Zahlreiche Studien belegen inzwischen die überaus vielgestaltigen Möglichkeiten von Transkriptom- und Genexpressionsanalysen bei der Bearbeitung sehr verschiedener forensischer Fragestellungen. Zu nennen wären hier zunächst Zeitbestimmungen, etwa die Abschätzung des post-mortem-Intervalls (PMI) und Alterseinschätzung forensischen Spurenmaterials: man kann den Zerfall von RNA-Molekülen in Leichen oder Spurenmaterial als molekulare Uhr nutzen und aus dem Zustand der RNA auf den Zeitpunkt des Todes bzw. Spurenlegung und damit in den meisten Fällen den Tatzeitpunkt zu schließen. Aber auch die die zeitliche Eingrenzung von Wundalter und Heilungsprozessen wird erforscht. Noch eine weitere, andere Form der RNA-basierten Zeitbestimmung macht man sich in der Disziplin der forensischen Entomologie, also der forensischen Insektenkunde zunutze: nach dem Tod kann es sehr rasch zum Anflug leichenbesiedelnder Insekten kommen, die Eier auf dem Leichnam ablegen. Aus den Eiern schlüpfen Maden, die sich von der Leiche ernähren und sich, abhängig von der Insektenart und den äußeren Witterungsbedingungen, nach einer bestimmten Zeit verpuppen. Wird die Leiche gefunden, kann man, wenn man die Art der auf der Leiche vorfindlichen Insekten identifiziert und den Temperaturverlauf am Fundort rekonstruieren kann, auf den Eiablagezeitpunkt und damit den ungefähren Todeseintritt schließen. Dazu muß man jedoch ermitteln, wie alt die Insekten auf der Leiche sind, was, wenn sich die Maden bereits verpuppt haben, ein großes Problem darstellt, da sich von außen auch unter dem Mikroskop kaum erkennen läßt, ob eine Puppe einen oder 12 Tage alt ist, wodurch die Altersschätzung sehr ungenau werden kann. Hier kann die RNA helfen, denn während sich die Puppe mit der Zeit äußerlich kaum verändert, finden in ihrem Inneren sehr umfangreiche metamorphische Umbauprozesse statt, die mit täglich wechselnden RNA-Profilen einhergehen. Wenn man daher die RNA einer Insektenpuppe analysiert, kann man anhand des darstellbaren RNA-Profils ihr Alter bis auf den Tag genau bestimmen und damit eine wesentlich genauere Einschätzung der seit der Eiablage verstrichenen Zeit damit des minimalen PMI ermöglichen.

Neben den Zeitbestimmungen bieten sich RNA-analytische Zustandsbestimmungen an, wie beispielsweise die post-mortale Feststellung von Schwangerschaften oder molekulare Todesursachenermittlungen, etwa zur Abgrenzung zwischen Suizid, Homizid und Unfalltod und auch toxikogenetische Untersuchungen können durch RNA-Analyse informiert werden, indem die Art einer eingenommenen Substanz anhand der durch die Einnahme verursachten Veränderungen in der RNA-Zusammensetzung in bestimmten Blut- oder Gewebezellen identifiziert wird. In verschiedenen Arbeiten zur Quantifizierung der Stabilität und Integrität von RNA-Molekülen für die forensische Analytik erwies sich überdies die RNA in mehreren Studien in postmortalen Geweben aber auch in teils sehr alten biologischen Spuren und sogar in Spurenmaterial, das aus dem Inneren von Schußwaffen (Stichwort: molekulare Ballistik) gesichert wurde, als deutlich haltbarer und weniger degradationsempfindlich, als zuvor gemeinhin angenommen und immer neue Quellen werden für eine RNA-Extraktion erschlossen, selbst aus Knochen gelang kürzlich die Extraktion prozessierbarer RNA.

Jenseits von RNA haben auch epigenetische Forschungsansätze längst Einzug in die forensische Molekularbiologie gehalten. So lassen sich vermittels der Analyse differentieller DNA-Methylierung z.B. das biologische Alter einer (unbekannten) Person aber auch die Art und Zusammensetzung einer Spur recht genau bestimmen. Durch den Einsatz massiv-paralleler Sequenziertechnologie ist inzwischen sogar die lange für unmöglich gehaltene genetische Unterscheidung eineiiger Zwillinge gelungen, wodurch sich künftig auch Fälle wie der Millionenraub im Jahr 2010 zu Lasten des KDW, der mutmaßlich von einem von zwei eineiigen Zwillingsbrüdern verübt wurde, werden aufklären lassen.

Weitere Forschungsfelder befassen sich mit der DNA-Phänotypisierung, also der Bestimmung äußerlich sichtbarer Merkmale aus der DNA. Man kann inzwischen recht präzise etwa Haar-, Augen- und auch die Hautfarbe eines noch unbekannten Tatverdächtigen aus einer DNA-haltigen Spur, die am Tatort hinterlassen wurde, bestimmen. Weniger ausgereift aber Gegenstand aktiver Forschung ist die Feststellung charakteristischer Gesichtsmerkmale und der ungefähren Größe einer Person anhand von DNA-Merkmalen. Noch ist allerdings der Einsatz dieses sehr nützlichen Verfahrens in Deutschland laut Strafprozeßordnung unzulässig, doch nach dem Fall von Sexualmord, der im Oktober 2016 in Freiburg verübt wurde und bei dem die Ermittlungsarbeit erheblich von Hinweisen zum Äußeren des zunächst unbekannten Tatverdächtigen profitiert hätte, worauf die zu restriktive Gesetzgebung, die die Anwendung der Methode verbietet, öffentlichen Unmut hervorgerufen hatte, hat ein Umdenkprozeß begonnen.

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Kommentare (25)

  1. #1 RPGNo1
    17/07/2017

    @CC
    Danke für die Niederschrift deines Vortrags.

  2. #2 tomtoo
    17/07/2017

    Klingt jetzt Arrogant sry.
    1 Million Sockel ??? Das ist aber üppig !!

  3. #3 tomtoo
    17/07/2017

    Sry, Nachtrag: Was ist eigentlich Sockel fürs Abgeordneten catering ?

  4. #4 Cornelius Courts
    17/07/2017

    @tomtoo: “1 Million Sockel ??? Das ist aber üppig !!”

    Nee, leider nicht. Ist immer noch hart an der Grenze.

  5. #5 anderer Michael
    17/07/2017

    Bei Erwähnung der FDP fällt mir das akademische Geschwisterpaar Lipphardt aus Freiburg ein. Was wohl aus ihrer Initiative geworden ist?

  6. #6 anderer Michael
    17/07/2017

    Die hatten ein Symposium organisiert und ich will nicht gemein wirken und verlinke daher die Vorträge, die ich noch nicht angehört habe.
    https://stsfreiburg.wordpress.com/vortragsmanuskripte-und-video-podcasts/

  7. #7 tomtoo
    17/07/2017

    @CC
    1.1 ? ; )

    Spass beiseite , 1 Mio. für ein Bundesland ? Das ist ja nicht mal ein Schmalspur IT Projekt in einer großen Firma ? Könntest du das näher erklären ?

  8. #8 tomtoo
    18/07/2017

    @CC

    Es war wohl doof von mir da Ironie zu benutzen, wo ich mich nicht auskenne. Sry. Aber was bedeuted das Sockel ? Ich mein 1Mio für einen Forschungsbereich ? Das ist ja wohl nahezu nix. Aber ich verstehe das auch nicht so ganz was das nun bedeutet. Bitte um Hilfe.

  9. #9 Cornelius Courts
    18/07/2017

    @tomtoo: Sockel heißt, daß das Land noch mal zusätzlich Geld in die Rechtsmedizin investiert, um das bekannte und leidige strukturelle Defizit, das alle Institute für Rechtsmedizin plagt (Grund: man kann gem. JVEG nicht genug für Obduktionen abrechnen, um kostendeckend zu arbeiten), auszugleichen. Da Obduktionen hoheitliche Aufgaben (im Auftrag von StA und Gerichten) sind, müssen wir sie durchführen und dafür ist entsprechendes Personal und Infrastruktur erforderlich. Die Unikliniken denken/handeln hingegen eher marktwirtschaftlich und mögen die Rechtsmedizin als ewigen Rote-Zahlen-Kandidaten daher nicht so besonders. Mit Leichen und Geschädigten ist eben nicht so das dolle Geschäft zu machen. Daß unsere Aufgaben gesamtgesellschaftlich extrem wichtig sind, wozu auch gehört, gute Lehre zu machen, bei der die Studenten, die u.a. Leichenschau lernen sollen, mal eine echte Leiche sehen/anfassen können, ist da für manche Leute leider nur zweitrangig (Folgen: s. auch https://scienceblogs.de/bloodnacid/2013/03/11/rechtsmedizin-weiterhin-hip-und-in-bedrangnis/ und https://scienceblogs.de/bloodnacid/2011/04/20/ein-paradies-fur-morder/).
    Insofern ist Schleswig-Holstein zu loben, denn sie geben uns jetzt diese Sockelfinanzierung (in anderen Bundesländern träumen sie davon), die wenigstens ein bißchen Last von uns nimmt.
    Davon ist übrigens kein einziger Cent für die Forschung. Unser Forschungsbudget ist… laß uns nicht darüber sprechen :’-( Aber es gibt schon einen guten Grund, daß ich neben meiner sonstigen Arbeit auch noch versuche, Drittmittel einzuwerben.

    Es bleibt dabei: die Rechtsmedizin ist tendentiell (je nach Bundesland mehr oder weniger) und ganz sicher, was Forschung angeht, unterfinanziert. Ob das eine gute Idee ist? Eher mal nicht aber Tote, Vergewaltigte, Verprügelte, SIDS-Kinder etc. haben eben keine Lobby und wir forschen hier eben auch nicht an Krankheiten, die Millionen betreffen und wo richtig Geld dahinter steckt, sondern “nur” z.B. an ganz seltenen Erscheinungen, wie dem plötzlichen Kindstod (https://scienceblogs.de/bloodnacid/tag/sids/) oder an Möglichkeiten, Schußwaffendelikte besser aufzuklären. Ich finde das sinnvoll (https://scienceblogs.de/bloodnacid/2017/01/11/warum-sollte-man-ueber-schusswaffen-forschen/), andere wohl weniger… bis es sie eines Tages selber trifft…

  10. #10 tomtoo
    18/07/2017

    @CC
    Vielen Dank ! Das muss ich jetzt erst mal geistig verdauen.

  11. #11 zimtspinne
    19/07/2017

    vielen dank auch von mir, habe leider erst am WE Zeit für genaueres Nachlesen.

    Nehme mir, seit ich den ersten Artikel dazu bei dir las, immer wieder vor, mal eine CSI-Folge zu schauen, bisher bin ich immer schon anfangs ausgestiegen, da mir das Format und die Aufmachung einfach nicht zusagen.

    Ich habe mich vor nicht langer Zeit sehr geärgert über die Mundo-Doku, in der der verurteilte Doppelmörder aus Kelkheim auch selbst immer wieder zu Wort kam.
    In der Doku wurden Zweifel gesät an seiner Schuld, er selbst leugnet bis heute die Taten.

    Das ist überhaupt nicht nachvollziehbar, da die Toten am Fundort in Südfrankreich in Teppiche aus dem Mundohaus gewickelt waren, mal abgesehen von all den anderen Merkwürdigkeiten.
    Soweit ich mich erinnere, wurden überhaupt keine eindeutigen Spuren gefunden, die ihn klar überführen als Täter, weder im Haus noch am Fundort…. ist das möglich?? Es war einiges an Zeit vergangen, da die Behörden erst sehr spät Vermisstenanzeigen von Nachbarn nachgegangen waren, obwohl Mundo-Junior sich von Anfang an ziemlich verdächtig verhielt in der Sache.
    Der ganze Fall wirft kein gutes Licht auf deutsche und fast noch weniger auf französische Ermittlungsarbeit, die beide auch zu einer komplett unterschiedlichen Bewertung kamen (deutsch – schuldig und verurteilt, französich – Zweifel, letzten Endes arbeiteten die nicht mal mehr zusammen, weil sie sich überworfen hatten).

    Hört sich an wie in einem typischen konstruierten Krimi, tja……… man kann ruhig mal über das perfekte Verbrechen nachdenken, wenn man mal Langeweile hat 😉

  12. #12 Laie
    22/07/2017

    Leider ist für die wichtigen Bereiche in diesem Staat nicht genug Geld da. Hätte ich mitzubestimmen, dann gäbe es Geld für diesen und andere wichtige Bereiche aus Naturwissenschaften. Stimmt schon, wie CC sagt, die Opfer haben keine Lobby, die Medien berichten zu wenig darüber und haben kein Interesse.

  13. […] Blood’N’Acid bricht eine Lanze für die Forschung und weist darauf hin, dass Rechtsmedizin zum einen unabhängig ist und zum anderen die Forscher keine Schuldsprüche fällen. Wer mehr über RNA-Abschnitte und Forensik wissen will, dem sei dieser Beitrag empfohlen. […]

  14. #14 Robert
    23/07/2017

    zimtspinne,
    …..Merkwürdigkeiten,
    mein erstes Zusammentreffen mit einem Kriminalkommisar war bei einem Taxifahrer in Karlsruhe. Wir waren gleichzeitig die ersten am Tatort und der Kommisar schloss innerhalb von 5 Minuten auf Selbstmord. Er meinte, die äußeren Umstände lassen auf einen Selbstmord schließen. Ich als Anfänger war skeptisch und gleichzeitig verwundert, wie man so schnell auf ein Ergebnis kommt, damit war für die Polizei der Fall erledigt.
    Ich erzähle das nur, weil CC hier sich viel Mühe gibt, Aufklärungsarbeit zu betreiben und im konkreten Fall, “gar keine Untersuchung” stattfand.

  15. #15 Kollege
    23/07/2017

    Volle Zustimmung.
    Großartiger Text!

  16. #16 Cornelius Courts
    24/07/2017
  17. #17 RPGNo1
    25/07/2017

    @CC
    Herzlichen Glückwunsch. Ist der Preis dotiert?

  18. #18 Cornelius Courts
    25/07/2017

    @RPGNo1: “dotiert”

    gute Frage… ich hoffe es mal 🙂
    Vielleicht reicht es ja für einen Kasten Malzbier fürs Institut 😉

  19. #19 RPGNo1
    25/07/2017

    Malzbier? So etwas trinkt ihr im Institut? *brrrr*
    Habt ihr denn keine bessere Kieler Spezialität?

  20. #20 Beobachter
    25/07/2017

    @ # 19:

    Doch, hätten sie:
    Kieler Sprotten – runtergespült mit einem Kieler Sprotte Aquavit

    https://de.wikipedia.org/wiki/Kieler_Sprotte

    Anm.:
    Oder vielleicht gibt`s auch schon Fisch in flüssiger Form und ganz innovativ als Smoothie – wie auch schon Fleisch und das in verschiedenen Geschmacksrichtungen wie “Schnitzel”, “Braten” etc.; für “to go” im Fläschchen, weil die Leute in ihrem stressigen Berufsleben keine Zeit mehr haben zum Essen (im Sitzen).
    Soll “wie bei Oma” schmecken (alles lt. Radio-Bericht heute bei SWR 1 – und kein Witz).

  21. #21 Cornelius Courts
    25/07/2017

    @RPGNo1: “So etwas trinkt ihr im Institut? ”

    “Ihr” ist übertrieben. Aber ein gewisse Biologe Deines Vertrauens 😉

    Wer mich übrigens erheblich für sich einnehmen möchte, der/die kredenze mir dies: https://feldschloesschen-brauerei.de/feldschloesschen-malz-klassik/ 🙂 (btw: bestes mir bekanntes Malzbier)

  22. #22 noch'n Flo
    Schoggiland
    25/07/2017

    @ CC:

    Wir haben hier in der Schweiz auch eine “Feldschlösschen”-Brauerei (in Rheinfelden), aber ich fürchte, die hat mit den deutschen Namensvettern eher wenig gemein…

    Nur mal so als Vorwarnung, wenn Du im kommenden Februar nach Basel kommst – Malzbier kennt man hierzulande so gar nicht… müssen wir immer aus Deutschland einführen… (Muddi ist ja ein grosser Fan dieses Gesöffs)

  23. #23 RPGNo1
    25/07/2017

    @CC
    Malzbier habe ich zuletzt als Kind getrunken. Heutzutage kann ich mich nicht mehr unbedingt dafür begeistern

    @Beobachter

    Kieler Sprotten – runtergespült mit einem Kieler Sprotte Aquavit

    Also DAS hört sich doch weitaus leckerer an.
    Es ist schon lange her, dass ich Sprotten gegessen habe, aber zu einem guten Aquavit sage ich nicht nein.

  24. #24 Cornelius Courts
    26/07/2017

    @noch’n Flo: “wenn Du im kommenden Februar nach Basel kommst – Malzbier kennt man hierzulande so gar nicht”

    die paar Tage komme ich auch ohne aus. Ich schlürf dann ‘ne Ovo oder ‘ne Rivella (die gibt’s doch noch?) 🙂

    “Muddi ist ja ein grosser Fan dieses Gesöffs”

    das spricht freilich für ihren guten Geschmack 🙂
    Du kannst sie ja mal (mit schönen Grüßen von mir) überraschen (falls sie hier nicht gerade mitliest #spoileralarm) und ihr ‘ne Kiste Feldschlösschen aus Deutschland besorgen, damit sie nicht immer diese Vitamalzplörre o.ä. trinken muß 🙂

  25. #25 noch'n Flo
    Schoggiland
    26/07/2017

    @ CC:

    Klar, Rivella gibt es noch. Auch zuckerfrei und lactosefrei (was bei einem Getränk auf Molke-Basis m.E. ein Anachronismus ist – so wie alkoholfreies Bier).

    Nebenbei: “Ovomaltine” wird bei uns als “Ovi” abgekürzt, nicht “Ovo”.