Ehe ich zum eigentlichen Thema komme, erst mal eine Erklärung in eigener Sache: Da mein eigener Korrespondenten-Arbeitsplatz dereinst dem (vermeintlichen) FOCUS-Profit geopfert wurde, bin ich bei Themen wie dem Folgenden, in dem es um die Kosten und Nutzen vor Arbeitskräften geht, natürlich nicht unparteiisch. Aber ich bin mir sicher, dass ich auch ohne die persönlichen (schlechten) Erfahrungen die gleichen Betrachtungen angestellt hätte.
So, worum geht’s also? Ganz einfach darum, dass es gut fürs Geschäft ist – sein kann, genauer gesagt, wenn man’s richtig anfängt – viele gut bezahlte Arbeitskräfte zu haben. Was ja erst mal jeder scheinbaren Unternehmensberater-Logik ebenso widerspricht wie dem aktuellen Trend in der westlichen Wirtschaftswelt, Arbeitskräfte sowohl quantitativ als auch qualitativ (= schlechter ausgebildet und daher zu billigeren Löhnen zu kriegen) abzubauen. Das Paper Why Good Jobs Are Good for Retailers, das in der Januar/Februarausgabe der Harvard Business Review erschienen war (sorry, bin erst jetzt drauf gestoßen), belegt für vier große US-Einzelhandelsunternehmen, dass besser bezahlte und in ausreichender Menge angeheuerte Mitarbeiter nicht nur nicht dem Geschäft schaden, sondern im Gegenteil die Profite steigern.
Woa. Muss man erst mal sacken lassen. Gerade im Einzelhandel, wo Billiglohnkräfte die Regale füllen und die Kunden immer häufiger selbst noch an der Kasse zur Selbstbedienung aufgefordert werden – da soll in Wirklichkeit der Profit mit der Zahl und den Gehältern der Angestellten steigen? Und das nicht etwa bei den Hochpreis-Unternehmen, sondern bei Discountern wie beispielsweise Trader Joe’s (US-Schwesterunternehmen von Aldi Nord), dem Großhandelsdiscounter Costco oder der spanischen Supermarktkette Mercadona? Die Autorin des Papers, Zeynep Ton von der MIT Sloan School of Management hat sich mal die Zahlen dieser Unternehmen angeschaut, und die sprechen tatsächlich Bände:
Trader Joe’s beispielsweise zahlt seinen Mitarbeitern Einstiegsgehälter zwischen 40.000 und 60.000 Dollar im Jahr, das etwa das Doppelte des Branchendurchschnitts. (Und nicht nur an den Gehältern, auch an der Kopfzahl wird nicht gespart – dafür habe ich zwar keine Vergleichszahlen parat, aber ich kann dies aus eigener Erfahrung bestätigen.) Die gute Laune der Mitarbeiter lässt sich zwar nicht ganz so einfach messen, ist aber – auch das ist eine subjektive, aber konsistente Erfahrung – spürbar. Und für das Unternehmen zahlt sich’s aus: Der Umsatz pro Mitarbeiter liegt um 40 Prozent über dem Durchschnitt der US-Supermärkte, der Umsatz pro Quadratmeter Ladenfläche sogar beim Dreifachen des US-Durchschnitts. Ähnliche Zahlen ergeben sich für die anderen untersuchten Einselhandelsunternehmen.
Hm, vielleicht spielen ja andere Faktoren eine Rolle, zum Beispiel das Warensortiment? Vielleicht ein bisschen, aber eine andere Studie, die bereits 2006 von Forschern der Wharton School der University of Pennsylvania gemacht wurde, kam zu einem ähnlich frappierenden Ergebnis: Jede Erhöhung der Personalkosten um einen Dollar brachte den darin untersuchten Einzelhandelsunternehmen eine Umsatzsteigerung zwischen 3,94 und 28,01 Dollar.
Einer der Gründe für diesen Mehrwert ist, dass gut motiviertes Verkaufspersonal den Kunden hilft, “versteckte” Waren zu finden (die Logik des Supermarktsortiments erschließt sich nun mal nicht jedem); es füllt leere Regale schneller auf und weiß, wann vergriffene Ware nachgeliefert wird. Kunden-Dienst im wörtlichen Sinne, also. Das baut nicht nur auf lange Sicht eine Stammkundschaft auf – es hilft auch, das Sortiment schneller umzuschlagen und jene “Phantom-Produkte”, die irgendwie keiner finden kann (vor allem US-Baumärkte scheinen voll davon zu sein), unter die Leute zu bringen.
Na gut. Aber ist das nicht einfach nur eine Frage der übersichtlichen Organisation? Vielleicht auch, aber wer sich anschauen will, wie es Einzelhandelsketten gehen kann, die den gegenteiligen Weg einschlagen und drastisch Personal abbauen, um ihre Bilanzen aufzubessern, dem lege ich mal das Schicksal der Elektronik-Großmarktkette Circuit City ans Herz, die sich eher als Leuteschinder und -Ausbeuter profiliert hatte und trotz dieser knauserigen Personalpolitik 2009 in Konkurs ging. Sie fielen dem zum Opfer, was Zeynep Ton als den “Teufelskreis” (Vicious Cycle) des Einzelhandels bezeichnet: Niedrige Löhne ziehen unmotiviertes und unqualifiziertes Personal an, das seinen Job dann ohne Qualität erledigt, was die Umsätze und Gewinne senkt, was wiederum zu weiteren Einsparungen bei Personalkosten führt. Umgekehrt ist auch ein “Virtous Cycle” denkbar: Hohe Personalbudgets, die das Anheuern von gut geschultem und motiviertem Personal in ausreichender Zahl erlauben, das den Laden in Schwung hält, was die Umsätze und Gewinne steigert und wiederum ein höheres Personalbudget erlaubt. Klingt vielleicht naiv, aber die Zahlen sprechen offenbar doch eine eigene (überzeugendere) Sprache.
Aber damit ich hier nicht falsch verstanden werde: Es mag von Unternehmen zu Unternehmen immer ganz unterschiedliche Sachlagen geben, und für manche ist selbst mit höheren Personalausgaben kein besseres Resultat zu erwirtschaften, während andere tatsächlich mit Erfolg ihre Personalstruktur straffen können. Aber in jedem Fall ist es mir hier wichtig, mal darauf hinzuweisen, dass dieser Automatismus von “Geschäft geht schlecht -> Leute rausschmeißen” nicht die wirtschaftliche Gesetzmäßigkeit ist, für die sie Unternehmensberater (auch nicht alle, aber leider viel zu viele) und Vorstandsvorsitzende so gerne halten.
Kommentare (33)