In ihrem Blog über Angela Merkels Dekollete warf Ludmila Carone unter anderem auch die Frage auf, ob die Verwendung des Vornamens in den Medien eine Herabsetzung der Kandidatin Hillary Clinton gegenüber ihrem Konkurrenten Barack Obama sei, der stets mit dem Nachnamen genannt werde. Der Gebrauch des Vornamens ist in den USA in der Tat ein gelegentlich delikates Problem, das besonders auch im Dialog zwischen Amerikanern und Deutschen auftauchen kann.
Denn vordergründig sind die USA ein Land, in dem die Anrede per Vornamen zum Normalfall geworden ist: Die Telefonauskunft meldet sich mit “Hier spricht Kelly” (oder wer auch immer), Werbepost in meinem Briefkasten ist an “Dear Juergen” adressiert, und sogar der US-Präsident nennt die Mitglieder des Pressekorps im Weißen Haus – oder interviewende TV-Journalisten – stets beim Vornamen.
Doch so simpel wie beispielsweise in Island, wo es gar keine Familiennamen in unserem Sinn gibt (lediglich die Patronyme -son respektive -dottir, die aber nicht zur Anrede gebraucht werden) ist es in den USA nun auch wieder nicht. Der angesprochene Journalist wird sich beispielsweise hüten, George W. Bush mit etwas anderem als “Mister President” anzureden, selbst wenn er von diesem mit seinem Spitznamen Jimbo (oder was Bush sich sonst für ihn einfallen ließ) tituliert wurde. Und der Kundenberater meiner Bank, der sich am Telefon nur mit “David” vorgestellt hat, ist angehalten, mich keinesfalls vertraulichen beim Vornamen zu nennen, obwohl er diesen aus meinen Unterlagen natürlich genau kennt.
In der Geschäftswelt hingegen ist der Gebrauch der Vornamen üblich. Selbst in Chefetagen wimmelt es nur so von Steves, Bills, Jeffs oder Annes. Die Idee dahinter ist jedoch nicht Vertraulichkeit (wer etwa glaubt, dass er den nächsten Sommer im Gästehaus des Microsoft-Vorstandsvorsitzenden verbringen kann, nur weil er ihn bei einem Firmentreffen mit “Steve” anreden durfte, sollte sich auf eine schwere Enttäuschung vorbereiten), sondern – scheinbare – Vertrautheit: Ihr wisst doch alle, wer ich bin. “Hi, I’m Jack” unterstellt ganz automatisch, dass jeder weiß, um welchen der ansonsten zahllosen Jacks es sich hier handelt.
Nachnamen sind nur etwas für Unbekannte und damit Unbedeutende, scheint es zu signalisieren. Genau dies ist auch der wesentliche Grund, warum Frau Clinton überhaupt in den Medien gelegentlich als Hillary bezeichnet wird: Mit der Wahl ihres Vornamens – ihr offizieller Wahlkampfslogan ist “Hillary for President” – signalisiert sie ihre Bekanntheit, und die Medien honorieren dies. (Allerdings nur in Überschriften oder ganz selten mal in Meinungsbeiträgen – ansonsten wird sie, wie alle ihre Mitbewerber, in den Artikeln stets per Nachnamen, zumeist verbunden mit “Senator” oder “Candidate”, genannt.) Von Respektlosigkeit oder Herabsetzung kann in diesem Fall also wirklich keine Rede sein.
Wer sich übrigens einen Rang erworben hat – sei es akademisch, politisch oder militärisch – darf ansonsten auch in den USA erwarten, dass andere dies entsprechend respektieren: Senatoren sind in der Anrede also nie “Mr. X” oder “Mrs. Y”, sondern stets “Senator X” oder “Senator Y” (was auch die Zeitung respektiert, die in ihren Schlagzeilen bevorzugt “Hil” und “Bam” als Kurznamen verwendet). Auch Professoren sollten, zumindest bei der ersten Begegnung, mit ihrem Titel als “Professor X” – niemals “Mister Professor”!!! – angesprochen werden; sie lassen einen dann schon sehr schnell wissen, ob sie nicht die formlosere und kollegialere Anrede bevorzugen.
Ein wenig komplizierter wird’s, wenn etwa eine deutsche Delegation auf Amerikaner trifft (was ja auch in akademischen Kreisen gelegentlich vorkommt). Untereinander mögen die Deutschen ja per Sie sein, aber in der Konversation mit ihren Gesprächspartnern wird sich selbst ein im Rang Niedrigerer zumeist per Vornamen auf seinen Boss beziehen, um Verwirrungen (“von wem redet der jetzt?”) zu vermeiden. Also selbst wenn der Chef für einen stets “Herr Soundso” (echte Namen tun für diesen Artikel nichts zur Sache) wäre, wird er in deutsch-amerikanischen Runden plötzlich zu “Dieter” oder “Walter” – aber nur für die Dauer dieses Gesprächs. Danach heißt es wieder “Herr …”
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