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Sternengeschichten Folge 500: Astronomia Nova – eine neue Astronomie
Astronomie ist eine der ältesten Beschäftigungen der Menschheit. Wir haben immer schon zum Nachthimmel geschaut und versucht uns vorzustellen, was da wohl passieren mag mit all den Lichtpunkten. Die moderne, wissenschaftliche Astronomie ist aber jünger. Man kann sie zu verschiedenen Zeitpunkten beginnen lassen; im späten 19. oder frühen 20. Jahrhundert, als wir angefangen haben zu verstehen, wie Atome funktionieren und was es mit der Raumzeit auf sich hat. Und damit endlich die Sterne nicht nur beobachten konnten, sondern auch herausfinden, aus was sie bestehen und wie sie funktionieren. Oder wir lassen die moderne Astronomie ein wenig früher anfangen, im 18. oder 19. Jahrhundert, als man erste Versuche mit astronomischer Fotografie gemacht hat. Aber ein wirklicher Wendepunkt hat im frühen 17. Jahrhundert stattgefunden. Im Jahr 1609 hat Galileo Galilei als erster Forscher ein Teleskop zum Himmel gerichtet und dort Dinge entdeckt, die noch nie jemand zuvor gesehen hat. Mit seinen Beobachtungen konnte er zeigen, dass es tatsächlich die Erde ist, die sich um die Sonne bewegt, so wie Kopernikus das ein paar Jahrzehnte zuvor behauptet hat. Im gleichen Jahr 1609 wurde aber auch ein Buch veröffentlicht, dass man ohne viel Übertreibung als absolut weltbewegend bezeichnen kann und auf dem die gesamte moderne Astronomie seitdem ruht. Geschrieben hat es Johannes Kepler und sein Titel ist “Astronomia Nova”.
Das Leben und das Werk von Kepler ist definitiv eine oder mehrere Folgen der Sternengeschichten wert; aber heute soll es allein um sein Buch gehen. Und “Astronomia Nova” ist nur der kurze Titel. Damals waren die Titel der Bücher noch etwas länger und der volle Titel lautet: “Astronomia Nova: Neue, ursächlich begründete Astronomie oder Physik des Himmels. Dargestellt in Untersuchungen über die Bewegungen des Sternes Mars. Aufgrund der Beobachtungen des Edelmannes Tycho Brahe. Auf Geheiß und Kosten Rudolphs II. Römischer Kaiser usw. In mehrjährigem, beharrlichem Studium ausgearbeitet zu Prag von Sr. Heil. Kais. Maj. Mathematiker Johannes Kepler.”
Der Titel “Astronomia Nova”, die “Neue Astronomie” ist dabei definitiv nicht zu tief gestapelt. Das, was Kepler da in 70 langen Kapiteln auf sehr vielen Seiten über Jahre hinweg aufgeschrieben hat, ist tatsächlich eine neue Astronomie. Es war der Durchbruch im Verständnis, mit dem die Astronomie ihren antiken Wurzeln entwachsen und zu einer modernen Naturwissenschaft werden konnte. Die Astronomia Nova ist ohne Zweifel eines der wichtigsten Bücher der Wissenschaftsgeschichte; eines der wichtigsten Bücher überhaupt. Aber wenn man es heute, über 400 Jahre später liest, dann kommt es einem ein wenig komisch vor. Es enthält durchaus revolutionäres Wissen. Aber die äußere Form unterscheidet sich massiv von dem, was wir heute von wissenschaftlichen Veröffentlichungen gewohnt sind.
Das fängt schon mit dem Anfang an, nämlich so: “Erhabenster Herrscher! Dem durchlauchtigstem Namen Ew. Heil. Kais. Majestät, sowie des ganzen Hauses Österreich Heil und Segen! Auf Geheiß Ew. Majestät führe ich endlich einmal den hochedlen Gefangenen zur öffentlichen Schaustellung vor, dessen ich mich schon vor einiger Zeit unter dem Oberbefehl Ew. Majestät in einem beschwerlichen und mühevollen Krieg bemächtigt habe.”
Ok, auch heute bedankt man sich noch bei den Organisationen die das Geld für die Forschung zur Verfügung gestellt haben. Aber eher in einer Fußnote und nicht mit so einem extremem Lob, wie bei Kepler. Aber wie gesagt, damals waren die Zeiten noch anders und Kepler war ja der Hofmathematiker von Kaiser Rudolf II. in Prag. Und mit einem Kaiser muss man vermutlich ein wenig anders umgehen. Ebenfalls außergewöhnlich ist die sehr blumige Zusammenfassung der Arbeit. Der “hochedle Gefangene” den Kepler in “mühevollen Krieg” besiegt hat und nun dem Kaiser vorführt ist nämlich der Planet Mars. Es ging darum, die Bewegung unseres Nachbarplaneten zu beschreiben und das hat Kepler in seiner Arbeit geschafft. Aber so nüchtern wie man das heute in einer wissenschaftlichen Arbeit schreiben würde, hat man das damals halt nicht gemacht. Deswegen entwirft Kepler ein paar Seiten lang eine dramatische Erzählung vom mächtigen Mars, der sich immer und immer wieder dem Verständnis entzogen hat. Beziehungsweise der “aller Machenschaften der Astronomen spottete, ihre Werkzeuge zertrümmerte, die feindlichen Truppen niederschlug”, wie Kepler schreibt. In dem Tonfall geht es weiter; Kepler erzählt von Astronomen, die angeblich Dämonen beschwört hätten, um den Mars zu verstehen. Aber Kepler hat es geschafft, Kepler hat den Mars bezwungen, dank der Hilfe des edlen Kaisers und dem wird der Gefangene nun vorgeführt. Oder, ohne das ganze Gerede vom Krieg: Kepler, der Hofmathematiker von Rudolf II hat nun endlich seine jahrelange Rechenarbeit beendet, die Regeln der Bewegung der Himmelskörper formuliert und legt das fertige Werk nun seinem Chef und Förderer zur Begutachtung vor. Allein über diese Einleitung könnte man noch sehr lange reden, sie ist voll mit seltsamen Geschichten und Formulierungen. Aber wir wollen ja zur Wissenschaft und deswegen beschränke ich mich auf den Abschluss. Kepler braucht, wie alle Forscherinnen und Forscher immer schon, mehr Geld für seine Arbeit. Aber einfach zu sagen “Hey Kaiser, wie wärs mit ein bisschen Gold?” wäre vermutlich keine gute Idee. Kepler will auch gerne die anderen Planeten erforschen. Und bittet den Kaiser daher, auch noch Geld für den Krieg gegen die Familie des Mars bereit zu stellen: “Ew. Majestät: Er besitzt in den Ätherregionen viele Verwandte (Jupiter ist sein Vater, Saturn sein Großvater, Venus seine Schwester und zugleich seine Freundin, sowie schon früher sein besonderer Trost, als er in Fesseln lag, Merkur sein Bruder und treuer Unterhändler). Wegen der Übereinstimmung in der Lebensart trägt er nach ihnen und sie nach ihm großes Verlangen. Darum möchte er wünschen, daß sie wie er in Verkehr mit den Menschen treten und gleichfalls der Ehre, die im angetan wird, teilhaftig werden. Darum wolle Ew. Majestät ihm so bald als möglich seine Gefährten wiedergeben, indem der Feldzug, der nach seiner Unterwerfung weiter keine Gefahr mehr birgt, vollends entschlossen zu Ende geführt wird. Hierzu biete ich (wohlgeübt im Kampf mit dem Streitbarsten und des Geländes kundig) meine nicht unnützen und ebenso wie treuen Dienste bereitwillig an, wobei ich Ew. Kais. Majestät einzig bitte und beschwöre (…) den Schatzmeistern zu befehlen, sie mögen an den Lebensnerv des Krieges denken und mir von neuem Geld zur Werbung von Soldaten zur Verfügung stellen.”
Vielleicht sollte man mal probieren, auf diese Weise auch heute Förderanträge zu stellen…
Aber schauen wir jetzt mal auf das, was Kepler im Rest des Buches geschrieben hat. Wenn man durch die Astronomia Nova blättert, dann findet man sehr viele geometrische Diagramme. Das ist nicht verwunderlich, immerhin geht es ja um die Frage der Bewegung der Himmelskörper und da kann man jede Menge Diagramme zeichnen. Was man in dem Buch aber nicht findet, sind mathematische Gleichungen. Was daran liegt, dass Naturwissenschaft damals eben noch völlig anders funktioniert hat. Natürlich gab es auch damals schon Mathematik. Aber die moderne mathematische Notation, mit den ganzen x, y, = und so weiter ist noch recht jung. Das Gleichheitszeichen zum Beispiel wurde überhaupt erst 1557 das erste Mal im heutigen mathematischen Sinn in einem Buch benutzt und es hat lange gedauert, bis es sich überall durchgesetzt hat. Kepler jedenfalls hat sein Buch so geschrieben, wie man damals über Astronomie geschrieben hat: Vor allem geometrisch, mit Diagrammen und mit Beschreibungen dieser Diagramme. Das macht die Lektüre aus heutige Sicht SEHR mühsam. Hier ist ein Beispiel: “Um diese Untersuchung durchzuführen, addiere man die bekannten Winkel GAD und DAE, um GAE zu bekommen. Im Dreieck GAE bestimme man aus diesem Winkel und den Seiten GA und AE die Seite GE. Im Dreieck GFE nun ist der Winkel GFE Peripheriewinkel; also ist der Zentriwinkel GBE doppelt so groß wie jener. Der Winkel GFE aber wurde vorher schon durch seine beiden Teile GFA und AFE ermittelt”. Und so weiter, das geht so seitenweise… und im Original natürlich auf Latein und nicht auf Deutsch. Dass das auch damals nicht leicht zu lesen war, wusste Kepler selbst auch. In der Einleitung zur Astronomia Nova schreibt er: “Es ist heutzutage ein hartes Los, mathematische Bücher zu schreiben. Wahrt man nicht die gehörige Feinheit in den Sätzen, Erläuterungen, Beweisen und Schlüssen, so ist das Buch kein mathematisches. Wahrt man sie aber, so wird die Lektüre sehr beschwerlich, besonders in der lateinischen Sprache (…). Daher gibt es heute nur sehr wenig tüchtige Leser; die übrigen lehnen die Lektüre überhaupt ab. (…) Ich selber, der ich als Mathematiker gelte, ermüde beim Wiederlesen meines Werkes mit den Kräften meines Gehirns”.
Und wenn schon Kepler selbst müde wird, wenn er sein eigenes Buch liest, dann kann man sich vorstellen, wie anstrengend es für die anderen sein muss und wie anstrengend es sein muss, wenn man probiert, dieses Buch heute zu lesen. Man sollte aber zumindest eine Ahnung davon, was drin steht. Denn das ist, wie gesagt, revolutionär.
Um zu verstehen warum das so ist, müssen wir zuvor noch einmal kurz schauen, wie man vor Kepler auf den Himmel geschaut und sich die Dinge vorgestellt hat. Und zwar wirklich sehr kurz, denn wir müssen in der griechischen Antike anfangen. Damals war man fest davon überzeugt, dass sich die Planeten nicht anders bewegen KÖNNEN als entlang von Kreisbahnen. Der Kreis ist die perfekte Form und die himmlischen Objekte müssen sich bei ihrer Bewegung an dieser perfekten Form orientieren. Dass das nicht ganz zu dem passt, was man beobachtet, war den Leuten damals auch schon klar. Denn wenn die Planeten sich auf perfekten Kreisen um die Erde herum bewegen, dann müssten sie sich auch immer gleich schnell bewegen und das haben sie nicht getan. Aber man hat das einfach ein wenig modifiziert. Dafür gibt es zwei Möglichkeiten: Entweder man betrachtet die Bewegung der Planeten als Kombination von kreisförmigen Bewegungen. Das sind die berühmten Epizykeln, also Kreise, deren Mittelpunkt sich selbst wieder entlang eines Kreises bewegt, um die Erde herum. Man kann das aber auch anders lösen und zwar, in dem man den Planeten sich entlang eines Kreises bewegen lässt, dessen Mittelpunkt aber nicht exakt dort ist wo sich die Erde befindet sondern ein bisschen daneben. So oder so kriegt man, von der Erde aus betrachtet, einen Planeten, der sich mal ein wenig schneller und mal ein wenig langsamer bewegt.
Nikolaus Kopernikus hat dieses geozentrische Weltbild bekanntlich dramatisch auf den Kopf gestellt und anstatt der Erde die Sonne in den Mittelpunkt gesetzt. Was aber nicht ganz stimmt, denn auch er hatte Probleme, die Bewegung der Planeten, jetzt um die Sonne herum, passend zu den Beobachtungen zu beschreiben. Also schob auch er den Mittelpunkt seiner Kreise ein wenig von dem Ort fort an dem sich die Sonne befindet und ließ sie eine sogenannte “mittlere Sonne” umkreisen und nicht die reale Sonne. Epizykel brauchte er darüber hinaus auch noch, aber das ist wieder eine ganz andere Geschichte.
Kepler fand das nicht gut. Wieso sollen die Planeten einen fiktiven Punkt im All umkreisen, einen Punkt, der nur mathematisch definiert ist, an dem sich aber nichts befindet? Das erschien ihm nicht richtig. Ausgestattet mit den Beobachtungsdaten seines Lehrers, dem Astronom Tycho Brahe, hat er sich also im Jahr 1600 daran gemacht, der Sache auf den Grund zu gehen. Er hat sich dabei insbesondere auf die Beobachtungsdaten zum Mars konzentriert. Und war dabei ziemlich kreativ. Damals wusste man ja nicht, wie groß die Planeten sind. Welche Masse sie haben. Wie weit sie entfernt sind. Und so weiter. Aber Kepler wusste, wie Mars und Erde im Verhältnis zueinander und zur Sonne am Himmel standen. Und hat sich zuerst einmal nur die Tage ausgesucht, an denen Mars, in Bezug auf die Sonne, am gleichen Punkt des Himmels war. Die Erde stand an diesen Tagen aber in Bezug auf Mars und Sonne mal hier und mal dort. Die konkrete Mathematik dahinter war natürlich sehr knifflig, aber damit hat er es geschafft, eine gute Idee davon zu kriegen, wie sich die Erde um die Sonne bewegt. Damit konnte er jetzt die ganzen Beobachtungdaten zum Mars neu und genauer auswerten und jetzt endlich auch die Marsbahn viel besser bestimmen. Und was ich jetzt in ein paar Sätzen beschrieben habe, war in Wahrheit die Arbeit vieler Jahre, von der man in der Astronomie Nova lesen kann.
Manchmal klingt dieses Werk eher wie ein Tagebuch, in dem Kepler seine Fortschritte und Fehlschläge aufgezeichnet hat (was es ein weiteres Mal nicht leicht zu lesen macht). Aber man kann auf jeden Fall mal zwei grundlegende Ideen festhalten, an denen Kepler sich orientiert hat: Erstens ging er, wie gesagt, davon aus, dass alle Himmelskörper sich um die reale Sonne bewegen und nicht um einen fiktiven, leeren Punkt im All. Und zweitens sollten sich alle Planeten auf die gleiche Weise um die Sonne bewegen. Aber es war immer noch langer Weg bis zum Ziel.
Kapitel 39 der Astronomia Nova trägt den Titel “Auf welchem Weg und mit welchen Mitteln die Eigenkräfte der Planeten die Bewegung erzeugen müssen, damit die Bahn des Planeten im Ätherraum, wie allgemein angenommen, kreisförmig wird”. Darin legt Kepler dar, dass es irgendwie nie so richtig hinhaut, wenn man probiert die Bahn der Planeten mit Epizyklen, verschobenen Kreismittelpunkten und so weiter zu erklären. Stattdessen passt es besser, wenn man den Kreis ganz sein lässt, wie er dann später in Kapitel 44 ausführt. Dort schreibt Kepler: “Die Sache liegt daher einfach so: Die Planetenbahn ist kein Kreis; sie geht auf beiden Seiten allmählich herein und dann wieder bis zum Umfang des Kreises im Perigäum heraus. Eine solche Bahnform nennt man ein Oval”.
Kein Kreis! Das ist wichtig und richtig. Nicht richtig ist Keplers Idee einer ovalen Bahn. Kepler rechnet in den nächsten Kapitel lange herum und kommt immer noch nicht zu einem richtig zufriedenstellenden Ergebnis. Er vermutet schon, dass die Bahn vielleicht eine Ellipse sein könnte, verwirft den Gedanken aber dann wieder. In Kapitel 56 aber stellt er dann fest, dass er auf der falschen Fährte war. Und braucht bis Kapitel 58 für die Erkenntnis: “Wozu soll ich viele Worte machen? Die Wahrheit der Natur, die verstoßen und verjagt worden war, kam heimlich zur Hintertür wieder herein und wurde unter fremden Gewand von mir aufgenommen.” Diese “Wahrheit der Natur” war die Ellipse und Kepler ärgert sich ordentlich, das nicht früher bemerkt zu haben: “Oh ich närrischer Kauz! Wie wenn die Schwankungen auf dem Durchmesser uns nicht gerade auf die Ellipse hinühren konnte! So hat mich die Einsicht nicht wenig gekostet, dass die Ellipse neben der Schwankung bestehen kann, wie sich in den folgenden Kapiteln zeigen wird. Daselbst wird auch der Beweis geführt werden, daß für den Planet keine andere Bahnfigur übrig bleibt als eine vollkommene Ellipse.”
Und das tut Kepler dann auch. Womit er nach sehr vielen Kapiteln und sehr vielen Seiten die ersten beiden seiner berühmten drei Keplerschen Gesetze formuliert hat: 1) Planeten bewegen sich auf elliptischen Bahnen um die Sonne herum. Und 2) Eine von der Sonne zum Planeten gezogene Linie überstreicht in gleichen Zeiten gleich große Flächen. An der Formulierung des zweiten Gesetzes merkt man übrigens noch sehr gut die stark geometrische Ausrichtung von Keplers Arbeit. Auf die Sache mit der Ellipse ist er ja gekommen, weil er nicht verstanden hat, wie er das, was diese Verbindungslinie zwischen Planet und Sonne im Laufe der Zeit treibt erklären kann, wenn man von einer kreisförmigen oder ovalen Umlaufbahn ausgeht. Erst als er die Bewegung dieser Linie vernünftig beschreiben konnte, konnte er auch auf die Ellipse kommen. Woraus folgt, dass Kepler sein zweites Gesetz vor dem ersten gefunden hat. Und das dritte über das Verhältnis der Umlaufzeiten von Planeten und ihrem Abstand zur Sonne kam überhaupt erst Jahre später in einem ganz anderen Buch.
Was Kepler in seinem revolutionären Werk nicht geschafft hat, war die Ursache für die Bewegung der Planeten zu verstehen. Er spekuliert in vielen Kapiteln darüber, was dafür sorgt, dass die Himmelskörper sich bewegen. Er ist auch schon so weit, um diese Kraft in der Sonne zu verorten: “Da also die Sonne in dem Mittelpunkt des Systems liegt, befindet sich nach dem, was bereits bewiesen wurde, die Quelle der bewegenden Kraft in der Sonne.” schreibt er in Kapitel 33 und führt weiter aus: “[W]ie das Licht, das alles auf Erden erleuchtet, eine immaterielle Spezies jenes Feuers ist, das sich im Sonnenkörper befindet, so [ist] diese Kraft, die die Planetenkörper erfaßt und fortträgt, eine Spezies jener Kraft, die in der Sonne selber ihren Sitz hat und von unermeßlicher Stärke ist und so den ersten Anstoß zu jeder Bewegung in der Welt gibt”. Er stellt noch weitere Vermutungen zu dieser Kraft an, kommt aber zu keinem endgültigen Ergebnis. Dabei würde in seinen Gesetzen der Planetenbewegung eigentlich schon alles stecken was man braucht, um das Gravitationsgesetz daraus abzuleiten. Das ist aber erst gut 60 Jahre später Isaac Newton gelungen. Man stelle sich vor, Johannes Kepler hätte auch das noch geschafft – dann wäre er vermutlich endgültig zum größten Wissenschaftler aller Zeiten geworden.
Aber das, was Kepler geschafft hat, war ja auch nicht Nichts. Ganz im Gegenteil. Er hat tatsächlich eine neue Astronomie geschaffen. Er konnte die Bewegung der Planeten erklären; hat das antike Dogma der Kreisbahnen gestürzt. Die Griechen gingen davon aus, es wäre klar, wie sich die Planeten bewegen müssen, und man müsse nur noch den richtigen Weg finden, die passende Mathematik zu finden, die das auch so beschreibt, wie sie es sich vorstellen. Kepler hat gezeigt, dass man sich an der Natur orientieren muss. Und dann mit Mathematik aus den Beobachtungen die passende Gesetze ableiten kann. Er hat die Grundlage gelegt, damit die Astronomie die Wissenschaft werden konnte, die sie heute ist. Und war sich durchaus bewusst, dass es nicht immer leicht ist, das Universum zu verstehen. Am Ende seines Kapitels 59 schreibt er: “Wenn jemand meint, die vorstehende Untersuchung sei deshalb schwer verständlich, weil meine Denkweise verworren ist, so gestehe ich eine Schuld meinerseits insofern ein, als ich diese Dinge nicht unberührt lassen wollte, ob gleich sie sehr schwer verständlich […] sind. Im übrigen möchte ich den Betreffenden, was den Stoff anlangt, bitten, er möge die Kegelschnitte des Apollonius lesen. Da wird er sehen, daß es Stoffe gibt, die durch keine noch so glückliche Denkweise so dargeboten werden, daß man sie beim flüchtigen Lesen versteht. Man muß viel nachdenken und das Gesagt immer und immer wiederholen”.
Genau. Und wenn einer wirklich viel nachgedacht hat, dann Johannes Kepler. Das Resultat war eine Neue Astronomie.
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