaria, welcher jedes Jahr über eine Million Menschen erliegen.
Noch gruseliger aber als all diese Gestalten aus dem Horrorkabinett finde ich jene Parasiten, die auf das Nervensystem eines Wirtsorganismus zugreifen und dessen Verhalten auf eine für sie günstige Weise manipulieren können: Neuroparasiten.
Eine Wespenart, die nach öffentlicher Abstimmung nun nach einem seelenraubenden Monster aus den Harry-Potter-Romanen benannt wurde, nämlich Ampulex dementor [1], verfügt über ein Gift, das ihr Opfer, meist eine Kakerlake, tatsächlich „willenlos“ oder korrekter antriebslos macht. Die Wespe lähmt die viel größere Kakerlake zuerst und nur vorübergehend mit einem Stich, so daß sie Gelegenheit erhält, ihrem wehrlosen Opfer einen zweiten, ganz genau gezielten Stich zu versetzen und ihr Gift in das „Gehirn“ (Oberschlundganglion), genauer ins Protocerebrum zu injizieren, wo unter anderem Fluchtreaktionen ausgelöst werden. Das Gift legt diese Strukturen lahm und die Kakerlake verliert jeden Handlungsantrieb, bleibt aber am Leben und mobil und läßt sich, sobald die Lähmung nachlässt, von der Wespe an ihren eigenen Antennen in einen bereitstehenden Bau führen. Dort legt die Wespe ihre Eier auf der Kakerlake ab, die dort stumpfsinnig einfach stehen bleibt und später von den geschlüpften Larven, die sich in ihr Inneres bohren, bei lebendigem Leib gefressen wird. Angesichts der ähnlich grausamen Vorgehensweise der Schlupfwespen schrieb Darwin sogar einmal:
„I cannot persuade myself that a beneficent & omnipotent God would have designedly created the Ichneumonidae with the express intention of their feeding within the living bodies of caterpillars […]“
(Ü: “Ich kann nicht glauben, daß ein gütiger und allmächtiger Gott vorsätzlich so etwas wie die Ichneumonidae geschaffen haben soll, mit der Absicht, daß sie sich in und von den Körpern noch lebender Raupen ernähren“)
Nicht minder grausam mutet der Lebenszyklus eines garstigen Pilzparasiten an, der Ameisen befällt, sie zwingt, ihre Kolonie zu verlassen, einen Baum zu erklimmen, sich auf einem Blatt festzubeißen und dort zu verharren, während der Pilz sie von innen zerstört und schließlich tötet, bis sie irgendwann aufplatzen, um dem wachsenden Fruchtkörper des Pilzes Platz zu machen, der dann aus dem Leichnam herauswächst und infektiöse Sporen verstreut [2,3].
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