Joseph_StiglitzMan kann wirklich nicht behaupten, dass die Finanzkrise aus heiterem Himmel und ohne Vorwarnung kam. Joseph E. Stiglitz, Wirtschaftsprofessor an der New Yorker Columbia-Universität und Nobelptreisträger für Wirtschaft, hatte schon lange vor der Illusion gewarnt, dass der freie Markt die effizienteste Methode zur Allokation der Mittel sei, wie es die klassische Wirtschaftslehre postuliert. Für seine Arbeit über Märkte unter den Bedingungen “asymmetrischen Informationen” und die daraus resultierenden Unvollständigkeiten der gängigen Markttheorie wurde ihm schließlich 2001 sogar der Nobel Memorial Prize für Wirtschaft verliehen. Ich hatte das Vergnügen, vergangenen Woche kurz mit Stiglitz über die Finanzkrise zu plaudern; eine Kurzfassung (aus Platzgründen) dieses Interviews erschien im aktuellen FOCUS (hier ist, was in FOCUS Online darüber lief). Und nun, für Scienceblogs-Leser, die vollständige Version:

Foto: Gustavo Benitez (Presidencia de la República, Mexiko) via Wikimedia Commons (public domain)


Professor Stiglitz, bringt die aktuelle Krise nun das Ende des Kapitalismus – was einige ja zu bejubeln, andere zu bedauern scheinen?

Sie bringt sicher das Ende des unkontrollierten und ungeregelten Kapitalismus, wie er in den USA verstanden wurde. Aber offenbar glauben sowieso nur noch der US-Finanzminister Hank Paulson und Präsident Bush an den Segen des ungebremsten Kapitalismus. Ich denke, man wird sich nun schneller von dem Washington Consensus verabschieden müssen, mit dem die Wirtschaftssysteme der Welt nach amerikanischem Muster geformt werden sollten.

Die Maßnahmen, mit denen die Krise bekämpft werden soll, scheinen ja direkt aus dem Handbuch des Anti-Kapitalisten zu stammen: riesige Subventionen, teilweise Verstaatlichung der Banken, zum Beispiel.

Das ist eben der Unterschied zwischen dem Reden und dem Handeln. Die Bush-Administration hat zwar immer die freien Märkte gepredigt – aber sich selbst nicht daran gehalten. Ihre Wirtschaftspolitik war eher eine Wohlfahrtspolitik für Big Business, eine Politik der Agrarsubventionen und des Protektionismus. Nach der Devise “Privatisierung der Gewinne, Verstaatlichung der Verluste.”

Haben die USA damit ihre Glaubwürdigkeit und somit auch ihre Führungsrolle in der Welt verloren? Sind die Zeiten des Dollar als globaler Leitwährung vorbei?

Der Dollar ist immer ersetzbar. Mit der Umrechnung von einer Währung in die andere hat die Wirtschaft bestimmt keine Probleme. Aber es stimmt schon, man braucht eine Leitwährung. Schon John Maynard Keynes hatte die Schaffung einer “Global Reserve Currency” gefordert, also eines zentralen Weltwährungssystems. Diese Funktion allein dem Kräften der Geldmärkte zu überlassen, funktioniert doch nicht – das sieht man allein schon an den teilweise noch enorm hohen Transaktionskosten, die entstehen, wenn man eine Währung in die andere tauschen will.

Wir reden hier also von einer künstlichen Währung, etwa so wie der ECU vor der Einführung des Euro?

Ja, genau. Ob in diesen Berechnungskorb die Währungen der G-8, der G-20 oder auch aller Mitgliedsstaaten des IWF eingehen, das müsste man dann sehen. Aber es müsste in jedem Fall eine Art Zentralbanksystem geben, das diese Währung überwacht.

Könnte der Internationale Währungsfonds diese Rolle übernehmen?

Wenn er die Realitäten der globalen Wirtschaft besser reflektiert, wäre der IWF dazu sicher in der Lage.

Also eine Erweiterung der G-8 etwa um China, Indien und Brasilien, wie sie der IWF-Direktor Dominique Kahn-Strauss vorgeschlagen hat. Aber hätte durch ein “G-X” diese Krise wirklich verhindert werden können, oder wäre dann doch nur die Verantwortung auf mehr Schultern verteilt worden?

Das ist schwer zu sagen. Aber selbstbewusstere Länder hätten beispielsweise durchaus in der Lage sein können zu sagen, wir wollen eure Zertifikate und toxischen Papiere doch erst einmal genauer unter die Lupe nehmen, ehe wir sie in unser Land lassen.

Hätte es denn sonst irgend etwas gegeben, das diese Finanzkrise hätte verhindern können?

Das war doch ein Problem der fehlenden Aufsicht. Amerikas Regulatoren sind so sehr überzeugt, dass der Markt immer Recht hat, dass sie gar nicht auf die Idee kamen, einzugreifen. Wie Schiedsrichter, die daran glauben, dass die Spieler die Regeln besser durchschauen können als sie selbst. Aber selbst wenn man an den Markt glaubt, hätte man die Ereignisse zumindest verlangsamen können. Informationen über einen Markt sind immer unvollständig, aber wenn man als Regulator Probleme nur mit einer Wahrscheinlichkeit von Neun zu Eins absehen kann, schadet es nicht, das rasende Tempo zumindest ein wenig zu bremsen. Das hätte zwar vielleicht die Profite von einem Jahr auf zwei verteilt – aber der Nutzen, wäre am Ende doch viel größer gewesen.

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