Kleine Korrektur zur Überschrift: Es geht in dieser Studie, streng genommen, nicht nur um Briefwahl, sondern um die grundsätzliche Möglichkeit, seine Stimme schon vor dem eigentlichen Wahltag abzugeben, und die wird in 32 US-Bundesstaaten nebst dem hauptstädtischen District of Columbia nicht nur in Briefform, sondern auch in so genannten Early Voting Centers (der Link führt zu einer Liste für die Stadt Chicago) angeboten. Die Idee dahinter ist, das Wählen so leicht wie möglich zu machen (Arizona, California, Colorado, Hawaii, Montana, New Jersey, Utah, Washington und der District of Columbia gestatten sogar, sich permanent als Briefwähler registrieren zu lassen, und in Hawaii, Minnesota, Nevada und West Virginia bezahlt der Staat sogar das Porto) und so die Wahlbeteiligung, die in den USA immer ein Grund zur Sorge ist, zu erhöhen.
Klingt ja auch plausibel, selbst wenn unter uns ScienceBloggern keine Einigkeit darüber zu erzielen war, ob die Teilnahme an Wahlen überhaupt mit rationalen Kriterien erklärbar ist. Doch die Analysen der Wahlbeteiligung, die der Politologieprofessor Barry Burden von der University of Wisconsin-Madison mit seinen Kollegen Kenneth R. Mayer, David D. Canon und Donald P. Moynihan, ergaben das genaue Gegenteil:
We find that liberalizing election laws through early voting decreases the direct costs of voting, but also has the unintended effect of increasing the indirect costs of voting even more. Campaigns respond to early voting by altering their spending and get-out-the-vote efforts; media attention is thinned out as coverage is spread over a wider period; and friends and family may become less attuned to election day. The result is a dilution of the importance of election day itself, an effect that more than offsets the increased convenience of early voting and which results in lower net turnout.
Wir stellen fest, dass eine Lockerung der Wahlgesetze durch vorgezogene Stimmabgabe die direkten Kosten des Wählens reduziert, aber auch den unerwünschten Nebeneffekt hat, dass es die indirekten Kosten des Wählens eher noch erhöht. Kampagnen reagieren auf vorgezogene Stimmabgabe durch veränderte Aufwändungen und Wähler-Mobilisierung; die Aufmerksamkeit der Medien wird verdünnt, weil sich die Berichterstattung über einen längeren Zeitraum hinzieht, und Freunde und Angehörige sind weniger auf den Wahltag eingestimmt. Die Folge ist eine Verwässerung der Bedeutung des eigentlichen Wahltages, ein Effekt, der den erhöhten Komfort der frühen Stimmabgabe mehr als aufwiegt und am Ende zu geringerer Wahlbeteiligung führt.
Die Verringerung betrage, so rechnen die Forscher in ihrem Paper vor – das auch die Basis eines Leitartikels ist, den Burden und Mayer in der heutigen New York Times veröffentlicht haben – ziemlich konstant drei Prozent. Und diese Reduktion bleibt auch bestehen, wenn man dabei die demographischen und politischen Besonderheiten (z.b. ob es ein Kopf-an-Kopf-Rennen gab oder nicht) einzelner Regionen berücksichtigt. Drei Prozent mehr oder weniger mag bei Keksdosen oder Maßkrug-Füllungen akzeptabel sein – bei Wahlen kann dies den Unterschied zwischen Sieg und Niederlage bedeuten.
Ich bin zwar etwas skeptisch, ob die oben zitierten Erklärungen für das Problem wirklich alle stichhaltig sind (vor allem mit dem Verweis auf “Freunde und Angehörige” kann ich nicht wirklich etwas anfangen). Offen bleibt, ob es nun der “mitreißende” Effekt des Wahltages selbst ist, oder ob es eher daran liegt, dass man allein schon durch die Möglichkeit einer Brief- oder Frühwahl den “Nichtwählern aus Bequemlichkeit” – und die scheinen ja in erster Linie die Zielgruppe solcher Angebote zu sein – eine gute Ausrede gibt, sich vor der Stimmabgabe zu “drücken”. Sie können immer sagen, sie hätten schon gewählt – so, wie wir manchmal eine Spendenbitte mit der (nicht wahren, aber auch nicht widerlegbaren) Behauptung abweisen, wir hätten ja schon gespendet.
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