Nebenan auf den SciLogs geht bei Anatol Stefanowitsch gerade die (und der) Post ab: AS, wortstark wie stets, hatte in einem alles andere als emotionslosen Offenen Brief an die Contentindustrie für die “Schreiberinnen und Schreiber offener Briefe, liebe an der Nadel des Staates hängende Subventionsjunkies, liebe Leibeigene der Contentindustrie, liebe schlipstragende Verwalter und Verkäufer kultureller ‘Güter'” wenig gute Worte gefunden, ihnen aber dafür vorgehalten, “durchgeknallt … wahnsinnig …(und) verwirrt” zu sein. Worum es ihm geht und wie er das begründet, bitte bei ihm selbst lesen – es ist in jedem Fall unterhaltsam und enthält genug, was zum Nachdenken anregt.
Und obwohl ich mich aus der politischen Diskussion mangels ausreichender emotionaler Beteiligung (ich lebe zu weit weg, um mein Gemüt daran erhitzen zu können) heraushalte – was übrigens auch als Hinweis für eventuelle Kommentatoren zu verstehen ist: Ich kenne die Standpunkte der einzelnen deutschen Parteien und Politiker zu diesem Thema nicht gut genug (Begründung siehe oben), um in deren Sinn parteiisch zu sein – sind mir bei der Lektüre dieses Offenen Briefes ein paar auf Erfahrung beruhende Gedanken durch den Kopf gegangen, die ich hier einfach mal niederschreiben muss. Sozusagen als Entrümpelungsaktion im geistigen Inventar.
Ja, dank dieser “eleganten” Überleitung bin ich schon beim ersten Stichwort: dem viel bemühten “geistigen Eigentum”. Darüber, ob dies tatsächlich ein juristisch relevanter oder justiziabler Begriff ist, haben vermutlich schon ein paar Generationen von Rechtswissenschaftlern promoviert – aber darum geht es mir hier gar nicht. Sondern (ha! Mein Blog! Meine Meinung!) darum, wie ich aus meiner langjährigen Erfahrung als jemand, der beruflich schon ein paar Tausende von solchen geistigen Eigentumsobjekten produziert hat, diesen Begriff einschätze. Und ich finde, dass es in der Tat so etwas wie geistiges Eigentum gibt – aber das hat so gut wie nichts mit dem zu tun, worüber in den politischen Diskussionen (und nicht selten sogar vor Gerichten) gestritten wird.
Worin dieses geistige Eigentum besteht, wird am ehesten erklärbar dadurch, womit man dafür bezahlt: nämlich mit einem Quellennachweis (im Englischen, wie ich mir diesen Satz in meinem Kopf zurecht gelegt hatte, klang’s eleganter: Citation). Wenn ich als Wissenschaftler die Ideen anderer in meinen Arbeiten verwende, dann bediene ich mich bei deren geistigem Eigentum. Wenn ich die Zeilen aus einem Heinrich-Heine-Gedicht rezitiere, dann leihe ich mir dessen geistiges Eigentum. Wenn ich ein creative-commons-Foto, das ich auf Flickr gefunden habe, in mein Blog stelle, dann nehme ich mir ein Stück fremden geistigen Eigentums. Und bezahle dafür mit dem Hinweis, wessen Forschungsbericht, wessen Gedicht, wessen fotografisches Werk ich hier verwende. Und umgekehrt verpflichte ich mich, dieses Eigentum dahin gehend zu respektieren, dass ich es schonend und korrekt behandle: dass ich die Fakten und Erkenntnisse des Wissenschaftlers nicht verfälsche (und beispielsweise behaupte, Darwin habe die Existenz eines intelligenten Designers postuliert), oder ein Heine-Gedicht nicht für antisemitische Propaganda verwende und das Foto nicht in einem verfälschenden und verzerrenden Zusammenhang verwende. Genau so wenig wie ich beispielsweise eine private, aber öffentlich zugängliche Wiese für ein Picknick benutzen würde, und als “Dank” dafür den Boden aufreiße und meinen Müll hinterlasse.
Und dieses Eigentumsrecht ist unveräußerlich: Selbst wenn ich das Buch, aus dem ich das Heine-Gedicht abschreibe, für teures Geld antiquarisch erstanden habe, wird sein Werk immer noch nicht mein Gedicht, und es also solches auszugeben, ist in der Tat Diebstahl geistigen Eigentums. Und egal, ob das wissenschaftliche Paper aus einer open-access-Datenbank stammt oder aus einem zu saftigen Preisen abonnierten Fachjournal – die Verpflichtung zum Zitat bleibt davon unberührt.
Aber der Streit, soweit ich ihn einschätzen kann, dreht sich eigentlich gar nicht ums geistige Eigentum. Sondern um ein gänzlich anderes Rechtsgut: das Urheberrecht. Und selbst diese Bezeichnung ist eigentlich irreführend, denn es geht noch viel mehr um das Nutzungs- und Verwertungsrecht – und das hat nur noch in manchen Fällen (und oft auch nur eher zufällig) mit dem Recht am geistigen Eigentum zu tun. Hier geht es lediglich darum, wer kassieren darf.
Denn nach dem, was ich zum Thema geistiges Eigentum gesagt habe, wäre es durchaus akzeptabel, wenn ich ein wissenschaftliches Paper nicht nur im Zitat oder in Auszügen, sondern in vollem Umfang, eventuell sogar gleich im Orginalformat (mit Original-Autorenzeile) vervielfältige und weitergebe. Und oft geschieht dies auch, zum Beispiel, wenn für Lehrveranstaltungen Kopien eines Arbeitstextes an die Studenten ausgeteilt werden. Rein akademisch gesehen ist das kein Probem, denn die Urheberschaft des Papers ist dabei mindestens so klar wie beim Original. Und in den meisten Fällen enststünde für den Urheber = den Wissenschaftler auch kein materieller Vorteil, wenn statt der Fotokopien jede(r) Student(in) ein Exemplar des Papers ausgehändigt bekäme – selbst wenn diese zum vollen Abopreis erstanden wurden. Ich nehme nicht an, dass es bei wissenschaftlichen Journalen anders ist als sonstwo im Zeitschriftenbusiness; von einer Umsatzbeteiligung der Autoren oder Tantiemen für besonders gut verkaufte Hefte habe ich in 25 Berufsjahren noch nie etwas gehört.
Aber das bedeutet eben nicht, dass es laut Urheberrecht auch in Ordnung wäre, wenn ich diese Kopien mit Profit an die Studenten verkaufe. Übrigens selbst dann nicht (in den meisten Fällen, jedenfalls), wenn ich selbst der Verfasser der Artikels/Papers bin.
Denn eines wird in der ganzen Diskussion vor allem von den Verlagen/Verlegern gerne verschwiegen: Ihnen geht es gar nicht darum, dass die Urheber dieser Werke, also die Autoren oder Künstler, ordentlich bezahlt werden. Ihnen geht es um Profite – und wenn ein Verleger/Herausgeber sich etwas wünschen könnte, dann wäre es, seinen Content völlig kostenlos zu bekommen. Das Einkommen der Journalisten ist ihnen nur insofern ein Anliegen, als es ihnen gar nicht niedrig genug sein kann. Und wenn eine Story billiger zu haben ist, dann wird sie auch billiger gemacht. Sicher, es wird viel davon geredet, dass journalistische Qualität Geld kostet, und auch das kann ich aus eigener Erfahrung bestätigen: Recherchen sind manchmal mit vieltägigen Reisen in entfernte Gegenden verbunden, Fotografen müssen angeheuert und manchmal auch Informanten geschmiert werden. Und gute Journalisten erheben klare Forderungen, was ihre Bezahlung angeht. Aber all das zahlen die Verlage nur, weil sie müssen, weil sonst ein anderer die Story kriegt. Aber wenn sie einen Weg sehen, diese Kosten einzusparen, dann werden sie diesen gehen. Egal, ob dabei ein guter freier Journalist dann brotlos bleibt oder ob dem Leser dabei Fakten aus zweiter Hand als Recherche aus erster Hand verkauft werden. Und wenn die Profite des Blattes/Verlages nicht mehr stimmen, dann werden eben Journalisten rausgeschmissen, werden Ressorts und Büros dicht gemacht – und die Qualität ihrer Arbeit spielt bei solchen Entscheidungen nur selten eine Rolle.
Krieg den Verlagspalästen also? (Der Ordnung halber: dies ist eine Abwandelung eines Georg-Büchner-Zitats) Pflichte ich also jenen bei, die den Untergang der bezahlten Content-Anbieter prophezeien oder sogar dringlichst herbei wünschen? Ganz ehrlich: Mein Mitleid mit den Milliardären wäre sehr begrenzt. Aber das heißt nicht, dass ich das System der Verlage und der bezahlten Publikationen für unnütz halte. Ein Übel, gewiss – aber ein notwendiges Übel.
Hier komme ich endlich auf die Walderdbeeren zu sprechen, die ich so kryptisch im Titel untergebracht habe. Was die hier zu suchen haben? Nein, umgekehrt: ich hatte sie gesucht, und zwar mit meinen Eltern, als ich noch ein Kind war. Denn in meinen Heimatwäldern (eigentlich eher an den Rändern derselben) wuchsen diese wild, und alles was wir tun mussten, war rechtzeitig aufstehen, denn damals waren die Sommer noch heiß und das Beerenpflücken in der Mittagshitze keine Freude. Aber in, sagen wir mal, ein oder zwei Stunden eifriger Sammelarbeit kamen schon ein paar Kilo dieser kleinen, aromatischen – aber nicht sehr saftigen – wilden Walderdbeeren zusammen. Bitte Geduld, die Metapher wird sich noch offenbaren. Der Zugang zu diesen wilden Erdbeeren war frei, lediglich Mühe musste man investieren. Und wir hätten, rein theoretisch, sogar einen Teil dieser Erdbeeren an Bekannte und Verwandte verkaufen können (statt dessen haben wir sie einfach umsonst abgegeben) – was immer noch niemanden daran gehindert hätte, selbst Beeren pflücken zu gehen. Blogs sind gewissermaßen die Walderdbeeren der Medienlandschaft: Es kostet ein bisschen Mühe, die richtigen Stellen zu finden und dort zu “ernten”, und sie sind auch nicht jedermanns Geschmack, aber dafür sind sie frei zugänglich.
Doch was wäre gewesen, wenn wir statt dessen mit der gleichen Selbstverständlichkeit und Freizügigkeit auf den bäuerlichen Erdbeerbeeten der Umgebung gepflückt hätten? Unser Arbeitsaufwand wäre etwa der gleiche gewesen, die Felder waren weder eingezäunt noch bewacht, also frei zugänglich – und die paar Erdbeeren hätten dem Bauern doch nichtg geschadet. Hätten die doch gar nicht gemerkt, dass da ein paar fehlen. Wäre das korrekt? Natürlich nicht. Aber die wachsen doch auch so, warum sollen wir dem Bauern dafür Geld bezahlen? Und überhaupt, wir haben ja gar nichts gegen die Bauern, sondern vor allem gegen die gierigen Supermärkte, die diese Erdbeeren dann, in Kiloportionen abgewogen und verpackt, für teures Geld an die Verbraucher weitergeben. Warum überhaupt muss ich für Zuchterdbeeren bezahlen, wo doch wilde Beeren gratis im Wald wachsen?
Ich denke, dass die meisten meiner Mitmenschen zustimmen werden (ich kenne einige, die gundsätzlich nie zustimmen), dass es Erdbeeren – allen Walderdbeeren zum Trotz – nie gratis geben kann: Der Bauer verlangt einen Lohn für seine Mühe und dafür, dass er seine Felder und Beete bearbeitet, anstatt sie als Bauland oder Gewerbeflächen zu verpachten, für deren Erlöse er dann keinen Finger krumm machen muss. Und der Supermarkt, der die Ware an die VerbraucherInnen bringt, muss schließlich auch seine Kosten erwirtschaften.
Und genau so wenig wird es möglich sein, Journalismus (das mediale Äquivalent zu den kommerziellen Erdbeeren in diesem Vergleidch) umsonst zu produzieren. Selbst wenn wir die Verleger abschaffen und damit eine Art Selbstpflückplantage für Content aufmachen würden – das, was wir Journalismus nennen, kostet in der Herstellung Geld; und die Erzeuger müssen davon leben (auch wenn’s manchmal nicht so scheint: Selbst kleinere Geschichten brauchen manchmal mehrere Tage der Recherche – Tage, für deren Einsatz der Journalist entlohnt werden will). Ohne das gibt’s eben nur mehlige Walderdbeeren, und auch die nicht immer, wenn man sie haben will. Wie eben diesen Blogeintrag (in den ich übrigens einen Gutteil meines Abends gesteckt habe, ohne Bezahlung dafür zu erwarten).
Es gibt einen großen Unterschied zwischen dem rückenschmerzenden Beerenklau und der “Selbstbedienung” auf den Feldern des Nutzungsrechts: Es ist, im Vergleich zum Erdbeerpflücken, extrem leicht, sich an den schöpferischen Leistungen anderer zu bedienen und die dann auch noch weiter zu geben. Download – upload – fertig! Freundliche Seiten, die einem das Sich-selbst-Bedienen sogar leicht machen (erinnert sich noch jemand an Napster?), gibt es reichlich – auf die Erdbeeren übertragen wären das dann Leute, die einen Carpool zum nächsten Beerenbeet organisieren und sogar noch die Eimer zum Pflücken auftreiben. Am besten noch im Namen der Freiheit, um das Beerenmonopol der Bauern und Supermärkte zu brechen.
Natürlich hinkt mein Beispiel. Beeren kann man schließlich nur einmal essen, aber Musik kann man immer wieder hören, und Texte immer wieder lesen; sie werden beim Konsum eben nicht verbraucht – was das verfielfältigte Weitergeben letztlich ja erst möglich macht. So schlimmt hinkt es übrigens dann auch wieder nicht: Auch Nachrichten sind eine verderbliche Ware; Texte (und die dahinter stehenden Themen) haben keine unbegrenzte Haltbarkeit, wenn es darum geht, sie bei einem Medium unterzubringen. Denn es gibt so etwas wie “Aktualität”. Die Nachricht von gestern kann ich übermorgen keinem Verleger mehr andrehen.
Und es gibt eine Vielzahl von Alternativen, wie die Erdbeeren – und parallel dazu auch die Texte, die Musik – an den Verbraucher gebracht werden können, ohne dass die Mittelsmänner dabei ihre Taschen vollstopfen können, und ohne dass die Erzeuger dabei um den Lohn ihrer Mühe gebracht werden. Selbstpflückplantagen (zum Kilo- oder Pauschalpreis), Tauschgemeinschaften, Einkaufsgenossenschaften – all diese Modelle lassen sich, mit ein bisschen Abstraktionsvermögen, auch bei schöpferischem Kontent finden. Aber man darf nicht vergessen, dass das Wesen dieser Modelle sein muss, dass Erzeuger einen Lohn, einen Nutzen aus ihrer Tätigkeit ziehen können.
Denn hieran scheint die Diskussion um die “Freiheit” im Internet oft zu hapern: Nur weil ich der Meinung bin, dass das bisherige Vertriebssystem – ob nun für Erdbeeren oder für Musik, Literatur, Journalismus oder andere “geistige” Erzeugnisse – endlich abgeschafft werden sollte, darf ich nicht einfach übersehen, dass ich damit auch das Entlohnungsystem der Erzeuger in Frage stelle. Denn das ist nun mal vom bisherigen Vertriebssystem abhängig, ob uns das passt oder nicht. Damit, dass man die Felder plündert, schafft man vielleicht das alte System ab – aber kein neues an.
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