Der Artikel ist Teil einer Serie zum Buch ”Die Himmelsscheibe von Nebra – Der Schlüssel zu einer untergegangenen Kultur im Herzen Europas”* von Harald Meller und Kai Michel. Die restlichen Artikel der Serie findet man hier.
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Meine Serie über die Himmelscheibe von Nebra (und das oben erwähnte Buch) hat in 19 Teilen (Teil 1, Teil 2, Teil 3, Teil 4, Teil 5, Teil 6, Teil 7, Teil 8, Teil 9, Teil 10, Teil 11, Teil 12, Teil 13, Teil 14, Teil 15, Teil 16, Teil 17, Teil 18, Teil 19) erzählt was dieses Fundstück aus der Bronzezeit aus kultureller und astronomische Sicht so bedeutsam macht und wie seine Untersuchung eine bis dahin unbekannte Hochkultur in Mitteldeutschland – das Reich von Aunjetitz – ans Licht gebracht hat. Im letzten Teil ging es um den Versuch, ihre komplette Geschichte zu rekonstruieren und da war alles dabei, von bronzezeitlichen Fernreisen zwischen Mitteldeutschland, Babylon und Griechenland bis zu einem gewaltigen Vulkanausbruch der die Scheibe schlußendlich unter die Erde gebracht hat. Ob das wirklich so war, wissen wir nicht. Viele Fragen bleiben offen, was die Himmelsscheibe angeht. Aber Harald Meller und Kai Michel haben genug Informationen über dieses Objekt gefunden um ihr Buch mit “sieben Lehren der Himmelsscheibe” zu beenden. Und zwar diesen hier:
- 1) Das Forschen liegt in der menschlichen Natur: Wir neigen heute dazu, nur das als “Wissenschaft” zu verstehen was so abläuft wie das, was wir momentan treiben. Und das ist in gewisser Weise auch richtig. Die moderne Naturwissenschaft ist vor knapp 400 Jahren entstanden, als Leute wie Isaac Newton, Galileo Galilei oder Johannes Kepler sich von den traditionellen Ansichten gelöst und die Erkenntnis der Welt auf eine andere, mathematischere und objektivere Basis gestellt haben. Aber der Drang nach Wissen war auch früher schon vorhanden und die Menschen mussten mit dem arbeiten, was sie zur Verfügung hatten. Die Himmelsscheibe kann man als wissenschaftliches Projekt verstehen, als den Versuch die Vorgänge am Himmel und ihre Verbindung zu den Vorgängen auf der Erde zu verstehen. Seit es Menschen gibt, wollen sie wissen wie die Welt funktioniert.
- 2) Wir sind Wanderer: Die Entdeckung der Himmelsscheibe und die darauf folgende Rekonstruktion des Reichs von Aunjetitz hat eindrucksvoll demonstriert, wie vernetzt und mobil die Welt auch schon in der Bronzezeit war. Die Menschen die sie in Mitteldeutschland geschaffen haben, sind aus den asiatischen Steppen eingewandert. Und haben ihr Wissen in ganz Europa gesammelt und verbreitet. Migration ist keine neue Erfindung. Es ist das, was wir Menschen schon von Anfang an getan haben.
- 3) Das Wilde in uns existiert noch immer: Die Himmelsscheibe erzählt von den Göttern und Dämonen die die Menschen damals am Himmel gesehen haben und von den ganz realen Kriegen, Menschenopfern und rituellen Morden die in der Bronzezeit stattgefunden haben. Heute sehen wir in den Sternen keine bösen Überwesen mehr die es durch Opfer zu besänftigen gilt. Wir haben aber immer noch nicht aufgehört, im Namen der Götter zu töten. Und Mord, Gewalt und Horror zu einer gewaltigen Unterhaltungsindustrie ausgebaut. Wir wissen zwar mehr als die Menschen der Bronzezeit – aber wir sind immer noch von der Gewalt fasziniert.
- 4) Wissen ist Macht: Hier zeigt sich fast die deutlichste Verbindung zwischen der Vergangenheit und der Gegenwart. Die Himmelsscheibe und das auf ihr verschlüsselte Wissen war ein Symbol der Macht. Sie hat die Herrschaft der damaligen Elite legitimiert. Und auch wenn wir heute ständig von “Fake News”, “Message Control” und Populismus reden, ist Wissen doch immer noch das, was Macht verleiht. Heute vielleicht nicht mehr den politischen Herrschern – aber mit Sicherheit den großen Firmen, denen wir im Internet fast bereitwillig all unsere Daten zur Verfügung stellen.
- 5) Auch Mentalitäten wachsen: Damit meinen Meller und Michel den Einfluss, den die Geografie auf die Entwicklung der Menschheit gehabt hat. Das Reich von Aunjetitz konnte entstehen, weil die mitteldeutsche Geografie seine Entstehung erlaubte. Hier waren die Bedingungen für die Entwicklung einer Hochkultur geeignet. Und es war deswegen eine andere Hochkultur als die in Ägypten oder Mesopotamien, weil die Geografie eine andere war. Dort mussten gewaltige Anstrengungen unternommen werden, um die Wüste lebensfreundlich zu machen. Und man konnte nicht so einfach auswandern, weil der Raum durch Wüste und Meer begrenzt war. In Europa war es anders; hier konnte das Individuum viel leichter Entscheidungen treffen. Die Geografie ist, so Meller und Michel, auch zum Teil für die unterschiedlichen gesellschaftlichen Konventionen verantwortlich, die wir heute noch beobachten können.
- 6) Despotie ist nicht unser Schicksal: Die Himmelsscheibe ist einem frühen Staatswesen entstanden; es gab hierarchische Strukture mit einer herrschenden Elite. Wir nennen so etwas “Hochkultur”, aber für das Volk hat es sich eher wie eine despotische Diktatur angefühlt. Außerhalb dieser Staaten, in “primitiven” Häuptlingstümern war das Leben für das Individuum vermutlich angenehmer. “Das Wohlergehen eines Volkes darf nicht verwechselt werden mit der Macht seiner Herrscher”, schreiben Meller und Michel.
- 7) Schrift ist nicht alles: Die Schrift hat sich vor allem in den Hochkulturen als erstes entwickelt, in denen die Machthaber sehr viele Menschen unter Kontrolle halten mussten, um etwa die Bewässerungsanlagen in Ägypten am Laufen zu halten. Das braucht Struktur und Organisation und das geht mit einer Schrift einfacher. Schrift begünstigt die Ausbeutung des Menschen, wird Claude Lévi-Strauss im Buch zitiert (und tatsächlich hat sich auch in Europa die Schrift dann durchgesetzt, als das Christentum im Mittelalter begann die Menschen zu dominieren). Im landwirtschaftlich besser gelegenen Reich von Aunjetitz war dieser Aufwand nicht nötig und damit auch keine Schrift. Aber wie die Himmelsscheibe eindrucksvoll zeigt, ist eine Schrift nicht zwingend notwendig, um eine komplexe Kultur zu errichten.
Die Himmelscheibe hat in den fast 20 Jahren in denen wir von ihrer Existenz wissen jede Menge Informationen über die Vergangenheit preisgegeben. Noch viel mehr Fragen bleiben aber offen. Das hindert uns aber nicht daran, weiter zu suchen. Harald Meller und Kai Michel beenden ihr Buch mit den Worten:
“[Die Himmelsscheibe] ist ein Einzelstück, mit einer ebenso spektakulären wie einzigartigen Biografie. Doch das heißt noch lange nicht, dass es da draußen nicht andere, vielleicht noch viel fantastischere Dinge zu finden gibt. Die Suche geht weiter. Wir können nicht anders.”
Was auf jeden Fall nicht weiter geht ist meine Serie über die Himmelsscheibe. Die hat nun ein Ende. *Affiliate-Links
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