Weihnachtszeit ist Reisezeit, und damit die Zeit des “Geisterstau” – jenem unnötigen, weil nicht durch ein erkennbares Hindernis verusachten Verkehrsstillstand, der immer dann zu kommen scheint, wenn man’s am eiligsten hat. Und dabei weiß doch eigentlich jeder, wie es zu solchen Staus kommt: Zu wenig Abstand kombiniert mit einer heftigen Bremsung, die eine sich stauchende Welle auslöst, die schließlich im Totalstau gipfelt.
Und was ist daran nun neu? Eigentlich nur, dass es die University of Exeter (Bristol, UK) als Neuigkeit verkündet hat. Denn das frisch angepriesene Papier der Forscher Dr. Gabor Orosz und Gabor Stepan wurde bereits im September 2006 in den Proceedings of the Royal Society veröffentlicht.
Trotzdem will ich dem Thema – mit dem ich mich zum ersten mal in einem Seminar zum Thema “Verkehrsplanung” an der TU München vor einem Vierteljahrhundert befassen musste – ein paar Zeilen schenken. Denn den meisten Autofahrern auf der A3, der A7, der A9 … (oder auch der Interstate 95, bitteschön) scheint es völlig neu zu sein, dass sie mit mehr Abstand manchmal schneller fahren würden.
Auch wenn man keine Ahnung von “Oszillationen”, “sub-kritischen Hopf-Bifurkationen” und “Bistabilitäten” hat, die das Vokabular des Orosz-Stepan-Papier schmücken, kapiert man doch die simple Betrachtung: Wenn der Abstand zum voraus fahrenden Auto zu gering wird, tritt der Autofahrer auf die Bremse. Wenn der Verkehr nun zu dicht ist, setzt sich diese Bremsreaktion nach hinten fort – allerding nicht gleichförmig. Jeder braucht seine Reaktionszeiten und muss diese dann durch entsprechend stärkeres Bremsen kompensieren. Anders ausgedrückt, jeder nachfolgende Fahrer reagiert ein wenig verzögert, aber dafür um so heftiger. Und irgend wo in der Kette addiert sich dies dann zur Vollbremsung nötig: der Stau ist da.
Wenn etwas an dem Exeter-Papier überraschend ist, dann die erstaunlich geringe Elastizität des Verkehrs: Der Effekt tritt bereits ab einer Fahrzeugdichte von 10 bis 15 pro Kilometer auf, d.h. bei Abständen von weniger als 90 Metern. Das sind fast 40 Prozent mehr als das, was selbst bei Richtgeschwindigkeit 130 km/h nach der gängigen Faustformel (“halber Tacho”) einzuhalten wäre.
Der Haken ist nur: Bei hohem Verkehrsaufkommen ist es in der Praxis unmöglich, große Sicherheitsabstände zu wahren, weil dies andere Autofahrer dann nur zum Ein- und Ausscheren einlädt, was zur Korrektur der Abstände Bremsvorgänge auslöst, die wiederum (“Achtung! Hopf-Bifurkationen!”) ein paar Dutzend Autos später den Stau nach sich ziehen …
So gesehen ist die Frage also nicht, warum sich der Verkehr staut, sondern warum er überhaupt noch fließt. Eine Antwort darauf gaben zwei deutsche Ingenieure, Dr. Boris Kerner und Dr. Hubert Rehborn, schon vor gut einem Jahrzehnt. In einer Studie, die in der “Physical Review” der American Physical Society publiziert wurde, konnten sie nachweisen, dass der Verkehr manchmal zügiger fließt, wenn er dicht wird: wenn sich die Fahrzeuge im Kolonnenverkehr so synchronisieren, dass Spurwechsel – eine der Hauptursachen für Unfälle im so genannten Längsverkehr – praktisch unmöglich wurden.
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