Nachdem meine Serie über die neuen Klimamythen mit dem immer wieder auftauchenden Scheinargument des Bevölkerungswachstums gestartet ist, kommt nun eines der am heftigsten diskutierten Themen an die Reihe: Kernkraft!
Wenn es um die Atomkraft geht, dann kann man eigentlich nur verlieren. Jede Diskussion darüber gleitet meistens sofort in ideologische Grabenkämpfe ab. Wer die Nutzung der Atomkraft und den Betrieb von Kernkraftwerken nicht ausreichend heftig und kompromisslos ablehnt, sieht sich mit der unversöhnlichen Ablehnung der Umweltschutzbewegung konfrontiert. Und wer dagegen behauptet, Kernkraft wäre gefährlich und würde uns bei der Bewältigung der Klimakrise nicht weiter bringen, muss mit heftiger Kritik aus Teilen der Wissenschaft und der sogenannten “Skeptiker”-Szene rechnen. Es ist also eine verfahrene Sache; da der Themenkomplex aber definitiv Teil der Beschäftigung mit den neuen Mythen und Scheinargumenten zur Klimakrise ist, muss ich wohl auch in meiner Serie darüber reden.
Ich schicke aber ein paar Bemerkungen voraus: 1) Es ist definitiv nicht möglich, ALLE relevanten Argumente und Punkte in einem einzelnen Artikel zu behandeln. Da müsste man schon ein Buch schreiben oder eine Doktorarbeit. Es ist also durchaus möglich, dass ihr beim Lesen dieses Textes den einen oder anderen Punkt vermisst, der aus eurer Sicht enorm wichtig ist. Das heißt nicht, dass ich darüber nicht Bescheid weiß (obwohl es das durchaus auch heißen kann). Ihr könnt das dann aber gerne in den Kommentaren ansprechen und dort darüber diskutieren. Aber dann gilt 2): Seid bitte so nett, und lest zuerst den ganzen Artikel, bevor ihr kommentiert. Seid auch so nett, und fangt nicht gleich mit Beleidigungen, persönlichen Angriffen, und so weiter an. Auch wenn es schwer fällt: Das Thema lässt sich vernünftig diskutieren, also probieren wir das doch.
Legen wir also los. Die oft gehörte Behauptung lautet: “Wenn wir unsere Energie durch Kernkraft erzeugen, dann wird dabei sehr viel weniger CO2 freigesetzt als bei der Nutzung von fossilen Brennstoffen. Außerdem sind Kernkraftwerke lange nicht so gefährlich, wie immer getan wird. Sie sind also ein guter Weg, um die Treibhausgasemissionen schnell zu reduzieren und genau das ist nötig, wenn wir den Klimawandel in den Griff kriegen wollen. Anstatt Kernkraftwerke abzuschalten, sollten wir sie lieber ausbauen.”
Und es stimmt durchaus: Im Vergleich mit etwa Kohlekraftwerken ist so ein Kernkraftwerk deutlich emissionsärmer. Allerdings nicht emissionsärmer als Sonnen- oder Windenergie (wer genau Bescheid wissen will, kann jede Menge Zahlen in Annex III des 5. Sachstandsberichts (WG3) des IPCC nachlesen). Damit ist die Sache aber noch lange nicht geklärt. Denn es geht ja nicht nur um das CO2, das direkt bei der Stromproduktion erzeugt wird. Sondern auch um all das, was nötig ist, damit so ein Kernkraftwerk überhaupt Strom produzieren kann. Man muss es bauen, man muss die Brennelemente herstellen, man muss das Uran für die Kernspaltung fördern und aufbereiten, man muss das Kraftwerk nach Ende der Laufzeit wieder zurückbauen und schließlich den radioaktiven Müll auch noch sehr lange sicher lagern. Das alles korrekt einzuschätzen ist schwer und deswegen schwanken die veröffentlichen Zahlen zu den insgesamten CO2-Emissionen auch sehr stark.
Gehen wir aber mal davon aus, dass Kernkraftwerke wirklich ähnlich klimafreundlich sind, wie Sonnen- und Windenergie. Sollten wir sie dann nicht intensiv nutzen, um den Klimawandel zu stoppen? So einfach ist es leider nicht. Denn Kernkraft mag zwar klimafreundlich sein, erneuerbar und nachhaltig ist sie aber definitiv nicht. Als Rohstoff ist Uran notwendig und das ist nicht in beliebigen Mengen verfügbar. Auch hier schwanken die Angaben der noch für uns verfügbaren Menge. Das Uran reicht noch für 20 Jahre – oder vielleicht auch für 200 Jahre. Es kommt darauf an, wie viel wir davon verbrauchen; wie der Preis steigt und wie wirtschaftlich es ist, es abzubauen (ganz zu schweigen davon, dass Uran nicht immer in den politisch stabilsten Weltgegenden und auch nicht sonderlich umweltfreundlich abgebaut wird).
Auf jeden Fall aber ist klar, dass die Kernkraft nur eine Übergangstechnologie sein kann. Langfristig werden wir unseren Energiebedarf nicht dadurch stillen können und das wäre ein Grund, gleich auf die ebenso klimafreundlichen und nachhaltigen Technologien von Solar- und Windkraft zu setzen. Kurzfristig müssen wir uns aber mit der Klimakrise beschäftigen und für “kurzfristig” reicht das Uran auf jeden Fall noch. Dann sehen wir uns aber gleich dem nächsten Problem gegenüber: Ein Kernkraftwerk zu bauen dauert lange! Das kann man nicht mal eben in ein paar Monaten hochziehen und auf die grüne Wiese stellen. Man muss soziale und politische Entscheidungen treffen (dazu mehr später) und der Bau ist teuer und kompliziert. Es dauert im Durschnitt ein Jahrzehnt bis ein Kraftwerk betriebsbereit ist (siehe Tabelle 2 des World Nuclear Industry Status Report 2020), aber sehr oft auch sehr, sehr viel länger. Und die ganze politische Vorarbeit um mit dem Bau zu beginnen, ist da noch gar nicht mitgerechnet. Diese Zeit haben wir nicht! Wenn neue Kernkraftwerke erst in 15 bis 20 Jahren ans Netz gehen, dann hilft uns das nicht bei der Klimakrise. Da müssen wir jetzt aktiv werden.
Es mag sein, dass kleinere Kernkraftwerke technisch möglich sind; Kraftwerke die effizienter sind oder andere Rohstoffe als Uran verwenden können. Am Ende läuft es aber darauf hinaus, dass neue Kernkrafttechnologie zu spät kommen wird um die Klimakrise zu lösen und – vorausgesetzt wir kriegen das mit dem Klimawandel hin – danach nicht mehr nötig sind. Denn neben den potenziellen Klimavorteilen hat die Kernkraft natürlich jede Menge Nachteile. Ich will jetzt gar nicht über die Unfälle in Tschernobyl und Fukushima reden. Dass das schreckliche Katastrophen waren, sollte allen klar sein. Aber insgesamt ist das Risiko eines schweren Unfalls in einem Kernkraft gering. Zumindest jetzt noch. Die Sache würde sich natürlich ändern, wenn wir sehr viel mehr Kernkraftwerke bauen, als das jetzt der Fall ist. Je mehr davon auf der Erde rumstehen, desto größer ist auch die Chance, dass irgendwo was passiert. Vor allem, wenn diese Kraftwerke in Regionen der Welt gebaut werden, die politisch eher instabiler sind und wo man vielleicht davon ausgehen kann, dass man sich nicht so sorgfältig darum kümmert, wie es nötig wäre. Dazu kommt: Wer Strom aus Kernspaltung erzeugen kann, ist zumindest prinzipiell immer auch in der Lage, diese Technik zum Bau von Atomwaffen zu nutzen. Kernspaltungstechnik ist also immer auch zwangsweise intransparent, undemokratisch und potenziell gefährlich. Und daher nicht unbedingt zukunftstauglich.
Außerdem gibt es ja noch den Atommüll. Bis heute gibt es kein wirklich brauchbares “Endlager” und die diversen Techniken um aus dem radioaktiven Müll weniger radioaktiven Müll zu machen (“Transmutation“), sind weder ausreichend gut erforscht noch in einem Maßstab vorhanden, der uns aktuell irgendwie nützlich wäre. Bis da eine Lösung gefunden wird (wenn überhaupt), wird noch sehr, sehr viel Zeit vergehen. Und ja, ich weiß, wir Menschen produzieren jede Menge anderen Müll, der mindestens genau so gefährlich ist wie der Atommüll. Aber das heißt ja nicht, dass dir wir darum einfach munter weiter radioaktive Abfallstoffe produzieren können. Ganz im Gegenteil.
Mein (und ich betone das “Mein”!) erstes Fazit dazu lautet also:
- Atomkraftwerke sind tendenziell klimafreundlicher als die Nutzung fossiler Brennstoffe.
- Atomkraft ist aber weder nachhaltig, noch erneuerbar.
- Der Ausbau der Atomkraft macht den Bau neuer Kraftwerke erforderlich und die Zeit dafür haben wir nicht.
- Atomkraft ist eine Technologie die in enger Verbindung mit Atomwaffen steht und deswegen kritisch zu betrachten.
- Die Frage des Atommülls ist ungelöst und wird das auch noch lange bleiben.
Müssen wir also zu dem Schluss kommen, dass die Atomkraftgegner Recht haben und die Befürworter der Kernkraft falsch liegen? Das könnte man tun, die Argumente geben das meiner Meinung nach durchaus her. Wenn man aber die Klimakrise inkludiert, dann kann man durchauss noch einen differenzierteren Blick darauf richten. Aus all den Gründen die ich bis jetzt erwähnt habe, ist es nicht sinnvoll, neue Kernkraftwerke zu bauen. Stattdessen soll und muss man den Ausbau der erneuerbaren Energien und der dazugehörigen Energie-Infrastruktur massiv fördern. Das geht deutlich schneller und leichter, als ein Kernkraftwerk zu planen, genehmigen zu lassen und zu bauen. Man kann aber durchaus darüber diskutieren, ob man die schon bestehenden Kernkraftwerke so schnell wie möglich abschalten muss (wie das ja in Deutschland geplant ist). Die Dinger sind ja nun mal da; sie sind schon genehmigt und gebaut; es gibt entsprechende Prozeduren und Institutionen um ihre Sicherheit zu überwachen und sie produzieren halbwegs klimafreundlichen Strom. Sofern sie nicht über ihre zulässige Laufzeit benutzt werden und sicher betrieben werden können, kann man sie auch weiter betreiben. Der Atommüll dieser Kraftwerke würde so oder so anfallen; auch wenn sie jetzt sofort zurück gebaut werden. Und bei der Bewältigung der Klimakrise kann uns jeder noch so kleine Vorteil helfen.
Was man aber nicht machen darf: Die Kernkraftwerke weiter betreiben und das dadurch eingesparte CO2 nutzen, um dafür die Kohlekraftwerke weiter laufen zu lassen oder auf sonstige Klimaschutzmaßnahmen zu verzichten! Das wäre das schlechtestmögliche Szenario. Wenn wir die bestehenden Kernkraftwerke weiter betreiben, dann nur, um uns Zeit zu erkaufen, die erneuerbaren Energien auszubauen und anderswo effektiven Klimaschutz betreiben zu können.
Von allen “Klimamythen” die ich in meiner Serie behandle, ist das mit der “Kernkraft für den Klimaschutz” vermutlich das am wenigsten mythische; das Argument, das man noch am ehesten zumindest teilweise rational begründen kann. Aber so wie es in der Praxis oft eingesetzt wird, ist es dann meistens doch nur die übliche “Technologie X wird uns alle retten, wir müssen uns daher nicht ändern”-Taktik zur Verzögerung und Ablenkung.
Kernkraft hat keine Zukunft. Aber wir können sie vielleicht noch ein bisschen benutzen, damit wir Zeit haben, unsere Zukunft sicherzustellen!
Ich weiß, dass vermutlich sehr viele Menschen anderer Meinung sein werden. Wenn ihr diskutieren wollt: Gerne. Aber bleibt höflich! Ich habe keine Hemmungen, den Kommentarbereich sehr rigoros zu moderieren!
Die komplette Serie
- Teil 01: Einleitung
- Teil 02: Um die Klimakrise zu lösen, muss das Bevölkerungswachstum gestoppt werden (erscheint am 05.07.2021)
- Teil 03: Kernkraft ist nötig, um die Klimakrise zu bekämpfen (erscheint am 07.07.2021)
- Teil 04: Sternengeschichten Folge 450: Kippelemente im Klimasystem (erscheint am 09.07.2021)
- Teil 05: Die Kernfusion wird die Klimakrise für uns lösen (erscheint am 12.07.2021)
- Teil 06: Das Klima ist so komplex, dass man den Modellen der Forschung nicht vertrauen kann (erscheint am 14.07.2021)
- Teil 07: Sternengeschichten Folge 451: Der Treibhauseffekt auf anderen Himmelskörpern (erscheint am 16.07.2021)
- Teil 08: Elektro- und Wasserstoffautos sind die Lösung für die Klimakrise (erscheint am 19.07.2021)
- Teil 09: Solange wir das CO2 nicht aus der Atmosphäre entfernen können, brauchen wir mit dem Klimaschutz gar nicht anfangen (erscheint am 21.07.2021)
- Teil 10: Sternengeschichten Folge 452: Die Keeling-Kurve (erscheint am 23.07.2021)
- Teil 11: Was Deutschland (Österreich) tut, hat auf das globale Klima doch keinen Einfluss (erscheint am 26.07.2021)
- Teil 12: Es ist doch eh längst zu spät, etwas gegen die Klimakrise zu unternehmen (erscheint am 28.07.2021)
- Teil 13: Fazit und Zusammenfassung(erscheint am 02.08.2021)
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