Hier in Boston stolpert man ja allenthalben über die Spuren der amerikanischen Revolution – und nicht nur an historischen Plätzen wie dem Haus von Paul Revere, dem Obelisken als Denkmal an die Schlacht von Bunker Hill oder dem Schauplatz des Massakers von Boston: Die Versicherungsgesellschaft John Hancock ist nach dem Revoutionär und Mitunterzeichner der Unabhängigkeitsreklärung, John Hancock, benannt und hat ihren Sitz in Boston; die örtliche Biermarke heißt Samuel Adams, zu Ehren des gleichnamigen Mitunterzeichners der Unabhängigkeitserklärung. Und natürlich fand hier die legendäre Boston Tea Party statt, von der sich die gleichnamige aktuelle Bewegung den Namen und die politische Legitimiation geliehen hat.


In der aktuellen Ausgabe des New Yorker – meine Lieblings- und Pflichtlektüre, wie schon gesagt – lese ich aber jetzt* einen Artikel darüber, dass auch diese erste, historische Tea Party von 1773 (die sich am 16. Dezember jährt) keineswegs das heroische Auflehnen unterdrückter Bürger gegen eine ausbeuterische Kolonialmacht war, sondern eher eine von Profit-Interessen – namentlich jenes John Hancock und jenes Samuel Adams – getriebene und organisierte Aktion war, in der amerikanische Schmuggler ihre Interessen gegen den billig zu werden drohenden britischen Tee-Import schüzten wollte. Und so wie die gegenwärtige Tea Party im Verdacht steht, keine echte Bürgerbewegung zu sein, sondern ein mit viel Geld – vor allem von den Brüdern Bill und David Koch – finanziertes “Kunstrasenprojekt” (den Begriff erkläre ich gleich), so könnte auch die erste Tea Party bereits eine gesteuerte Pseudo-Bürgeraktion gewesen sein. Was den New-Yorker-Autor Caleb Crain zur Frage veranlasst, ob vielleicht auch die Boston Tea Party schon eine schlechte Idee gewesen sein könnte …
* ich habe mir jetzt ein Online-Abo besorgt, damit ich nicht mehr bis Donnerstag warten muss.

Erst mal schnell die versprochene Erklärung der Kunstrasen-Metapher: Der amerikanische Begriff für Bürgerbewegung ist “Grass Roots Movement”, und das Bild soll nicht nur das langsame, stetige Wachstum und die solide Verwurzelung ausdrücken, sondern auch die Tatsache, dass es eine Bewegung “von unten” ist. Doch das Gegenteil von Gras ist Kunstrasen – hier “Astroturf” genannt – und “astroturfing” ist das Lancieren und Finanzieren einer “Bürgerbewegung”, hinter der in Wirklichkeit nur die Geschäftsinteressen einer kleinen Gruppe oder eines Unternehmens stehen. Offenbar wurde er erstmals im Zusammenhang mit der PR-“Bewegung” verwendet, mit der Microsoft in den späten 90-er Jahren versuchte, sich die Kartellbehörden und vor allem das US-Justizministerium vom Hals zu halten.

Dass John Hancock und andere prominente Geschäftsleute der Kolonie Massachusetts Schmuggler waren, lässt sich aus einem Abgleich der Zoll- und der Versicherungsunterlagen schon beweisen (dem Zoll wurde nur ein Bruchteil der eingeführten Waren deklariert – aber bei den Versicherungen war, schließlich wollte man sich ja gegen die hohen Risiken des Schiffstransports absichern, der volle Warenwert gemeldet und versichert). Und im Gegensatz zur Legende hatte die britische Regieung nicht etwa beschlossen, die Kolonisten durch überhöhte Teesteuern in die Knie zu zwingen – was die vermutlich gar nicht gekratzt hätte, da sie zumeist steuer- und zollfrei geschmuggelten Tee aus Holland tranken (Dreiviertel der rund 1,2 Millionen Pfund Tee, die jährlich in den amerikanischen Kolonien konsumiert wurden, waren geschmuggelt, wie der amerikanische Historiker und Tea-Party-Experte Benjamin Woods Labaree ermitteln konnte). Im Gegenteil: Um der East India Company aus einer Schieflage zu helfen (ja, sowas gab’s auch damals schon) hatte die britische Regierung beschlossen, den Markt auszuweiten, indem sie den Kolonien einen großzügigen Steuerrabatt auf Tee gewährte, der den Preis halbiert hätte. Das jedoch bedrohte das Geschäft der Schmuggler. Der New Yorker zitiert hierzu einen Artikel aus einer Bostoner Lokalzeitung vom 4.November 1773:

Colonist No. 1, hurrying to the Liberty Tree, says he hopes that a mob will force merchants to lower the price of tea, which has risen to a dollar a pound. Not exactly, Colonist No. 2 says. The mob is going “to make those who expect to sell at half that price send it back again.
Kolonist Nummer 1, der zum Liberty Tree (einer Versammlungs-Ulme) eilt, sagt dass er hofft, dass ein Mob die Händler zwingen werde, den Teepreis zu senken, der auf eine n Dollar pro Pfund gestiegen sei. Nicht wirklich, meint Kolonist Nummer 2. Der Mob wird “jene, die erwarten, ihn zur Hälfte dieses Preises zu verkaufen, dazu zwingen, ihn wieder zurückzuschicken.”

Wenn ich die Geschichte richtig verstehe, ist es zudem nicht ganz korrekt, die Boston Tea Party als Auslöser der Amerikanischen Revolution anzusehen. Denn wenn der damals in Philadelphia tagende Continental Congress der 13 Kolonien damals die korrekte Information erhalten hätte, wäre dieser Tee-Protest vielleicht folgenlos geblieben. Denn mehr als eine Blockade des Bostoner Hafens (der mitten im Winter wegen der atlantischen Stürme und Vereisung sowieso weniger Schiffsverkehr zu erwarten hatte) hielt die britische Regierung nicht für nötig. Doch dem Kongress wurde irrtümlich ein Angriff auf Boston mit mehreren Toten gemeldet (wenn man so will, ein historischer Vorläufer des Tonkin-Zwischenfalles) und dies setzte die Denkprozesse in Gang, die letztlich einen gewaltsamen Aufstand gegen das Mutterland rechtfertigten.

Aber das alles ist natürlich zu komplex, um auf Gedenktafeln und Grußpostkarten adäquat reflektiert zu werden. Und daran wird auch der New-Yorker-Artikel (der sowieso nur indirekt kritisch gegenüber der modernen “Kunstrasenbewegung” ist) nicht viel ändern – die gefällt sich, wie auch ihr historischer Vorläufer, besser darin, plakativ zu sein. Komplexität des Denkens ist nicht ihr Ding.

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Kommentare (15)

  1. #1 Sven Türpe
    14. Dezember 2010

    In der aktuellen Ausgabe des New Yorker – meine Lieblings- und Pflichtlektüre, wie schon gesagt – lese ich aber jetzt* einen Artikel darüber, dass auch diese erste, historische Tea Party von 1773 (die sich am 16. Dezember jährt) keineswegs das heroische Auflehnen unterdrückter Bürger gegen eine ausbeuterische Kolonialmacht war, sondern eher eine von Profit-Interessen – namentlich jenes John Hancock und jenes Samuel Adams – getriebene und organisierte Aktion war, in der amerikanische Schmuggler ihre Interessen gegen den billig zu werden drohenden britischen Tee-Import schüzten wollte.

    Könnte es sein, das manche Leute so viel Geld haben, weil sie es verdienen? Weil sie also in der Lage sind, Ding zu bewegen, die Welt zu verändern, Menschen zu organisieren? Weil sie schlicht: erfolgreich sind? Und sollte man diesen Erfolgsmenschen nicht jede Möglichkeit einräumen, ihr natürlich auch eigennütziges Streben fortzusetzen, weil am Ende die ganze Gesellschaft davon profitiert?

  2. #2 KommentarAbo
    14. Dezember 2010

  3. #3 Bullet
    14. Dezember 2010

    Türpe wie üblich locker über die Verblödungshürde geflankt:

    sollte man diesen Erfolgsmenschen nicht jede Möglichkeit einräumen, ihr natürlich auch eigennütziges Streben fortzusetzen, weil am Ende die ganze Gesellschaft davon profitiert?

    Die ganze … hmmm …. sagen wir: irakische – Gesellschaft hat also davon profitiert, daß dort auf der anderen Seite des Ozeans der Grundstein für diesen Staat gelegt wurde, der den Irak eben gerade erst in Schutt und Asche gebombt hat?
    Und außerdem: seit wann profitiert von eigennützigem Streben “natürlich” die ganze “Gesellschaft”?

    – ja, ich weiß, man muß nicht in jeden Hundehaufen treten. Es stinkt ja auch nur immer gleich.
    Verzeiht, werte Mitleser.

  4. #4 BreitSide
    14. Dezember 2010

    Oh Sven, Du forderst schon wieder den Ironiedetektor. Was Du da eben abgelaicht hast, ist ja nun wirklich nicht mehr als 100 % Realsatire.

    Deiner Meinung nach ist die Mafia besonders zu bewundern, da besonders erfolgreich.

  5. #5 BreitSide
    14. Dezember 2010

    Svenni hat mal wieder den Guido raushängen lassen müssen. Nicht den SB-Troll, sondern den FDP-Troll. Primitivliberalismus der untersten Sorte.

  6. #6 Sven Türpe
    14. Dezember 2010

    Die ganze … hmmm …. sagen wir: irakische – Gesellschaft hat also davon profitiert, daß dort auf der anderen Seite des Ozeans der Grundstein für diesen Staat gelegt wurde, der den Irak eben gerade erst in Schutt und Asche gebombt hat?

    Selbstverständlich. Wie ja auch die deutsche Gesellschaft einst von einem ganz ähnlichen Vorgang profitiert hat, von unseren Nachbarn und Nachbarsnachbarn gar nicht zu reden. Und damals waren Schutt und Asche wörtlich zu verstehen und nicht nur als eine Metapher für doch recht begrenzte Schäden. Ich bin mir sicher, dass die irakische Gesellschaft in der Summe von ihrer Befreiung durch die Alliierten mehr profitiert als von unserer Unterstützung durch Waffenlieferungen.

  7. #7 Sven Türpe
    14. Dezember 2010

    Nachtrag:

    Und außerdem: seit wann profitiert von eigennützigem Streben “natürlich” die ganze “Gesellschaft”?

    Seit der Erfindung des demokratischen Kapitalismus.

  8. #8 BreitSide
    14. Dezember 2010

    Au weia, Svenni. Die hunderttausenden von Toten sind also Dein Profit. Jetzt verstehe ich das mit dem Völkermordapologeten.

    Ich denk ja immer noch, das muss ein Scherz sein. So viel Scheiße auf einmal kann einer allein gar nicht fabrizieren.

  9. #9 Hel
    14. Dezember 2010

    @Sven Türpe

    Könnte es sein, dass manche Leute so viel Geld haben, weil sie es verdienen?

    Könnte sein. Es könnte aber auch sein, dass dies so gar nicht das Thema von Jürgens Blogpost ist.

    Weil sie also in der Lage sind, Dinge zu bewegen, die Welt zu verändern, Menschen zu organisieren?

    Triviale Aussage, die rückwirkend sogar auf die Bolschewiki und Mao zuträfe.

    Und sollte man diesen Erfolgsmenschen nicht jede Möglichkeit einräumen, ihr natürlich auch eigennütziges Streben fortzusetzen, weil am Ende die ganze Gesellschaft davon profitiert?

    Nice try 😉 Wer oder was ist denn die ganze Gesellschaft, wenn Mensch doch ein Wesen ohne Plural ist? Im übrigen entspräche diese Aussage ja auch Adam Smiths Metapher von der unsichtbaren Hand, weist aber leider immer noch keinen Bezug zu Jürgens Blogpost auf.

    Könnte es sein, dass oft gar nicht der Blogposter, sondern du selbst dir die Stichwörter gibst, zu denen du dann Jack-in-the-box-mäßig abgehst?

  10. #10 Redfox
    14. Dezember 2010
  11. #11 Sven Türpe
    14. Dezember 2010

    Könnte es sein, dass oft gar nicht der Blogposter, sondern du selbst dir die Stichwörter gibst, zu denen du dann Jack-in-the-box-mäßig abgehst?

    Das ist insofern nicht weit von der Wahrheit entfernt als ich Wert darauf lege, unausgesprochene Annahmen in der Diskussion zu berücksichtigen. Ich hätte allerdings nichts dagegen, wenn jemand die seinen klar benennt.

  12. #12 Bullet
    15. Dezember 2010

    Das ist insofern nicht weit von der Wahrheit entfernt als ich Wert darauf lege, unausgesprochene Annahmen in der Diskussion zu berücksichtigen.

    Das ist fein. Doch erkläre, großer Internet-Telepath, mir bitte doch, wie du in einer Situation wie dieser hier eine
    a) getätigte, aber unausgesprochene Annahme
    von einer
    b) nicht getätigten, daher unausgesprochen bleiben müssenden Annhahme
    unterscheidest. Daran zeigt sich nämlich sofort, welche Annahmen du nicht berücksichtigen darfst. Eben jene, die nicht getätigt wurden.

  13. #13 Sven Türpe
    15. Dezember 2010

    Durch Nachfragen. Wenn dann statt einer Antwort jemand pampig wird, notiere ich das als Treffer.

    P.S.: Fragen erkennst Du an diesem Zeichen: “?”

  14. #14 Bullet
    15. Dezember 2010

    Wenn dann statt einer Antwort jemand pampig wird, notiere ich das als Treffer.

    Ach ja, stimmt. Weil deine Fragen ja per Definition nicht geeignet sind, jemanden auf Basis der zum Himmel schreienden Dummheit, die wie ein Flutlicht hinter dieser Frage hervorleuchtet, pampig werden zu lassen. Andere Leute erkennen nämlich manchmal schon an den Fragen, die tatsächlich gestellt werden, wo des Fragestellers Defizite liegen. Und das, Freund Türpe, kann ganz schön frusten.
    Deine Treffer-Notierung steht auf ziemlich wenigen sehr wackligen Beinen, die durch viele Vor-Annahmen gestützt werden müssen, welche natürlich wiederum nach deinem Gusto gesetzt werden und daher sachlich wertlos sind. Ich bewerte das als wenig zielführend. Für niemanden.

  15. #15 rolak
    19. Januar 2011

    Die haben es auf Platz 9 der Most-Loathsome-Americans-Top50 vom Biest gebracht:

    Tea Partiers
    Charges: Openly racist and lying about it, uber-religious, hyper-hypocritical, usually-tetched old codgers who wheel around in their Medicare-provided Hoverounds® and rage against fiscally irresponsible social programs, like Medicare, because they’re too dumb to realize that they’re co-opted, Machiavellian mouthpieces of greedy billionaires.
    Aggravating factor: They elected some 40 candidates to Congress.
    Sentence: The consequences of their actions.