Das entscheidende Wort in dieser Frage ist “will”. Und egal, was man in Medienberichten derzeit lesen kann, erscheint mir zumindest das “Wollen” in diesem Kontext fraglich.


Natürlich würde ich mir nie anmaßen zu behaupten, dass ich irgend welche besonderen Einblicke in den Willen der ehemaligen First Lady und amtierenden New Yorker Senatorin hätte. Aber man muss kein Gedankenleser sein, um aus den bisherigen Handlungen zukünftige Pläne zu extrapolieren.

Was will sie also? Fangen wir mal mit dem an, was sich allein schon aus der Tatsache ablesen lässt, dass sie Politikerin ist: Macht und Einfluss – conditio sine qua non für jeden, der politisch etwas bewegen will. Doch sie ist ja bereits in einer relativ mächtigen Position, als eine von 100 Senatoren, deren Stimme zwar nicht zahlenmäßig, aber als eine der prominenteste Personen der Welt und als Vertreterin des wichtigen US-Staates New York faktisch dennoch schwerer wiegt als die vieler ihrer Senatskollegen. Da sie sich um ihre Machtbasis in New York kaum Sorgen machen muss und auch keine Alters- oder Amtszeitbegrenzungen für Senatoren bestehen, ist es sicher korrekt, diese Senats-Machtposition als Grundlinie für ihre Entscheidungen zu definieren..

Wenn man nun weiter davon ausgeht, dass sie nicht plötzlich alle Lust auf Politik verloren hat, dann stellt sich die Frage: Hätte das Amt des Vizepräsidenten irgend einen Vorteil gegenüber dem eines Senators? Im Hinblick auf die Macht ist die Antwort – dem Wirken von Richard “Darth Vader” Cheney zum Trotz, das aber ausschließlich auf seiner persönlichen Macht über den amtierenden Präsidenten beruhte – ein klares Nein: Die amerikanische Verfassung mit ihren Zusatzartikeln limitiert die Aufgaben des Vizepräsidenten auf den formellen Senatsvorsitz und auf die Ablösung des Präsidenten, sollte dieser durch Tod, Rücktritt oder gesundheitliche Beeinträchtigung sein Amt nicht weiter ausüben können. Ersteres ist primär eine repräsentative Aufgabe, der lediglich im – extrem seltenen – Fall eines Abstimmungspatts im Senat eine echte Bedeutung zukommt: Als Präsident des Senats hat der Vizepräsident in diesem Fall dann die mehrheitsbeschaffende 101. Stimme. Im Gegensatz dazu sind Kabinettsposten – vor allem das Verteidigungs- und das Außenressort – mit sehr realer Macht ausgestattet.

Bleibt also der Aspekt “Amtsnachfolge”: Für einen Vize des Republikaners John McCain wäre dies sicher eine realistische Überlegung, denn mit 72 Jahren wäre der Senator aus Arizona die bisher älteste Person, die dieses Amt jemals angetreten hat, von seinen Gesundheitsproblemen ganz zu schweigen. Barack Obama hingegen ist volle 14 Jahre jünger als Hillary Clinton und zudem physisch in Topform …

Dass dennoch viele Senatoren in der Vergangenheit bereit waren, ihren Platz auf dem Capitol Hill gegen ein Nebenzimmer im Weißen Haus einzutauschen, liegt daran, dass sie berechtigt hoffen konnten, den Chef nach dessen Amtszeit zu “beerben”; der letzte, dem dies gelungen ist, war George H.W. Bush, der Ronald Reagan ins Weiße Haus nachfolgte.

Für Hillary Clinton wäre dies auch kein lockender Köder: Vizepräsidenten kandidieren anständiger Weise nur, wenn der Präsident keine weitere Amtsperiode mehr dienen kann oder will – im Normalfall also nach acht Jahren im Weißen Haus. Eine lange Zeit als politische Randfigur, in der Hillary Clinton nicht jünger wird (sie wäre dann selbst schon fast so alt wie McCain heute).

Wenn Hillary Clinton also nicht wirklich Vizepräsidentin sein will, warum erstickt sie diese Gerüchte nicht im Keim, sondert nährt sie mit vagen Andeutungen, dass sie offen für alles sei, was der Partei im kommenden November helfe?

Als Antwort kann ich hier nur spekulieren. da wäre einmal, dass sie sich einfach nicht zu früh in die Karten schauen lassen will und solche Gerüchte ein willkommenes Ablenkungsmanöver sind. Oder dass sie weiß, dass Obama ihr den Posten nach diesem Wahlkampf eigentlich gar nicht anbieten kann, ohne seine Glaubwürdigkeit als Agent des Wandels, der Abkehr von der Bush-I+II- und Clinton-I-Politik zu risikieren (abgesehen davon, dass Obamas Frau Michelle die New Yorker Senatorin angeblich nicht riechen kann) – und darum andere Konzessionen machen muss.

Bleiben noch zwei Varianten, die allerdings so sinister sind, dass sie aus dem Handbuch von Karl Rove oder Dick Cheney stammen könnten: Sie könnte hoffen, dass ihre Vizepräsidentschaft die Wahlchancen Obamas torpediert – was ihr den Weg frei räumen würde, in vier Jahren erneut für die Präsidentschaft zu kandidieren, mit Obama als Verlierer von 2008 aus dem Weg und einem sicheren Senatssitz als Sprungbrett. Oder sie hofft, dass Obama während seiner Amtszeit “stolpert” – wie schnell das geht (und wie leicht man aus dem Amt entfernt werden könnte), musste ihr Gatte Bill ja schon erleben. Dass Hillary Clinton als eine ehemalige Mitarbeiterin des Watergate-Unterschungungsausschusses diese Szenario nicht zumindest mal angedacht hat, ist schwer vorstellbar …

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