Ich breche hiermit mein eigenes Gelöbnis, nicht länger auf die so genannten “Verschwörungstheorien” einzugehen, die sich speziell um die Ereignisse des 11. September 2001 ranken. Aber wenn ich sehe, wie unerbittlich bei Florian die VT-Ritter ihre Windmühlenkämpfe austragen, dann kann ich mir ein paar Gedanken zum Thema “Verschwörungstheorien” doch nicht verkneifen. Ich hatte diese Gedanken in einem Kommentar zu einem wenig gelesenen Beitrag hier schon einmal angedeutet, will sie hier aber mal ein bisschen auswalzen. Meine Arbeitsthese: Die Erklärung muss in einem proportionalen Verhältnis zum Ereignis stehen, um unser Denken zu befriedigen.
Im weiteren Sinn fallen VT also in den Bereich des Aberglaubens. Kaffee auf dem guten Anzug verschüttet, kurz vor dem wichtigen Jobinterview? Schusseligkeit oder “kommt halt vor” reicht da nicht – es muss Schicksal, oder wenigstens die schwarze Katze gewesen sein, die am Morgen durch den Nachbarsgarten geschlichen war. Und wenn beispielsweise die Heimmannschaft über Jahrzehnte hinweg keine Meisterschaft gewinnt, dann liegt das selbstverständlich nicht an den Spielern, das wäre zu simpel – statt dessen könnte es ja sein, dass ein vergrätzter Ex-Spieler einen Fluch über das Team verhängt hat.
Und was, wenn so ein Über-Idol wie Elvis Presley stirbt? Er war eine überlebensgroße Kunstfigur, er wurde von mehreren Fangenerationen wie ein Heiliger verehrt – so einer kann nun mal nicht einfach so daheim an Herzversagen sterben. Egal, dass der Star übergewichtig war; egal, dass er eine Vorgeschichte an Medikamentenmissbrauch hatte; egal, dass er vermutlich an einer ganzen Reihe stress- und veranlagungsbdingter Kreislauf- und Stoffwechselproblemen litt – ein Elvis darf sein Leben nicht ganz banal damit beenden, dass er auf dem Klo tot umkippt. Die Erklärung ist zu simpel, zu trivial, zu banal, um all die aufgewühlten Emotionen, all die gefühlsmäßige Verweigerung dieser Tatsache aufzuwiegen. Solche Emotionen, solche verstörten Gefühle wollen bedient werden – und prompt rankten sich Verschwörungsgerüchte um Elvis Presleys Tod.
Oder nehmen wir das Kennedy-Attentat. Der mächtigste Mann seiner Zeit, strahlend, charmant, eine Art politischer Traumprinz. Und dann: Ein paar Kugeln aus dem Hinterhalt, und dieses strahlende Leben ist blutig ausgelöscht. Vor den Augen der Welt. Die offizielle Erklärung, dass dies die Tat eines Amateurs mit einem billigen Karabinergewehr gewesen sein könnte, wird in den Köpfen vieler der Tragik und Tragweite des Attentats einfach nicht gerecht. Da muss mehr her. Eine Verschwörung, beispielsweise.
Klar gäbe es auch, ganz verschwörungsfrei, die Möglichkeit, die Antworten auszuweiten. Vielleicht hatte Lee Harvey Oswald einen Komplizen (wie wär’s mit Jack Ruby? Der hätte dann auch gleich ein prima Motiv gehabt); vielleicht war Elvis schon länger krank gewesen? Vielleicht sind die anfänglich widersprüchlichen Informationen zu den 9/11-Anschlägen einfach eine Folge des Chaos, das dabei entstanden war? Aber auch solche Antworten sind zu schnell gegeben, während die Emotionen immer noch verweigern, die Realität zu akzeptieren. Da muss noch mehr in Waagschale geworfen werden …
Ja, und darum sucht das Hirn lieber nach unlogischen Antworten – durch die wird es nämlich viel länger und ausgiebiger beschäftigt. Und dann werden so selbstverständliche Tatsachen ausgeblendet, wie beispielsweise die, dass die meisten brennenden Häuser ganz oder teilweise einstürzen; da wird dann argumentiert, dass brennendes Kerosin ein Kühlmittel sein muss (denn in einem brennenden Haus werden auch ohne die Präsenz von Treibstoff typischer Weise Temperaturen über 800 Grad Celsius erreicht – wenn, wie hartnäckig behauptet wird, trotz mehreren Tausend Litern Kerosin die Temperatur in den brennenden Türmen nicht mal 500 oder 600 Grad erreicht haben konnten, muss der Flugzeugsprit diese Temperaturen abgesenkt haben). Da werden komplexe Theorien gestrickt, nach denen die Bush-Regierung mit diesem Rube-Goldberg-Plan einen Angriff auf den Irak rechtfertigen wollte – obwohl dieser doch offiziell mit den Massenvernichtungswaffen Saddam Husseins begründet wurde; dass diese ach so raffinierte Bush-Regierung dann nicht mal daran dachte, Saddam Hussein dann eben jene Waffen auch unterzuschieben, können sie jedoch nicht erklären. Die Liste der Argumentations- und Sachfehler ist sooo lang …
Aber wie schon gesagt: Eine echte Antwort ist sowieso nicht das Ziel, auch wenn die “Suche nach er Wahrheit” stets als Motivation vorgegeben wird. Denn es geht ja gar nicht mehr darum, die “wahre” Ursache zu entlarven – sondern nur darum, die Wahrheit so lange wie möglich nicht wahrnehmen zu müssen. Denn so lange man nicht überzeugt ist, wie es passiert ist, muss man sich auch nicht damit abfinden, dass es passiert ist. Fast wie ein zweijähriges Kind, das sich die Augen zuhält und glaubt, selbst unsichtbar geworden zu sein, weil es nichts mehr sehen kann.
Kommentare (24)