Ich bin immer noch ein wenig im Urlaubsmodus, deswegen werden die Buchempfehlungen im Juli ein wenig kürzer ausfallen. Was nicht heißen soll, dass ich im Juli nichts gelesen hätte; ganz im Gegenteil! Ich habe jede Menge spannende Lektüretipps!
Das Ministerium für die Zukunft
In Romanen, die von der Klimakrise handeln, geht es schnell einmal dystopisch-katastrophal zu, so wie zum Beispiel in “Firewalkers” von Adrian Tchaikovsky, das ich früher schon mal vorgestellt habe. Das ist recht naheliegend, denn der menschengemachte Klimawandel hat ja tatsächlich dystopisches Potenzial. Das Buch “The Ministry for the Future” (auf deutsch: “Das Ministerium für die Zukunft”) von Kim Stanley Robinson spart auch nicht mit Katastrophen; hat aber einen deutlich anderen Fokus. Die “Geschichte” (warum es keine echte Geschichte ist, sag ich gleich) spielt in einer sehr nahen Zukunft; eigentlich in der Gegenwart. Im Jahr 2025 wird Indien von einer beispiellosen Hitzewelle platt gemacht, bei der Millionen Menschen sterben. Mit der eindrucksvoll-grauenhaften Schilderung dieser Katastrophe beginnt das Buch und das Ereignis ist Ausgangspunkt für diverse weitere Erzählungen. Da ist zum Beispiel der Arzt Frank, der die Hitzewelle überlebt und schwerst traumatisiert beschließt, etwas gegen die zu unternehmen, die seiner Meinung nach dafür verantwortlich ist. Oder die “Terror”-Organisation “Children of Kali”, die den Klimaschutz mit sehr unkonventionellen und kriminellen Mitteln bekämpfen will. Da ist Indien selbst, das sich angesichts der Katastrophe dazu entschließt, nicht mehr auf den Rest der Welt warten zu wollen, um etwas gegen die Klimakrise zu unternehmen und ausgehend von einem Geo-Engineering-Projekt das Land rigoros umbaut, um für die Zukunft gerüstet zu sein. Und da ist natürlich das titelgebende “Ministry for the Future”, eine fiktive Organisation die im Rahmen der realen Pariser Klimaverträge eingerichtet wurde. Ihr Ziel: Die Menschen der Zukunft zu repräsentieren und dafür zu sorgen, dass die Klimaschutzmaßnahmen auch umgesetzt werden. Wozu dem Ministerium aber weder die nötige politische Macht, noch die nötigen Mittel bereit gestellt werden…
Ich habe das Buch bis jetzt deswegen nicht “Roman” genannt und die “Geschichte” unter Kommas gesetzt, weil es tatsächlich keine Geschichte im eigentlichen Sinn ist. Es hat schon so etwas wie eine Handlung und Protagonisten. Aber es ist auch durchsetzt von allen möglichen anderen Szenen, Schlaglichtern und Einwürfen zu diversen Themen. Mal erzählt ein Glaziologe von der Forschung in der Antarktis, mal wird von einer Überschwemmung in Los Angeles berichtet; mal gibt eine seltsam antropomorphisierte Vorstellung der Blockchain, und so weiter: Das ganze Ding liest sich irgendwie so, als hätte jemand in der Zukunft einen Haufen Dokumente gefunden, die ein bisschen zusammenhängen, aber nicht völlig. Das bedeutet allerdings nicht, dass “The Ministry for the Future” ein schlechtes Buch ist, ganz im Gegenteil! Es ist ein sehr eindringliches Buch und wenn man es – so wie ich – während der Hochwasserkatastrophe im Juli 2021 liest, dann wird es gleich nochmal ein wenig eindringlicher. Die Welt des Buches ist im Wesentlichen identisch mit der realen Gegenwart. Der Klimawandel ist präsent, wir wissen alle, dass es schlimm werden wird, wenn wir nichts tun und wir tun trotzdem nichts. Robinson hat keine Dystopie geschrieben, aber er schildert eine Welt, in der die Dystopie nie weit entfernt zu sein scheint. Aber ebenso präsent im Buch ist die Hoffnung, es doch noch irgendwie hinzu kriegen und die Protagonisten bemühen sich alle auf ihre ganz spezielle Weise, den Kampf gegen die Klimakrise zu gewinnen. Wie genau, das will ich jetzt nicht spoilern – sondern euch stattdessen die Lektüre ans Herz legen.
Wissenschaftlich streiten
Die Klimakrise spielt auch in “Die kleinste gemeinsame Wirklichkeit: Wahr, falsch, plausibel – die größten Streitfragen wissenschaftlich geprüft” von Mai Thi Nguyen-Kim eine Rolle; es geht aber um etwas viel allgemeineres. Ich bin vermutlich eh der letzte, der dieses Buch bespricht. Aber ich bin erst jetzt dazu gekommen, es zu lesen und kann es – so wie es die diversen anderen Rezensent*innen getan haben – nur empfehlen. Der Untertitel ist meiner Meinung nach ein wenig irreführend: Es ist nicht unbedingt ein Buch, in dem der Reihe nach irgendwelche Mythen widerlegt werden.
Beziehungsweise ist es schon auch so ein Buch. Aber Mai Thi Nguyen-Kim nutzt die wissenschaftliche Prüfung der diversen Streitfragen, um auf sehr verständliche und unterhaltsame Weise zu erklären, wie Wissenschaft funktioniert. Und das tut sie sehr viel besser, als viele andere, die ähnliche Bücher und Texte geschrieben haben. Anderswo wird die Wissenschaft oft auf ein zu hohes Podest gestellt; hier wird deutlich gezeigt, dass auch in der Forschung nicht immer alles perfekt läuft. Auch in der Wissenschaft gibt es Menschen, deren Arbeit kritikwürdig ist. Manchmal ist sie das, weil die Menschen absichtlich etwas vortäuschen wollten; manchmal ist sie es unabsichtlich, weil es schlicht und einfach nicht anders geht. Am Ende geht es aber auch genau darum: Das die Wissenschaft ein enorm komplexes Ding ist, bei dem man immer ganz genau hinschauen muss. Man kann ein Forschungsergebnis nicht einschätzen, wenn man die Methoden nicht kennt, die dabei verwendet worden sind. Um Kontroversen zu verstehen, muss man wissen, wie Wissenschaft zu einem Konsens gelangt. Und so weiter. Wenn Mai Thi Nguyen-Kim über die Legalisierung von Drogen, die Erblichkeit von Intelligenz, Tierversuche, und so weiter schreibt, dann klärt sie dabei tatsächlich die titelgebenden “Streitfragen” (Zumindest so weit das wissenschaftlich möglich ist und man könnte natürlich auch darüber streiten, ob die im Buch versammelten wirklich die “größten Streitfragen” sind) und das alleine würde das Buch schon äußerst informativ und lesenswert machen. Sein wahrer Wert liegt aber in der sehr deutlichen Klarstellung dessen, was Wissenschaft ist und wie sie funktioniert. Das tut Mai Thi Nguyen-Kim auf die gleiche unterhaltsame und erfolgreiche Art, die man von ihren YouTube-Videos kennt. Solltet ihr noch eine Aufforderung brauchen: Lest das Buch! Und wer Zeit und Lust hat: Am 24. November 2021 wird die Autorin (gemeinsam mit dem Team vom Coronavirus-Update-Podcast) in Wien sein und im Rahmen einer Show der Science-Busters den Oberhummer Award für Wissenschaftskommunikation verliehen bekommen (Tickets gibt es hier).
Unsichtbare Frauen
Wer sich einmal so richtig ärgern will, sollte das Buch “Unsichtbare Frauen: Wie eine von Daten beherrschte Welt die Hälfte der Bevölkerung ignoriert” (im Original: “Invisible Women: Exposing Data Bias in a World Designed for Men”) von Caroline Criado Perez lesen. Nicht, weil es ein schlechtes Buch ist. Es ist ein absolout hervorragendes Buch. Aber man kann bei der Lektüre nicht anders, als sich über die Welt zu ärgern, in der wir leben. Und ja, ich weiß: Die Diskriminierung von Frauen ist ein Thema, bei dem gerne mal gestritten wird.
Aber wer denkt, dass Frauen wirklich überall schon längst gleichberechtigt wären, sollte das Buch wirklich lesen. Es mag in den meisten Ländern keine Gesetze mehr geben, die Frauen benachteiligen. Die Welt, die wir uns in den letzten Jahrhunderten eingerichtet haben, tut das aber sehr wohl. Caroline Criado Perez erklärt sehr deutlich mit einer Unmenge an Zahlen und Daten, dass wir die Welt in der Vergangenheit so gut wie immer aus einer männlichen Sicht betrachtet haben. Was zu einer systematischen Benachteiligung von Frauen geführt hat. Das muss nicht mal absichtlich passieren; das macht die Sache aber noch hinterhältiger. Ein Beispiel, aus dem Buch: In der schwedischen Stadt Karlskoga entschloss man sich 2011, alle kommunalen Entscheidungen darauf zu prüfen, ob sie auf irgendeine Art sexistisch und diskriminierend sein könnten. Ok, aber zumindest was die winterliche Schneeräumung angeht, kann man das ja ignorieren, war die Meinung eines der Verantwortlichen. Nun ja. Man hat sich das tatsächlich angesehen und kam zu dem Schluss, dass auch die Schneeräumung sexistisch sein kann. Das liegt daran, dass es eine durchaus unterschiedliche Mobiltät bei Männern und Frauen gibt. Wenn ein Haushalt nur ein Auto hat, dann ist es sehr viel wahrscheinlicher, dass dieses Auto hauptsächlich von Männern benutzt wird. Frauen nehmen dann Rad oder Öffis oder gehen zu Fuß. Ebenso haben Männer statistisch gesehen andere und kürzere Wege: Sie pendeln zum Beispiel einfach in die nächstgrößere Stadt, arbeiten dort und fahren wieder zurück. Frauen, die immer noch hauptsächlich für die Care-Arbeit zuständig sind, haben es komplexer: Sie bringen Kinder in die Schule, kaufen ein, holen Kinder ab, bringen ältere Verwandte zu medizinischen Behandlungen, liefern Kinder bei irgendwelchen Hobbies ab, und so weiter. Zurück zum Schnee: Wenn der fällt, dann werden im Allgemeinen zuerst einmal die “wichtigen” Straßen geräumt; Rad- und Fußwege haben eine niedrigere Priorität. Das heißt, dass die Schneeräumung die typische Mobilität der Männer erleichtert und die der Frauen erschwert. Das ist nur eine kleine Episode, über die man sich auch gut lächerlich machen kann (die aber gar nicht lächerlich ist; als man die Schneeräumung entsprechend angepasst hatte, zeigte sich, dass es weniger Unfälle im Winter und weniger Behandlungskosten gab). Es ist aber nur eines von unzähligen Beispielen: Egal ob es um Medizin geht, um Kultur, um Architektur, um Stadtplanung – überall wurden und werden Daten vor allem und immer noch hauptsächlich von Männern erhoben; Entscheidungen wurden und werden von Männern getroffen und die Welt die daraus erwächst kann gar nicht anders, als diskriminierend zu sein. Und bevor jetzt jemand kommt und erzählt, dass das ja alles gar nicht so schlimm sein kann und die Frauen sich nicht so anstellen sollen: Lest doch bitte zuerst das Buch. Lest es alle, es ist wirklich gut. Ich zitiere wirklich noch zum Schluss aus der Begründung der Jury bei der Verleihung des NDR-Sachbuchpreis 2020: “Es geht um vermeintlich banale Dinge, die jedoch Frauen auf der ganzen Welt benachteiligen: etwa das Fehlen von sicheren Herden in Küchen, der mangelnde Zugang zu Toiletten, die Temperatur in Büroräumen, die Erprobung von Medikamenten vorwiegend an Männern. Das Buch von Caroline Criado-Perez enthält viele Daten und ist gleichwohl ein Pageturner.”
Eichhörnchen
Seit letztem Jahr habe ich Eichhörnchen. Oder besser gesagt, ich habe sie nicht, aber sie kommen regelmäßig zu mir zu Besuch. Angefangen hat alles mit einem Vogelhäuschen, das ich im Winter in meinem Garten aufgestellt habe. Nachdem sich dort anfangs kaum ein Vogel blicken hat lassen, war schnell ein ziemlicher Betrieb. Ich fand und finde es super, die verschiedenen Vögel zu beobachten, die im Laufe der Zeit vorbei kommen. Irgendwann ist dann auch mal ein Eichhörnchen durch den Garten gehuscht. Zuerst noch sehr zurückhaltend, dann aber immer mutiger. An das Vogelhaus hat es sich anfangs noch nicht getraut, irgendwann dann aber doch versucht, dort rauf zu klettern. Was es auch geschafft hat und sehr erfreut über die Sonnenblumenkerne war. Sehr schnell ist es dann regelmäßig zum Fressen gekommen und mittlerweile hat es seine eigene Box mit Nüssen. Aus dem einen Hörnchen sind im Laufe der Zeit drei geworden, die mehrmals täglich auf Nusssuche in meinem Garten gehen und scheu sind sie fast gar nicht mehr. Jetzt im Sommer frühstücken wir meistens sogar gemeinsam im Garten; die Menschen, die da rumsitzen und essen scheinen die Hörnchen gar nicht zu stören.
Man kann ja auch fast nicht anders, als die Eichhörnchen niedlich zu finden. Dass sie aber nicht nur niedlich sind, sondern auch höchst interessant (und auch ihre Niedlichkeit spannende wissenschaftliche Ursachen hat), kann man in dem hervorragenden Buch “Das Leben der Eichhörnchen” des Biologen Josef Reichholf nachlesen. In dem kleinen Band erfährt man, warum die Hörnchen so aussehen, wie sie aussehen (obwohl sie eigentlich sehr eng verwandt mit den Ratten sind, die wir meistens eher Bäh finden). Reichholf erklärt, warum Walnüsse zu ihrer bevorzugten Nahrung gehören, obwohl die Schale so schwer aufzunagen ist, wie die Tiere ihre Nester bauen, ihr Leben leben und warum sie sich in den Städten oft viel wohler fühlen als im Wand. Das Buch ist kurz, aber trotzdem enorm informativ. Es geht nicht nur um die Hörnchen selbst, sondern auch um die Ökologie ihres Lebensraums, ihre Verwandtschaft mit anderen Tieren und noch viel mehr. Wer Eichhörnchen nicht sowieso schon mochte, wird das spätestens nach diesem Buch tun!
Was ich sonst noch gelesen habe:
- “The Book of Dust 2: The Secret Commonwealth von Philip Pullman: Ich habe im Juni schon ausführlicher über Teil der “Book of Dust”-Serie berichtet und jetzt auch den zweiten Teil gelesen. Da er nicht viel Sinn ergibt, wenn man Teil 1 nicht gelesen hat, erspare ich mir die genauere Besprechung. Wer Teil 1 gut fand, wird Teil 2 lesen wollen. Ich finde beide Bücher gut.
- “Redshirts” (im Original “Redshirts”) von John Scalzi ist ein Klassiker, den ich gerne ein zweites Mal gelesen habe. “Redshirts” sind im Jargon der Star-Trek-Fans die armen und meist namenlosen Typen, die mit Captain Kirk & Co irgendwelche Missionen absolvieren müssen und dabei ziemlich schnell draufgehen. In Scalzis Buch geht es um eine Gruppe solcher Redshirts die auf einem Raumschiff ihren Dienst versehen und feststellen, dass dort nicht nur sehr seltsame Dinge abgehen, sondern sie dabei nicht nur immer die Blöden sind, sondern auch sehr große Chancen haben, zu sterben. Also probieren sie, der Sache auf den Grund zu gehen. “Redshirts” ist sehr amüsante Science-Fiction, eine witzige Parodie auf Star Trek und auch wenn die Handlung das eine oder andere Logikloch hat, durch das eine ganze Raumstation passen würde, lohnt sich die Lektüre auf jeden Fall!
- “Seveneves” (auf deutsch: “Amalthea”) von Neil Stephenson habe ich 2015 schon einmal gelesen und empfohlen und kann dem eigentlich nichts hinzufügen. “Der Mond explodierte ohne Warnung und ohne ersichtlichen Grund.” Ein Buch, das mit diesem Satz anfängt, verspricht interessant zu werden. Was es auch tut.
- “Anathem” (auf deutsch: “Anathema”) von Neil Stephenson habe ich zuvor auch schon zweimal gelesen; die dritte Lektüre hat aber immer noch sehr viel Spaß gemacht. Es ist eine sehr originelle Version des “Multiversums”-Themas in der Science Fiction. Und die Welt der “Wissenschaftsmönche” finde ich immer noch enorm faszinierend…
- “Outland” (auf deutsch: “Outland: Der geheime Planet”) von Dennis Taylor ist nette Urlaubslektüre, aber nicht vergleichbar mit der “Bobiverse”-Serie, die ich hier besprochen habe. Eine Gruppe Nerds erfindet ein Portal, mit dem man in parallele Welten reisen kann. Die Idee ist nicht neu (und tatsächlich erinnern noch sehr viel mehr Handlungselemente an die “Long Earth”-Serie von Terry Pratchett und Stephen Baxter), aber sie ist unterhaltsam umgesetzt. Aber auch wenig dünn und – abseits der Sci-Fi-Physik – hat auch die Handlung die eine oder andere Lücke. Aber für ein paar nette Stunden am Strand reicht es allemal!
Das wars für den Juli. Und für den August hab ich auch schon einen vielversprechenden Stapel!
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