… ist dem US-Magazin Harper’s die “Coverstory seines aktuellen Heftes wert (wie ich hier schon angemerkt hatte). Ich hatte nun endlich die Zeit, Mark Shapiros Story zu lesen. Kein leichter Lesestoff, zugegeben, und das Bild vom Hütchenspiel hängt meiner Ansicht nach auch ein bisschen schief. Aber ansonsten hat es der Artikel schon in sich, finde ich. Ich hätte ja vor allem befürchtet, dass diese CO2-Zertifikate vor allem durch findige Finanzjongleure missbraucht werden, die daraus ebenso undurchsichtige Derivate basteln wie jene, an denen sich die globalen Finanzmärkte verschluckt haben. Doch offenbar sind die Zertifikate selbst oft das Resultat massiver Manipulationen – vor allem jene, die für “Offset”-Projekte ausgestellt werden.
Das grundlegende Problem ist, dass diese Zertifikate auf etwas erstellt werden, das es ausdrücklich nicht gibt: Sie monetarisieren Kohlendioxid, das nicht in die Atmosphäre geblasen wird. Die alte Frage: “How do you prove a negative?” Dafür gibt’s Firmen, die im Auftrag der Vereinten Nationen die zu zertifizierenden Emissionsreduktionen überprüfen und attestieren sollen, die so genannten Designated Operational Entitites. Die schicken Umwelt- oder sonstige Ingenieure los, die dann vor allem Projekte in der dritten Welt – Düngemittelfabriken, beispielsweise, oder Roheisenhütten, die angeblich CO2-sparend ausgelegt sind – prüfen sollen; Projekte, die wiederum vor allem von so genannten Carbon Project Developern entwickelt wurden, meist alleine zu dem Zweck, eben jene zertifizier- und handelbaren “Offsets” zu generieren (eine Tonne eingesparten Kohendioxids ist derzeit runde 22 Dollar wert). Laut Shapiro wurden seit 2005 Zertifikate im Wert von 300 Milliarden Dollar ausgestellt; wenn die USA – wie es die Obama-Regierung derzeit plant – in den Zertifikatehandel einsteigt, würde das Marktpotenzial auf zwei bis drei Billionen Dollar steigen.
Kein Wunder also, dass die großen Banken hier auch groß einsteigen: JP Morgan Chase hat im September Eco-Securites, den weltweit größten Entwickler so genannter CDM-Projekte (wobei CDM für Clean Development Mechanism steht, dies ist das entsprechende Förderprogramm der Vereinten Nationen) geschluckt, Goldman Sachs investiert in die US-Firma Blue Source, Cantor Fitzgerald hat CantorCO2 unter anderem auch zur Finanzierung solcher Projekte gestartet.
Die Zertifikate für das CO2-Einsparungspotenzial, die dann als Wertpapiere gehandelt werden können, werden natürlich nicht einfach auf Treu und Glauben in die Firmenangaben ausgestellt. Dafür sind eben jene DOEs da – doch von denen gibt es offenbar nur eine Handvoll, und die müssen dann noch um die Aufträge der Entwickler buhlen. Genau: Es ist nicht die Aufgabe der UN, die die Prüfer zu bestellen, sondern dies liegt in der Verantwortung der CDM-Entwickler. Neben dem TÜV Süd nennt Harper’s hier vor allem die in der Schweiz ansässige SGS Group, die norwegische DNV (Det Norske Veritas), die vor allem sonst auf Steuer- und Wirtschaftsprüfung spezialisierte Deloitte Touche Tohmatsu sowie Lloyd’s Register.
Diese Kombination ist es, die Shapiro als “Hütchenspiel” bezeichnet: auf einer Seite die Banken als Entwickler von Projekten, deren wichtigster Zweck die “Erzeugung” von CO2-Zertifikaten ist, auf der anderen Seite eine Handvoll Prüfungsfirmen, die die dann über die UN – die sich allerdings weitgehend auf die Arbeit der DOEs verlassen muss – für die Erstellung der Zertifikate sorgen. Dass sie langfristig das Geschäft nur bekommen, wenn den Auftraggebern die Resultate gefallen, darf man als gesichert annehmen. Hinzu kommt, dass der reale Wert der Zertifikate eigentlich erst weit in der Zukunft (wenn die Projekte erstens überlebt haben und zweitens ihre CO2-Werte tatsächlich auf Dauer eingehalten haben – was nach allen praktischen Erfahrungen beides bezweifelt werden darf) feststellbar ist; die Zertifikate jedoch sind schon nach einem vergleichweise kurzen Prüfverfahren handelbar, und ihre Laufzeit kann mehrfach verlängert werden. Erinnert alles ganz schrecklich an die Immobilienblase …
Selbst wenn die Prüf-Firmen die bestmögliche Arbeit leisten würden (und es gibt genug Grund zur Annahme, das dies nicht in jedem Fall realistisch ist), bestünde generell ein großes Risiko, dass “ungedeckte” CO2-Emissionsrechte verkauft werden. Zum Beispiel, wenn Projekte zertifiziert werden, die gar nicht überlebensfähig sind (weil sie beispielsweise am Markt vorbei produzieren). Oder wenn die erwarteten Einsparungen durch Betriebsschlamperein nicht erzielt werden. Und was, wenn sich hinterher rausstellt, dass der Umwelt eben nichts erspart wurde? Tja, das ist genau das Problem: Die Vereinten Nationen haben zwar das Recht, solche handelbaren Zertifikate auszustellen – aber einmal erteilt, kann sie sie nicht mehr widerrufen.
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